Mannheim. EU-Entwaldungsverordnung. Das Wort löst bei vielen Unternehmern wahrscheinlich ein leichtes Gruseln aus – ähnlich wie das in der Wirtschaft teilweise fast verhasste Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Während letzteres nach dem Willen der neuen Bundesregierung möglichst zeitig abgeschafft werden soll, muss die EU-Entwaldungsverordnung, kurz EUDR, schon bald von vielen Firmen berücksichtigt werden. Ähnlich wie das LkSG zielt das neue Regelwerk auf die Lieferketten der Unternehmen ab und soll dort für mehr Nachhaltigkeit sorgen.
Dass es beim Thema Nachhaltigkeit in Lieferketten insgesamt noch einiges zu tun gibt, macht Gunther Beger bei seinem Auftritt in Mannheim deutlich. Er ist Geschäftsführer der UN-Organisation UNIDO, die Entwicklungsländer beim Aufbau einer nachhaltigen und umweltgerechten Industrie unterstützen will. Und er ist einer der Keynote-Speaker beim diesjährigen Sustainability Osapiens Summit, einem zweitägigen Nachhaltigkeitsgipfel, zu dem das Mannheimer Unternehmen Osapiens in den Rosengarten eingeladen hat.
Das 2018 gegründete Start-up hat eine digitale Plattform entwickelt, die Unternehmen helfen soll, entlang ihrer Lieferketten ESG-Vorschriften – also Nachhaltigkeitsrichtlinien – einzuhalten. Entsprechend dreht sich auf dem Gipfel im Rosengarten, zu dem sich rund 2.600 Menschen angemeldet hatten, vieles um die konkreten Anforderungen und Regelungen, die Firmen hier inzwischen erfüllen müssen. Aber es geht auch darum, warum Regulierung grundsätzlich wichtig ist: In vielen Lieferketten, die die Basis unseres Wirtschaftens und unseres Konsums darstellten, gebe es noch Probleme, erklärt UNIDO-Geschäftsführer Beger. Er verweist auf Kinderarbeit und schlechte Bezahlung, miese Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung, die in einigen Teilen der Welt zum Alltag gehörten. „Viele unserer UNIDO-Partnerländer stehen am Anfang der Lieferketten“, so Beger.
Firmen berichten im Rosengarten über Herausforderungen durch die EUDR
Auch Cem Özdemir, Grünen-Politiker und bis vor kurzem Bundeslandwirtschaftsminister, ist zum Osapiens-Gipfel gekommen. Er betont in seiner Keynote, dass Umwelt- und Klimaschutz „nicht nur eine Frage der Lebensqualität und der Generationengerechtigkeit“ seien: „Es spart uns auch sehr viel Geld.“ Özdemir verweist auf die hohen Kosten, die durch die Folgen des Klimawandels entstehen, auch für die Wirtschaft. Gleichzeitig räumt der Politiker ein, dass das Maß an Regulierung vor allem aus Brüssel stark gestiegen sei, mit entsprechend hoher Belastung gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen. „Es ist teuer, es bindet Zeit und Personal“, so Özdemir. Regulierung müsse deshalb so gestaltet werden, dass sie für die Wirtschaft gut zu bewältigen sei. Und es brauche technische Lösungen – wie die von Osapiens.
Auf seiner Plattform bietet das aufstrebende Mannheimer Unternehmen nach eigenen Angaben Lösungen für verschiedene ESG-Regulierungen, seit Mitte 2023 auch für die EUDR. Sie muss ab Ende 2025 zunächst von mittleren und großen Unternehmen eingehalten werden. Ihr Ziel ist es, die weltweit fortschreitende Entwaldung zu begrenzen, also dafür zu sorgen, dass nicht mehr so viel Wald für eine landwirtschaftliche Nutzung gerodet wird.
Um das zu erreichen, pocht Brüssel künftig auf entwaldungsfreie Lieferketten: Bestimmte Rohstoffe und daraus hergestellte Produkte dürfen künftig nur noch in die EU eingeführt und dort gehandelt werden, wenn nachgewiesen ist, dass dafür kein Wald geschädigt oder abgeholzt wurde. Zu den Rohstoffen zählen unter anderem Kaffee, Kakao, Soja, Holz und Kautschuk. Weil die EUDR auch für Produkte gilt, die aus diesen Rohstoffen hergestellt werden, sind von der Verordnung zahlreiche Branchen betroffen – vom Autozulieferer über Süßwarenhersteller und die Holzindustrie bis hin zu Baumärkten oder Verlagen.
Bei weitem nicht jeder Lieferant schickt Geodaten mit
Die Osapiens-Lösung zur EUDR wird dem Unternehmen zufolge inzwischen von mehr als 400 Kunden genutzt. Einer davon ist das österreichische Familienunternehmen Egger in Tirol. Es stellt Holzwerkstoffe her, also Span- und Faserplatten, zum Beispiel für den Möbelbau oder für Fußböden. Egger-Mitarbeiter Timotheus Möller erklärt im Rosengarten, vor welchen Herausforderungen die Branche durch die EUDR steht: So kommt bis zu einem guten Drittel des Rohholzes von außerhalb der EU – und bei weitem nicht jeder Lieferant stellt bisher Daten zur exakten geografischen Herkunft des Holzes zur Verfügung. Genau die brauchen Firmen wie Egger aber künftig, um nachweisen zu können, dass in ihren Produkten nur EUDR-konformes Holz verarbeitet wurde. Eine weitere Herausforderung sind laut Möller Produkte, in denen Rohstoffe aus verschiedenen Quellen vermischt sind.
Um Kunden bei diesen komplexen Anforderungen zu helfen, habe man eine Lösung entwickelt, die den kompletten Prozess abdecke, erklärt Lukas Ketzer, EUDR-Produktmanager bei Osapiens. Das beginne bei der Analyse, welche Produkte und Lieferanten eines Unternehmens überhaupt von der Verordnung betroffen sind, über die Risikoprüfung bis hin zur abschließenden Sorgfaltserklärung und deren automatisierte Übermittlung an Behörden oder Kunden.
Nach Ketzers Einschätzung ist die Wirtschaft Stand jetzt, also ein gutes halbes Jahr, bevor die EUDR eingehalten werden muss, unterschiedlich gut aufgestellt bei dem Thema: „Am Ende der Lieferketten, also im Handel, aber auch bei den Importeuren, hat man schon recht früh begonnen, sich vorzubereiten“, sagt der Produktmanager. Dazwischen gebe es viele Industrien, die erst jetzt nach und nach aktiv würden, weil der Druck auf die Lieferketten steige.
Resilienz wird bei Lieferketten immer wichtiger
Osapiens-COO Stefan Wawrzinek beobachtet unterdessen, dass der Fokus vieler Unternehmen inzwischen nicht mehr nur auf der Compliance ihrer Lieferketten liegt – also darauf, dass sie in Einklang mit nationalen und internationalen Regelungen stehen. „Vor allem in den letzten Monaten hat ein neues Thema zunehmend an Bedeutung gewonnen: die Resilienz von Lieferketten.“ Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen hätten offengelegt, wie vulnerabel diese teilweise seien.
Während beide Aspekte, Compliance und Resilienz, auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirkten, gebe es doch eine gemeinsame Basis: „Für beides braucht es Daten, die sich außerdem oft überschneiden.“ Die Herausforderung dabei sei, dass die Daten fragmentiert seien und aus vielen verschiedenen Quellen kämen. Beim Thema Resilienz müssten außerdem immer wieder aktuelle Daten ausgewertet werden, zum Beispiel zu Naturkatastrophen oder Konflikten. „Dafür braucht es eine Plattform“, so Wawrzinek.
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