Interview

Grünen-Chefin Lang: „Wir brauchen einen Brücken-Strompreis“

Die Grünen wollen unbedingt den Preisdeckel auf Industriestrom. Im Interview erklärt die Bundesvorsitzende Ricarda Lang, warum der Staat energieintensive Unternehmen wie die Ludwigshafener BASF unterstützen soll

Von 
Walter Serif
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Grünen-Chefin Ricarda Lang will mehr Geld in den Wirtschaftsstandort Deutschland investieren. © Christoph Bluethner

Berlin. Frau Lang, wie leidensfähig sind Sie denn?

Ricarda Lang: Einigermaßen.

Das ist gut so, denn Sie haben sich vergangene Woche auf Ihrer Sommertour von den Wirtschaftsunternehmen anhören müssen, dass die Grünen nichts auf die Kette bekommen.

Lang: Den Eindruck teile ich überhaupt nicht.

Wirklich nicht?

Lang: Nein. Es gab sehr viele Gespräche mit ganz unterschiedlichen Unternehmen. Da gab’s einigen Zuspruch und natürlich auch mal Kritik. Das gehört dazu. Und immer wieder ging es mit viel Motivation darum, wie wir gemeinsam die Zukunft des Wirtschaftsstandortes gestalten können. Ich bin nach diesen fünf Tagen auf Tour durch Deutschland wirklich hochmotiviert.

Seit 2022 Grünen-Chefin

  • Ricarda Lang ist die jüngste Vorsitzende in der Parteigeschichte der Grünen.
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  • Geboren 1994 in Filderstadt (Kreis Esslingen in Baden-Württemberg), trat Lang mit 18 Jahren in die Partei ein.
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  • Ein 2012 begonnenes Jurastudium hat sie nicht abgeschlossen.
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  • Von 2017 bis 2019 war Lang bereits Vorsitzende der Grünen Jugend. Seit 2022 ist sie mit Omid Nouripour Bundesvorsitzende der Grünen. aju

Das überrascht mich.

Lang: Ich gebe mal ein Beispiel. Hier vor Ort im Grosskraftwerk Mannheim geht die Region mit der größten Flusswärmepumpe Europas voran. Es ist so viel an Ideen, Fachexpertise und Motivation vorhanden. Mit der Förderung aus dem Wirtschaftsministerium kann diese Pumpe nun zukunftsweisend erprobt werden. Jetzt geht es darum, solche Projekte auch langfristig zum Erfolg zu führen. Wir haben hierzulande großes Potenzial. Mein Eindruck ist: Deutschland ist viel weiter, als es die vielen öffentlichen Debatten mitunter erscheinen lassen.

Aber die Grünen gelten doch – vielleicht mit Ausnahme von Winfried Kretschmann – eher als wirtschaftsfeindlich, oder?

Lang: Nein. Natürlich ist für mich als Baden-Württembergerin die erfolgreiche Politik von Winfried Kretschmann ein gutes Beispiel, aber längst nicht das Einzige. Robert Habeck stellt gerade im Wirtschaftsministerium viele Weichen für einen modernen Wirtschaftsstandort, baut Bürokratie ab, sichert unsere Energieversorgung. Mit Erfolg: Gerade erst haben Unternehmen wie Intel und Northvolt den Bau neuer Fabriken in Deutschland angekündigt. Für mich sind die Grünen die moderne Wirtschaftspartei. Die Unternehmen, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen habe, spiegeln mir, dass der vermeintliche Widerspruch zwischen Wohlstand und Klimaschutz . . .

. . . oder Ökonomie und Ökologie . . .

Lang: . . . mit der Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun hat. Wir wissen, dass sich Unternehmen zunehmend dort ansiedeln, wo es saubere und bezahlbare Energie gibt. Erneuerbare Energien und gute Stromtrassen sind ein Standortfaktor. Und international gibt es ein Wettrennen: Wer schafft es, neue Technologien bei sich anzusiedeln, wo entstehen die Jobs der Zukunft? Da konkurrieren wir eben auch mit den USA oder China, wo gerade sehr viel Geld investiert wird. Wir wollen, dass Deutschland nicht am Seitenrand steht, sondern mit ins Ziel geht. Wir wollen Wohlstand sichern, aber auch da vorne mitspielen, wo neuer Wohlstand entsteht.

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Ich glaube nicht, dass es bei den Unternehmern gut angekommen ist, dass die Grünen vergangene Woche die geplanten Steuerentlastungen im Umfang von 6,5 Milliarden Euro blockiert haben, um mehr Geld für die Kindergrundsicherung durchzubekommen.

Lang: Die Entlastungen wurden doch jetzt gerade in Meseberg beschlossen. Das ist ein guter erster Schritt und es wird weitere Impulse für unsere Wirtschaft brauchen, wie verbesserte Rahmenbedingungen für unsere Industrie und unseren Mittelstand. Im Übrigen finden die meisten Menschen beides wichtig: die Stärkung von Familien und der Wirtschaft. Deswegen tun wir in der Ampel auch beides. Wir sollten Wirtschaft und Soziales nicht gegeneinander ausspielen. Kinderarmut hat enorm hohe Folgekosten für unser Land, weil Kinder, die in Armut aufwachsen, oft auch als Erwachsene arm bleiben. Das ist nicht nur schlimm für die Betroffenen, es ist auch ökonomisch ein großes Problem. Denn angesichts einer immer größeren Lücke an Fach- und Arbeitskräften können wir es uns nicht leisten, dass jedes Jahr fast 50 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Investitionen in unsere Kinder sind Investitionen in unsere Zukunft.

Haben Sie nicht Angst, dass unsere Wirtschaft abschmiert? Deutschland gilt ja wieder als der kranke Mann Europas.

Lang: Ich halte nichts davon, unser Land und seine Menschen schlecht zu reden. Wir haben eine starke Wirtschaft, gute Jobs, ein duales Ausbildungssystem, das international Vorreiter ist. Vor einigen Monaten war ich in den USA, da haben mir viele gesagt: Ihr habt es so schnell geschafft, unabhängig von russischem Gas zu werden, es ist unglaublich, was Deutschland in den letzten eineinhalb Jahren geleistet hat. Aber ja: Natürlich dürfen wir uns darauf nicht ausruhen. Wir sind noch nicht über den Berg.

Wir sind noch in der Rezession.

Lang: Nun braucht es Impulse, um wieder auf Kurs kommen. Dazu gehört auch, in den Standort Deutschland zu investieren. Die USA sind uns da voraus. Gleichzeitig müssen wir Hürden abbauen, gerade auch bei der Bürokratie. In einigen Bereichen hat die Ampel damit schon begonnen: Wir planen beispielsweise die Sanierung von Brücken oder den Ausbau von Stromtrassen jetzt mit viel mehr Tempo als in den letzten Jahrzehnten. Aber natürlich gibt es jede Menge Papierkram, der überflüssig ist, ob beim Amt oder bei der Gästeregistrierung im Hotel. Da wollen wir ran.

Wie wollen Sie die Investitionen denn bezahlen? FDP-Finanzminister Christian Lindner sitzt ja auf dem Geld.

Lang: Wir werden gemeinsam gute Lösungen finden, so wie wir das bei den großen Herausforderungen in den letzten 1,5 Jahren immer getan haben. Uns alle eint, dass wir die Unternehmen im Land stärken wollen. Möglichkeiten gibt es. Wir haben ja im vergangenen Jahr beispielsweise mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds ein Sondervermögen geschaffen, um die Wirtschaft in Zeiten steigender Energiekosten zu schützen.

Da sind noch Mittel übrig.

Lang: Genau. Man könnte aber auch öffentliche Gesellschaften wie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben oder die Deutsche Bahn mit Eigenkapital ausstatten. Die hätten dann mehr Geld und könnten in den sozialen Wohnungsbau oder den Ausbau der Schienennetze investieren.

Stichwort Industriestrom. Die Wissenschaftler des Mannheimer ZEW lehnen einen Preisdeckel auf Industriestrom ab, das würde den Anreiz zum Energiesparen gefährden und damit die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität.

Lang: Ich nehme die Bedenken des ZEW natürlich ernst. Genau deshalb wollen wir das ja auch an Bedingungen knüpfen: Standorterhalt, Tarifbindung und Pläne für den Umbau zu klimaneutraler Wertschöpfung. Aber um die Transformation zu schaffen, ist es wichtig, dass es jetzt kurzfristig Unterstützung für energieintensive Unternehmen gibt, um Jobs und Wertschöpfung hierzulande zu sichern. In ein paar Jahren haben wir so viel erneuerbaren Strom, dass die Preise für Energie sinken werden. Bis es soweit ist, wollen wir eine Brücke bauen. Da wäre ein Industriestrompreis eine wirksame Maßnahme. Wenn energieintensive Unternehmen jetzt abwandern oder woanders investieren, geht hier in Deutschland viel verloren. Da hängen ja auch viele Zuliefererbetriebe dran. Mit einem Brückenstrompreis für energieintensive Unternehmen stärken wir also den ganzen Wirtschaftsstandort.

In den Umfragen sind die Grünen hinter der AfD auf den vierten Platz gefallen. Haben die Grünen eine soziale Schlagseite?

Lang: Im Gegenteil. Mich hat das Thema soziale Gerechtigkeit zu den Grünen gebracht.

Warum sind Sie da nicht zur SPD gegangen, die steht doch traditionell für die soziale Grechtigkeit?

Lang: Ich habe da eine andere Wahrnehmung. Für mich gehört das Thema soziale Gerechtigkeit zur DNA der Grünen. Wir haben uns mit der Kindergrundsicherung entschieden für mehr Chancengleichheit und gegen Kinderarmut eingesetzt. Und wir arbeiten gerade in der Ampel am Tariftreuegesetz, damit es in Zukunft kein staatliches Geld mehr für Lohndumping geben kann.

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Walter Serif
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Sie haben auf Ihrer Sommertour Audi besucht. Auch Audi baut inzwischen E-Autos. Die sind aber sauteuer. Können sich die künftig nur die Gutverdienenden leisten, während der normale Arbeitnehmer seinen schmutzigen Verbrenner behalten muss?

Lang: Nein. Es gibt auch heute schon günstigere Modelle. Die deutsche Automobilwirtschaft hat da den Konkurrenzkampf bei den Preisen noch nicht überall aufgenommen. In China wächst der Markt für E-Mobilität rasant, weil die Hersteller dort bezahlbare Modelle im Angebot haben, auch weil dort schon früher auf neue Antriebe gesetzt wurde. Und wenn wir über Verkehrspolitik reden, geht es insgesamt darum, mehr Freiheit zu ermöglichen. Auch auf dem Land. Also: Fahre ich mit dem Fahrrad, der Bahn . . .

. . . die Bahn fährt dort nicht . . .

Lang: . . . oder nehme ich das Auto. All diese Verkehrsmittel werden Teil der Mobilität, vor allem im ländlichen Raum bleiben. Und natürlich müssen die Autofahrer auch auf einen klimaneutralen und bezahlbaren Antrieb umsteigen können. Das wird in den nächsten Jahren leichter werden, das Angebot nimmt ordentlich zu. Und auch der Gebrauchtmarkt wird in den nächsten Jahren größer werden.

Das Grosskraftwerk Mannheim will bis 2030 klimaneutral werden und ist da auch auf einem guten Weg. Leider gilt dies nach Ansicht des Expertenrats für Klimaschutz nicht für die Klimapolitik der Bundesregierung. Die Maßnahmen der Bundesregierung reichen bis 2030 nicht aus.

Lang: Wir haben von der letzten Bundesregierung eine große Lücke geerbt, die wir jetzt bereits zu 80Prozent geschlossen haben. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Heißt aber auch: 20 Prozent sind noch offen. Das sehe ich als Arbeitsauftrag, den wir tagtäglich annehmen. Wir haben die Ziele erstmalig in greifbare Nähe gerückt.

Wirklich? Im Gutachten steht, dass es bis 2030 nicht schaffbar ist.

Lang: Das ist ja immer eine Prognose auf Basis aktueller Maßnahmen. Wir haben in der Ampel viele Schritte auf den Weg gebracht, darunter den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren, die ihre Dynamik in den nächsten Jahren richtig entfalten werden. Klar, es bleibt noch zu tun, aber es ist machbar.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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