Mannheim. Die Apotheken-Lobby schlägt Alarm: Bundesweit schließen immer mehr Standorte, 2023 ist die Zahl um knapp 500 auf 17 571 gesunken. Faktisch entspricht das einem Rückgang von fast drei Prozent - laut Branchenverband ABDA ein Minus-Rekord.
Auch in Mannheim macht sich der Trend bemerkbar: Aktuell gibt es hier laut Landesapothekerverband 74 Apotheken, sechs weniger als vor einem Jahr. Die Branche spricht vom Apothekensterben - doch was steckt dahinter?
Höhere Kosten, stagnierendes Honorar
Stellt man Thomas Luft diese Frage, dann kommt die Antwort schnell. Der Inhaber der Post-Apotheke in Neckarhausen beobachtet die Entwicklungen in der Branche intensiv, als Mannheimer Bezirks-Vorsitzender des baden-württembergischen Apothekerverbands tauscht er sich auch mit Kollegen viel darüber aus.
An der Tür zu seinem kleinen Büro hängt noch die weiße Warnweste vom letzten Apotheker-Streik in Stuttgart. „Apotheken stärken. Jetzt!“ steht auf ihrem Rücken. Konkret fordern Luft und seine Kollegen vor allem eins: höhere Honorare. „Dass die seit Jahren so gut wie nicht an die Inflation angepasst worden sind, ist für mich der Hauptgrund, dass so viele aufgeben“, sagt er.
Auch viele Jüngere seien nicht bereit, für das wenige Geld ins wirtschaftliche Risiko einer Selbstständigkeit zu gehen. Die Folge: „Wer seine Apotheke verkaufen will, findet oft keinen Nachfolger.“
Für den Kinderhustensaft bekommt die Apotheke 6,84 Euro
Die Apotheken-Vergütung ist recht kompliziert geregelt - wie vieles im deutschen Gesundheitssystem. Der Löwenanteil der Einnahmen kommt aus dem Verkauf rezeptpflichtiger Medikamente. Luft macht damit gut 80 Prozent seines Umsatzes. Freiverkäufliche Präparate oder Produkte wie Wärmepflaster und Kosmetik bringen oft höhere Margen, spielen aber eine untergeordnete Rolle.
Das Honorar für rezeptpflichtige Medikamente ist wiederum einheitlich geregelt und hat mehrere Komponenten: im Wesentlichen einen Fixbetrag - seit 2013 sind das 8,35 Euro - und einen variablen Betrag. Letzterer richtet sich nach dem Einkaufspreis für das Medikament. Gleichzeitig müssen Apotheken für jedes verkaufte rezeptpflichtige Produkt einen Abschlag an die Krankenkassen abführen, aktuell zwei Euro brutto.
Was das konkret bedeutet, rechnet Thomas Luft am Beispiel eines Kinderhustensafts vor: Bei einem Einkaufspreis von rund fünf Euro liegt seine prozentuale Vergütung - seit 2013 drei Prozent des Einkaufspreises - bei 18 Cent. Dazu kommt das Fix-Honorar von 8,35. Nun geht der Abschlag an die Kassen weg: Unter dem Strich bleibt Luft für den Verkauf des Kinderhustensafts ein Rohertrag von 6,84 Euro. Durch die teilweise Koppelung an den Einkaufspreis steigt die Vergütung, je teurer ein Medikament ist. Für ein Medikament zur Behandlung von Multipler Sklerose, das im Einkauf rund 2234 Euro kostet, liegt das Honorar bei knapp 74 Euro. Der Staat nehme dabei über die Mehrwertsteuer knapp 440 Euro ein, so Luft.
Für ihn und den Verband ABDA ist es ein Unding, dass die Honorare seit 2013 nicht angepasst wurden. Sie verweisen auf stark gestiegene Kosten der Apotheken - zum Beispiel für Personal. „Immer mehr Inhaberinnen und Inhaber müssen aufgeben, weil ihnen die wirtschaftliche Basis wegbricht“, so der ABDA.
"Die meisten Apotheken haben weniger als den Durchschnittsumsatz"
Das Gesundheitsministerium verweise zwar gerne auf den steigenden Durchschnittsumsatz der Apotheken, der zuletzt bei rund 3,2 Millionen Euro gelegen habe, ärgert sich Luft. Die Mehrheit der Apotheken, darunter er selbst, würde solche Umsätze aber nicht erzielen. Der Apotheker aus Neckarhausen sagt, dass ihm nach Abzug aller Kosten - unter anderem für seine acht Angestellten - im Jahr rund 83 000 Euro Gewinn bleiben. Davon müsse er als Selbstständiger aber noch mehr als 30 000 Euro für Altersvorsorge und Krankenversicherung sowie seine Einkommensteuer zahlen.
Auch vom restlichen Betrag müsse ein Teil als Rücklage für künftige Investitionen beiseitegelegt werden - und stehe damit nicht als persönliches Einkommen zur Verfügung. „Das ist nicht so, dass man nicht davon leben kann. Aber Spaß macht es auch nicht.“
Auch Lieferprobleme erschweren den Apotheker-Alltag
Ein Punkt, der ebenfalls wenig Spaß macht: die anhaltenden Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten. Ärgerlich sind sie vor allem für die Patienten, aber auch für die Apotheken entsteht dadurch laut Luft enorme Zusatz-Arbeit. So müssten sie es beispielsweise jedes Mal dokumentieren, wenn sie mangels Alternativen ein teureres Präparat verkaufen, als von der Kasse vorgesehen.
Und oft genug seien Medikamente überhaupt nicht lieferbar - von keinem Hersteller. Dann fängt der Aufwand erst richtig an, zumindest, wenn man wie Luft den Anspruch hat, den Kunden nicht einfach wegzuschicken. Stattdessen klemmt sich der Apotheker ans Telefon, um mit dem Arzt des Patienten das Vorgehen abzustimmen. „Bis ich jemanden erreiche, hänge ich teils 20 Minuten in der Warteschleife.“ Insgesamt kosteten die Lieferschwierigkeiten ihn und sein Team gut eine Stunde am Tag. Sicher zehn Rezepte landeten täglich in der Apotheke, bei denen das Medikament nicht verfügbar sei. „Das betrifft die ganze Produktpalette: Antibiotika, Inhalationsmittel, Augensalben und so weiter“, sagt Luft. „Letztes Jahr haben wir zwischenzeitlich sogar selbst Fiebersäfte hergestellt.“
Verbleibende Apotheken müssen alle Notdienste schultern
In manchen Regionen seien zudem viele Notdienste eine Belastung für die Apotheken. Denn: Je weniger Apotheken es gibt, desto mehr Nacht- und Notdienste müssen die verbleibenden unter sich aufteilen. Im Bezirk Mannheim, zu dem Luft mit seiner Apotheke in Neckarhausen gehört, sei das bis jetzt kein Problem.
Luft ist etwa alle 25 Tage mit einem 24-Stunden-Notdienst dran. „Ich weiß aber von Kollegen aus dem Schwarzwald, die jede Woche Notdienst haben.“ Und wie läuft es mit dem neuen E-Rezept? Luft winkt ab. „Im Moment ist auch das für uns vor allem zusätzlicher Aufwand, die Technik ist sehr anfällig.“
Verschlechterung durch Reform?
Hoffnung, dass sich die Lage bald bessert, hat der Apotheker wenig. Zwar will Gesundheitsminister Karl Lauterbach demnächst eine Reform auf den Weg bringen, mit der das Apothekensterben aufgehalten werden soll. Eckpunkte, die dazu bisher an die Öffentlichkeit gelangt sind - u.a. eine schrittweise Anhebung des Fix-Honorars bei gleichzeitiger Absenkung der prozentualen Vergütung - stimmen Luft aber eher pessimistisch. „In der Praxis würden meine Einnahmen und die vieler anderer Apotheken dadurch sogar sinken.“ Mehrere Tausend Euro im Jahr, hat er berechnet, würden ihm durch die Pläne verlorengehen.
Seine Streikweste aus Stuttgart hebt Thomas Luft also erst einmal auf. Vermutlich wird er sie noch brauchen.
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