Interview

Herr Stichnoth, würden Sie das Ehegattensplitting kippen?

Die Bundesregierung will die Besteuerung von Eheleuten reformieren und die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen. Das soll Frauen aus der Teilzeitfalle führen und die Einkommen unter den Paaren fairer verteilen. Ob das was bringt, erklärt ein Steuerexperte des Mannheimer ZEW

Von 
Walter Serif
Lesedauer: 
Beim Ehegattensplitting profitiert der Partner mit dem höheren Verdienst – das will die Bundesregierung ändern. © Andrea Warnecke/dpa

Mannheim. Herr Stichnoth, ich falle mal gleich mit der Tür ins Haus. Wie halten Sie es mit dem Ehegattensplitting?

Holger Stichnoth: Das Ehegattensplitting ist ein Dauerbrenner in der steuer- und sozialpolitischen Debatte. Die Argumente dafür und dagegen liegen ja schon seit 1958 auf dem Tisch, als das Ehegattensplitting eingeführt wurde. Es unterstützt Ehepaare pro Jahr mit rund 25 Milliarden Euro. Das Ehegattensplitting setzt aber auch negative Anreize, weil es sich für den Zweitverdiener steuerlich weniger lohnt zu arbeiten. Und das sind meistens die Frauen.

Sie meinen, dass das Ehegattensplitting deshalb für Frauen zur Teilzeitfalle wird, wie es Familienministerin Lisa Paus ausdrückt.

Stichnoth: Diesen Effekt gibt es auf jeden Fall, aber wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail. Die Debatte hat natürlich noch einmal Fahrt aufgenommen durch den Arbeitskräftemangel, unter dem Deutschland derzeit leidet. Aber man darf sich mit Blick auf die bisherigen Studien keine Wunderdinge erwarten, wenn man das Ehegattensplitting reformieren würde.

Ich finde, dass die Steuerentlastung der Familien in Deutschland eher zu niedrig ist.

Ich glaube nicht, dass das Ehegattensplitting die Hauptursache dafür ist, dass die Frauen in Deutschland im europäischen Vergleich weniger Vollzeit arbeiten.

Stichnoth: Das sehe ich auch so. Allerdings hat es in Schweden nach der Abschaffung des Ehegattensplittings schon positive Effekte auf die Erwerbstätigkeit der Frauen gegeben. Die Wirkung war allerdings nicht besonders groß. Laut Schätzungen würden in Deutschland bei einer Reform vielleicht 100 000 bis 200 000 neue Vollzeitstellen entstehen. Damit ließe sich das Problem des Fachkräftemangels natürlich nicht lösen. Das heißt aber auch nicht, dass man das Ehegattensplitting nicht reformieren sollte.

Nehmen wir mal ein klassisches Beispiel mit all den üblichen Klischees: Der Ehemann ist Arzt und hat deshalb natürlich ein viel höheres Gehalt als seine Frau, die halbtags als Sprechstundenhilfe arbeitet. Dann sagt er zu ihr: Ich verdiene genug, du kannst dich nachmittags um die Kinder kümmern, außerdem sparen wir dann auch noch Betreuungskosten.

Stichnoth: Ja, so läuft es vielleicht in manchen Familien ab. Wir sollten aber an dieser Stelle Ihren Lesern erst einmal die Funktionsweise des Ehegattensplittings erklären.

Nur zu.

Stichnoth: Auf der einen Seite gibt es einen Einkommenseffekt, wenn die Familien 25 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung haben. Dann ist für sie logischerweise der Anreiz zum Arbeiten kleiner. Wenn aber jetzt beide Partner ihre Arbeitszeit erhöhen und mehr verdienen, würde jeder zusätzlich verdiente Euro des Paars gleich hoch besteuert, nämlich mit der Hälfte des zu versteuernden Einkommens. Bei einer Individualbesteuerung würde hingegen der vom Arzt verdiente Euro höher besteuert als der der Sprechstundenhilfe.

Mehr zum Thema

Morgenupdate

Die Nachrichten am Morgen für Mannheim und die Region

Veröffentlicht
Von
jab
Mehr erfahren

Moment mal, das ist aber nur bei der monatlichen Gehaltsabrechnung so, wenn der Gutverdiener die Steuerklasse 3 und der Geringverdiener die Steuerklasse 5 wählt. Bei der Steuererklärung wirft das Finanzamt aber die zwei Gehälter in einen Topf und berechnet daraus die Einkommensteuer.

Stichnoth: Da geht es in der Debatte manchmal durcheinander. Das Ehegattensplitting selbst sorgt nämlich in der Tat für Neutralität. Den Fiskus interessiert es nicht, wer das Einkommen in der Familie erwirtschaftet und wer mehr oder weniger verdient. Er schmeißt alles in einen Topf, halbiert die zwei Einkommen und legt die Steuerlast fest. Die bleibt dann gleich hoch, egal ob einer 40 000 Euro und der andere null Euro oder beide jeweils 20 000 Euro verdienen. Das Ergebnis ist immer dasselbe. Das heißt im Vergleich zur Individualbesteuerung, die es in den meisten Ländern gibt, werden die Familien beim Ehegattensplitting steuerlich besser gestellt, was ich gut finde. Andererseits ist die Steuerbelastung des Zweitverdieners größer als bei einer Individualbesteuerung.

Die Bundesregierung will deshalb die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen und das sogenannte Faktorverfahren einführen. Dann würde die Steuerlast übers ganze Jahr gerechter verteilt, in unserem Beispiel hätte der Arzt dann weniger, die Sprechstundenhilfe dagegen mehr Geld auf dem Gehaltskonto.

Stichnoth: Ja, das ist eine gute Idee, aber die Koalition will damit bis 2030 warten, obwohl eine solche Regelung nun wirklich nicht besonders kompliziert wäre. Das klingt für mich ein bisschen nach Verschleppung, wenn jetzt sechs Jahre nichts passieren soll.

Holger Stichnoth



  • Holger Stichnoth wurde am 20. Mai 1977 in Hannover geboren.
  • Stichnoth arbeitet seit 2009 am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er leitet die ForschungsgruppeUngleichheit und Verteilungspolitik“.
  • Zu seinen Schwerpunkten gehört neben der Familienökonomik die empirische Analyse der Auswirkungen von Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers auf Einkommen und Erwerbstätigkeit.
  • Er studierte Wirtschaftswissenschaft an den Universitäten in Konstanz, Edinburgh und Berlin. was (Bild: ZEW)

Das Faktorverfahren würde auf jeden Fall für mehr Gerechtigkeit sorgen, weil der Geringverdiener mehr auf dem Konto hätte. Und wenn es kein gemeinsames Konto gibt, kassiert der Besserverdiener dann auch noch die Steuernachzahlung allein ab.

Stichnoth: Aber selbst wenn die Familie ein gemeinsames Konto hat, gibt es doch zumindest bei uns zu Hause wie wahrscheinlich auch bei anderen Paaren manchmal ein wenig kleinliche Diskussionen darüber, wer jetzt wie viel zur Hausarbeit und zum Haushaltseinkommen beiträgt.

Das Ehegattensplitting hat auch eine Verteilungswirkung.

Stichnoth: Das stimmt. Die Splittingwirkung wird größer, wenn die Einkommen höher sind. Das liegt eben daran, dass wir ein progressives Einkommensteuersystem haben, bei dem die Steuerlast eben nicht gleichmäßig steigt. Im Umkehrschluss heißt das natürlich, dass höhere Einkommen von Steuervorteilen wie eben dem Ehegattensplitting mehr profitieren als niedrige.

Familienministerin Paus würde am liebsten das Ehegattensplitting ganz kippen. Würden Sie diese Forderung unterstützen?

Stichnoth: Nein. Ich finde, dass die Steuerentlastung der Familien in Deutschland eher zu niedrig ist. Die Familien sind ja doppelt belastet. Sie müssen selbst in die Sozialversicherungskassen einzahlen und haben gleichzeitig Aufwendungen für das Großziehen der nächsten Generation. Das ist zwar vor allem ein Thema für die Sozialversicherungen, aber ich hätte schon Bauchschmerzen, wenn die Familien durch den Wegfall des Ehegattensplittings auf einen Schlag um 25 Milliarden Euro schlechter gestellt würden. Zumal das aus verfassungsrechtlichen Gründen wohl auch nicht möglich wäre. Auch bei anderen Lösungen, die nicht so krass ausfallen würden, hätten die Familien am Ende weniger in der Kasse. Das finde ich schlecht. Eine Reform des Splittings müsste also Teil eines Gesamtpakets sein, das Familien insgesamt besser und nicht schlechter stellt. 

Es gibt aber auch Ehepaare, die keine Kinder in die Welt setzen wollen oder können. Sie profitieren auch vom Steuervorteil und können dann schön in Urlaub fahren oder sich ein teures Auto kaufen. Müsste man das Ehegattensplitting deshalb nicht durch ein Familiensplitting ersetzen, bei dem eben auch die Kinder eine Rolle spielen?

Stichnoth: Ich würde schon zwischen der Förderung der Ehe und der Kinder unterscheiden.

Aber in Frankreich . .

Stichnoth: . . . da kenne ich mich sehr gut aus, denn meine Frau ist Französin, da gibt es in der Tat einen Splittingfaktor von zwei für die Eltern, man addiert deren Einkommen und teilt sie durch zwei. Der Splittingfaktor wird dann beim ersten und zweiten Kind um jeweils 0,5 Prozent erhöht. Bei dritten Kind beträgt er dann eins.

Das klingt doch gut.

Stichnoth: Dafür ist das Kindergeld in Frankreich aber nicht so großzügig wie bei uns. Es gibt Studien, die das deutsche und das französische System genau vergleichen. Je nach Kinderzahl ist mal das eine, mal das andere besser. Klar ist aber, dass in Frankreich die Familien mit höheren Einkommen einen größeren Steuervorteil haben. In Deutschland gibt es da ja auch eine Debatte, wenn es um die Kinderfreibeträge geht. Da lautet das Argument der Kritiker, dass dem Staat die Kinder von Eltern mit höherem Einkommen mehr wert sind, weil der Steuervorteil höher als das Kindergeld ist. Diesen Effekt würde man in Deutschland bei einer Übernahme des französischen Modells noch verschärfen. Allerdings muss man da auch wissen, dass in Frankreich das Familiensplitting ab einem bestimmten Einkommen gedeckelt ist, weil man dieses Problem auch erkannt hat.

Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums belaufen sich die Leistungen für die Familien auf fast 100 Milliarden Euro. Andererseits nimmt die Armut von Kindern und Alleinerziehenden zu. Verteilt der Staat also zu wenig Geld oder geht er zu sehr nach dem Gießkannenprinzip vor?

Stichnoth: Das ist eine gute Frage. Es gibt in etwas 150 Teilleistungen für die Familien, das ist ein regelrechtes Dickicht, da fällt der Überblick manchmal schwer.

Sie haben vorhin von der Belastung der Familien gesprochen. Die ist im Laufe der Zeit stark gestiegen. Da stellt sich die Frage, ob der gleichzeitige Anstieg der Transferleistungen die gestiegenen Kosten ausgeglichen hat oder eben nicht.

Stichnoth: Aus verteilungspolitscher Sicht ist das natürlich eine sehr wichtige Frage, denn man müsste dann ja auch den Vergleich mit dem Beitrag anstellen, den die Familien für die Gesellschaft leisten. Wir sollten das mal in einer Studie am ZEW untersuchen.

Dann machen wir wieder ein Interview.

Stichnoth: Gerne.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke