Mannheim. Timo Potsch setzt sich die VR-Brille auf, nimmt die Spritzpistole in die Hand und beginnt zu lackieren. Für den Außenstehenden sieht es aus, als schwenke er nur den rechten Arm hin und her, in der virtuellen Welt, in der sich Potsch bewegt, lackiert er gerade in einer Werkstatt eine Autotür. „Immer schön gleichmäßig hin- und herbewegen und den richtigen Abstand einhalten“, sagt Potsch. Der 40-Jährige ist Ausbilder bei der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald und betreut angehende Lackierer im Rahmen einer überbetrieblichen Ausbildung.
Überbetriebliche Ausbildung in Mannheim
In der Bildungsakademie der Handwerkskammer im Wohlgelegen werden Auszubildende von Mitgliedsbetrieben aus der Region wochenweise ausgebildet. Denn nicht jeder Betrieb kann alle geforderten Ausbildungsinhalte vermitteln, manche Firmen sind zu spezialisiert, andere haben schlicht nicht die Möglichkeit dazu.
Die überbetriebliche Ausbildung in den Werkstätten der Bildungsakademie stellt sicher, dass sämtliche Ausbildungsinhalte des jeweiligen Berufsbildes abgedeckt sind. So kommen die Lehrlinge regelmäßig bei Timo Potsch vorbei, insgesamt sind es sechs Wochen verteilt über drei Jahre Ausbildung.

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Seit einem Jahr starten die angehenden Lackierer mit einem Ausflug in die virtuelle Welt. Bevor sie in die echte Lackierkabine gehen, dürfen sie mittels VR-Technologie das Auftragen verschiedener Lackschichten auf Autotüren, Motorhauben, Kotflügel und Stoßstangen üben.
Finanzielle Förderung durch den Bund
95 000 Euro haben die beiden Farbspritzsimulatoren gekostet. Die Investition musste die Handwerkskammer aber nur zu Teilen stemmen - das Projekt wurde aus dem Sonderprogramm zur Digitalisierung des Bundes gefördert.
Was an Kosten übrig blieb, hat sich bald amortisiert: „In wenigen Jahren hat sich das gerechnet“, so Potsch. Denn Lackiermaterial ist teuer, für einen Liter sind es zwischen 120 bis 180 Euro. „Da ist es sinnvoller, zunächst nur virtuell zu lackieren, außerdem schont es die Ressourcen und die Umwelt“, betont Potsch.
Feedbacksystem informiert automatisch über Fehler
Während des Arbeitsvorgangs gibt ein Feedbacksystem Informationen zu Aspekten wie Lackdichte, Abstand, Geschwindigkeit und Sprühwinkel. So kann nachgesteuert werden. Am Ende wird dann mittels Prozentzahlen und einer farbigen Illustration das Ergebnis bewertet. Wie hoch ist die Farbabdeckung? Wo wurde zu viel, wo zu wenig Farbe aufgetragen? Wo sind hässliche Rotznasen entstanden, Stellen, an denen die Farbe zu dick aufgetragen wurde und darum heruntertropft?
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Weil eine echte Farbspritzpistole zum Einsatz kommt, lernen die Auszubildenden zugleich das Handling, bekommen ein Gefühl für das Gerät später in der Praxis. „Die Technik begeistert vor allem junge Leute“, sagt Potsch, der die VR-Technologie unter anderem auf Ausbildungsmessen präsentiert, um für den Beruf des Lackierers zu werben.
Potenzial für verschiedene Ausbildungsberufe
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht in VR-Technologien Potenzial für eine Reihe von Lernsituationen, zurzeit werde ihr Einsatz in verschiedenen Handwerksberufen erprobt. Die Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk hat, gefördert vom Bundesforschungsministerium, beispielsweise eine VR-Lackierwerkstatt entwickelt, HandleVR, die als Open Software genutzt werden kann.
In einem anderen Projekt entstand ein Lernspiel für Auszubildende in der Metall- und Elektrotechnik um die Fehlerdiagnose am Beispiel einer Offshore-Windkraftanalge zu trainieren. Auch im Print- und Medientechnologenhandwerk werden Möglichkeiten von VR getestet.
Das Problem: Es gibt bislang nur wenig VR-Lernmaterial, außerdem sind die Anschaffungskosten hoch, so dass sich der Einsatz in erster Linie für Bildungsstätten lohnt, in denen mehrere Azubis zusammenkommen.
Auch Bauschlosser und Schreiner können in virtueller Lackierwerkstatt üben
„Bei der Verwendung neuer Technologien stellt sich zudem immer die Frage, ob der Mehrwert gegeben ist“, betont Marina Litterscheidt von der Handwerkskammer Mannheim. Es gehe hierbei nicht um Spielereien. „Es muss gewährleistet sein, dass die Technologie einen echten Lerneffekt mitbringt.“ Dies sei bei der VR-Brille für die Maler und Lackierer gegeben. Die Software, die die Mannheimer Handwerkskammer nutzt, hat darüber hinaus den Vorteil, dass das Gerät für verschiedene Gewerke ausgelegt ist und damit einen größeren Verwendungs- und Schulungsbereich abdeckt. So können beispielsweise auch Bauschlosser oder Schreiner mit der VR-Technologie das Farbsprühen lernen. „Die Software simuliert hierbei die Eigenheiten des jeweiligen Gewerks - beim Schreiner also beispielsweise Holz - und auch verschiedene Lackiersysteme“, erklärt Litterscheidt.
Zu Beginn der Ausbildung gibt Timo Potsch seinen Highscore im VR-Sprühen vor. Der Wettkampf für die Azubis ist damit eröffnet.
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