Mannheim. Frau Müller, welches Auto fahren Sie gerade?
Hildegard Müller: Ich fahre hybrid - dienstlich und privat. Ich kann viel elektrisch fahren und auf längeren Strecken noch mit dem Verbrenner. Ich hoffe aber, dass es mit der Ladeinfrastruktur besser wird, dann bin ich bald voll elektrisch unterwegs.
Hören wir eine gewisse Skepsis gegenüber der reinen E-Mobilität?
Müller: Nein, die Autofahrer blicken jedoch natürlich immer auf die Kilometerreichweite, die bei E-Autos aber stetig zunimmt. Ich bin beruflich viel durch Deutschland unterwegs - auch an Orten, wo öffentliches Laden nicht möglich ist. In gut jeder dritten Gemeinde in Deutschland gibt es noch keinen öffentlichen Ladepunkt, in Dreiviertel der Gemeinden noch keinen Schnellladepunkt.
Also können Sie die Kaufzurückhaltung bei den E-Autos der Konsumenten auch verstehen?
Müller: Teils, teils. Die deutschen Autohersteller haben weltweit rund 130 rein elektrische Modelle im Angebot, da ist für jeden etwas dabei. Die Menschen müssen aber auch die Sicherheit haben, immer und überall problemlos laden zu können.
Viel Neues, viel Verunsicherung. . .
Müller: Ja, auch die Kappung des Umweltbonus über Nacht vor Weihnachten hat zu einer großen Verunsicherung geführt. Nun ist aber der Blick nach vorn gefragt: Die Menschen stellen sich konkret die Frage, wo kann ich mein Auto laden? Nicht jeder hat ein Einfamilienhaus mit Lademöglichkeiten oder einen Arbeitgeber, der das anbietet. Aber Elektromobilität soll die neue Normalität werden, und deshalb brauchen wir mehr Bewegung beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Insofern kann ich die Vorbehalte ein Stück weit verstehen, aber ich möchte auch Mut machen, es einfach mal auszuprobieren. Wer einmal elektrisch gefahren ist, ist von der Technik und dem Fahrgefühl beeindruckt.
Ist die Ladeinfrastruktur für Sie der Hauptgrund, warum E-Autos zum Ladenhüter werden?
Müller: Bei dieser Begrifflichkeit muss ich energisch widersprechen. Es gibt gerade Herausforderungen, die zu überwinden sind: wie gesagt, die Kappung des Umweltbonus, die Frage nach der Ladeinfrastruktur aber auch die generelle wirtschaftliche Lage, die Menschen zurzeit bei größeren Anschaffungen zögern lässt. Richtig ist aber auch: Der weltweite E-Auto-Markt wächst weiter ungebrochen. Wir erwarten, dass sich der Markt in Deutschland im kommenden Jahr wieder stärker entwickelt.
Hildegard Müller
- Hildegard Müller, Jahrgang 1967, ist seit 1. Februar 2020 Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
- Die Diplomkauffrau war bis 2008 Mitglied des Bundestags und ab 2005 Staatsministerin unter Angela Merkel. Ab Mai 2016 war sie Vorstandsmitglied bei Innogy.
- Hildegard Müller diskutiert am Dienstag, 10. September, 18.30 Uhr, in Mannheim mit geladenen Gästen über Mobilität. Wir verlosen dazu dreimal zwei Plätze. Um teilzunehmen, bitte bis Freitag, 16. August, eine E-Mail an events@haas-mediengruppe.de schicken.
Die 800-Volt-Technik zum sehr schnellen Laden bietet bei deutschen Herstellern nur Porsche.
Müller: Auch hier muss ich deutlich widersprechen. Die deutsche Automobilindustrie ist eine beeindruckende und innovative Branche, die Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen denkt, Zukunftstechnologien entwickelt und den Wandel zur Klimaneutralität mit hohen Investitionen und großem Engagement voranbringt. Sie haben ja bereits einen der deutschen Hersteller genannt, der diese Technik ebenfalls anbietet. Die nützt nur nichts, wenn nicht genügend Schnellladepunkte vorhanden sind. Wo wir wieder beim Thema Infrastruktur sind.
Aber die ausländischen Hersteller sind bei der E-Mobilität doch generell sehr stark.
Müller: Ich habe mich auf den Automessen dieser Welt, zuletzt in Peking in diesem Jahr, davon überzeugen können, dass deutsche Autos nach wie vor die Menschen begeistern und weiterhin der Maßstab sind. Die Innovationskraft unserer Unternehmen ist unser Erfolgsrezept - für die Transformation und unseren Wohlstand. Wir ergreifen die Chance, unsere Tradition weiterzuentwickeln - und gleichzeitig Pioniere zu sein, mit dem Anspruch langfristig zu gestalten. Unsere Unternehmen sind in allen Innovations-Rankings weiterhin auf den vordersten Plätzen. Nirgendwo in Europa werden mehr Elektroautos produziert als in Deutschland. 1,2 Millionen Fahrzeuge waren es im vergangenen Jahr, und für dieses Jahr erwarten wir eine weitere Steigerung.
Meinen Sie, dass das ausreichend ist? Wie geht es weiter?
Müller: In den nächsten vier Jahren investiert die deutsche Autoindustrie rund 280 Milliarden Euro in Forschung, die Entwicklung neuer Antriebe und weitere 130 Milliarden in den Neubau und den Umbau von Werken. Aber leider geht die Frage, wo wir die Autos bauen können, immer weniger zugunsten des deutschen Standorts aus. In einer Umfrage unseres Verbandes unter den mittelständischen Unternehmen unserer Industrie gab jüngst lediglich ein Prozent der Unternehmen an, seine Investitionen in Deutschland erhöhen zu wollen - ein Warnsignal! Teilweise können Werke hierzulande nur gehalten werden, weil Geld an Standorten im Ausland verdient wird. Wir haben ein gravierendes Standortproblem. In den Griff bekommen wir das nur, wenn die Energie billiger wird, die Rohstoffe gesichert werden und die Bürokratie abgebaut wird. Stattdessen begibt sich die EU auf Sonderwege, wie mit dem Lieferkettengesetz, und türmt neue Bürokratie-Hürden auf. Auch die Bundesregierung muss vom Reden ins Handeln kommen, sonst lässt sich die schleichende Deindustrialisierung nicht mehr stoppen, weil wir bei den Produktionskosten nicht mithalten können.
Was muss passieren, damit die E-Mobilität in Deutschland wieder Schwung erhält?
Müller: Jetzt kommt es darauf an, neben unseren Anstrengungen, alle Bemühungen in den weiteren Aufbau einer funktionierenden Ladeinfrastruktur zu stecken. Übrigens nicht nur für Pkw, sondern insbesondere auch für Nutzfahrzeuge, die immerhin einen Anteil von rund 30 Prozent an den CO2-Emissionen haben. Mitte September findet die IAA Transportation für Nutzfahrzeuge in Hannover statt. Die Herausforderung an die Ladetechnik, an Wasserstofftankinfrastruktur, aber insbesondere beim Stromnetzausbau ist dort ein ganz großes Thema. Das Vertrauen der Menschen in die E-Mobilität muss weiter gestärkt werden. Dazu gehört insbesondere das Vertrauen, immer und überall einfach laden zu können.
Es ist aber nicht immer alles so einfach.
Müller: Stimmt, in Berlin gibt es Straßenzüge, da muss man nachts das Auto abkoppeln, weil man sonst Strafgebühren zahlen muss.
….in Mannheim auch….
Müller: Das ist nicht benutzerfreundlich. Da fragt sich selbst der geneigte Nutzer, ob das so richtig ist.
Aber ist es nicht absurd, dass man eine Technik nur mit Subventionen verkaufen kann?
Müller: Wir fordern keine Subventionen, und ich fordere hier auch keine Neuauflage des Umweltbonus. Ich sage: Die Politik muss sich unter anderem um die Infrastruktur kümmern. Wir haben ein politisch gesetztes Ziel: 2035 sollen die Antriebe klimaneutral sein. Die E-Mobilität hat die First Mover längst gewonnen. Jetzt gilt es, immer mehr Menschen zu überzeugen.
Und das Aus vom Verbrenner-Aus?
Müller: Für uns ist klar: Der Hauptbeitrag für eine klimaneutrale Mobilität erfolgt über die Elektrifizierung der Antriebe. Aber ich sage auch: Wir brauchen globale Lösungen, um beim Klimaschutz entscheidend voranzukommen. Deshalb haben wir uns immer im Sinne der Technologieoffenheit für unterschiedliche Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität für unterschiedliche Regionen ausgesprochen. Das gilt auch mit Blick auf die Zukunft des Verbrenners. Klar ist auch, dass die Politik ein entsprechendes Monitoring braucht, zum Beispiel für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Nur dann gibt es die Möglichkeit nachzusteuern, damit die Ziele auch tatsächlich erreicht werden können.
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Wir haben ja immer noch einen sehr hohen Bestand an Verbrennerfahrzeugen.
Müller: Richtig. Selbst wenn das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen E-Autos bis 2030 erfüllt wird, fahren dann immer noch mindestens 40 Millionen Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotoren auf deutschen Straßen. Erneuerbare Kraftstoffe sind daher essenziell, insbesondere für die Dekarbonisierung des Fahrzeugbestands. Sie können damit, neben der tragenden Säule E-Mobilität, einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ich kritisiere, dass weder die EU noch Deutschland ausreichend Druck auf Forschung, Entwicklung und Zulassung beim Thema Wasserstoff und beim Thema synthetische Kraftstoffe machen.
Wird das einmal wirtschaftlich wettbewerbsfähig?
Müller: Das kann heute noch niemand beantworten, aber wenn wir nicht in Forschung und Entwicklung investieren, dann lautet die Antwort auf jeden Fall nein. Wir haben in Deutschland eine Energiepolitik, die nicht ermöglicht, sondern begrenzt.
Haben Sie Angst, dass sich das Auto mit den hohen Preisen, die auf uns alle zukommen, irgendwann abschafft?
Müller: Eine Allensbach-Studie im Auftrag des VDA zeigt ganz deutlich, dass der Stellenwert des Autos für die überwältigende Mehrheit unverändert hoch ist, auch bei den jungen Menschen. Übrigens hatten noch nie so viele junge Menschen unter 25 Jahren wie heute ein Auto. Das oft bemühte Bild der Anti-Auto-Jugend ist eine Mär! Im Übrigen ist es entscheidend, dass die Verkehrspolitik die Lebensrealitäten der Menschen berücksichtigt, und zwar die der Menschen in Städten genauso wie in ländlichen Räumen. Gerade auf dem Land geht auch heute ohne das Auto nichts, da auch die öffentlichen Nahverkehre oft fehlen. Es sichert soziale Teilhabe, wird gebraucht für den Weg zur Arbeit, den Einkauf, um die Kinder zum Sport zu bringen. Ich bin übrigens ein großer Fan des autonomen Fahrens, weil es erhebliche Chancen bietet, Mobilität für alle auf Dauer zu ermöglichen, insbesondere in ländlichen Regionen.
Zuletzt wurde viel über Importzölle für E-Autos aus China diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Müller: Zölle sind kein geeignetes Instrument, um die Herausforderung zu lösen. Natürlich gibt es in China Subventionen, mit denen man sich in Gesprächen mit China dringend befassen muss. Die nun erlassenen Zölle zeigen aber, wie vielschichtig das Thema und die Herausforderung sind. Diese Zölle bekommen ja nicht nur chinesische Hersteller, sondern alle Autos, die in China hergestellt werden - auch die von deutschen Herstellern, die aus China in die EU importieren. Zudem wissen wir als exportorientierte Industrie, wie wichtig offene Märkte sind, nicht nur für die Absatzzahlen, sondern auch für die Kooperationen von Regionen miteinander. Die EU und China müssen jetzt sehr engagiert verhandeln und gemeinsam Lösungen finden. Protektionismusspiralen helfen der deutschen, exportorientierten Industrie auf jeden Fall nicht.
Wie sieht eigentlich Ihre Vision vom Fahren in der Zukunft aus?
Müller: Noch klimaneutraler, noch digitaler, noch sicherer. Das ist möglich durch Forschung, Entwicklung, Innovation und auch durch gute Kooperationen, die es zwischen Herstellern und Forschungsorganisationen in Deutschland, wie z.B. Fraunhofer, gibt. Und ich bin sicher: Die Zukunft wird die verschiedensten Formen von Mobilität beinhalten, die Angebote noch mehr miteinander vernetzen. Am Ende muss man immer den Menschen im Blick halten und seine Bedarfe. Je besser und optimierter ihm Angebote gemacht werden, umso schneller erreichen wir auch klimaneutrale Mobilität.
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