Bensheim. Ein bisschen wirkt es wie ein Computerspiel. „Mit unserer Technologie kann man sich virtuell in einer Anlage bewegen und sich umschauen - mit einer extrem hohen Genauigkeit. Man kann dort arbeiten, Teile anschauen, Maße nehmen, als wäre man selbst vor Ort“, sagt Adrian Merkel, Geschäftsführer von Framence aus dem südhessischen Bensheim. „Den Kunden bringt es Zeit, Geschwindigkeit - und damit auch Geld.“
Aus einfachen Fotos sollen mit KI-gestützter Software automatisch dreidimensionale, fotorealistische digitale Zwillinge entstehen. Der Anwender kann den Zwilling in jedem Browser öffnen und ist damit quasi in Sekunden vor Ort. Zu einzelnen Anlagenteilen, etwa einer Pumpe, werden Informationen hinterlegt: Wo sind bestimmte Leitungen angebracht? Wann ist das Gerät zuletzt gewartet worden? „20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit von Spezialisten wird nur dafür vergeudet, sich Informationen von Anlagenteilen zusammenzusuchen - und eben für die Fahrt, weil sie vor Ort sein müssen“, sagt Merkel. Das soll nun wegfallen.
Aber: Wie bleiben die digitalen Zwillinge aktuell? Schließlich könnte es ja sein, dass zum Beispiel Rohre gezeigt werden, die es in einer Anlage nicht mehr gibt. Hier kommt der Faktor Mensch ins Spiel, der die Realität neu erfassen muss. Es soll einfach funktionieren: Fotos von veränderten Anlagen können mit dem Handy aufgenommen und in den digitalen Zwilling eingepflegt werden.
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Framence wurde 2019 von Adrian Merkel und seinem Vater Peter Merkel in Bensheim gegründet. Der Name ist eine Wortschöpfung aus Framework (Rahmen) und Intelligence (Intelligenz).
50 bis 60 Kunden zählt Framence weltweit, darunter den Ludwigshafener Chemiekonzern BASF und Schenck Process (Mess- und Verfahrenstechnik) in Darmstadt. Das internationale Geschäft ist nach Angaben von Merkel stark. Vor Ort wird mit Partnern zusammengearbeitet - schon allein, weil diese die lokalen (Geschäfts-)Gepflogenheiten besser kennen.
Teil einer Firmengruppe
Framence gehört zu einer Firmengruppe zusammen mit speedikon, Innomatik und WiriTec. Alles ist in Familienhand. „Jede Firma hat ihr eigenes Geschäftsfeld, die Firmen können aber unter sich interagieren“, erklärt Merkel. So entwickelt speedikon Software zur Digitalisierung von Gebäuden, technischen Anlagen und Rechenzentren; Innomatik forscht an Künstlicher Intelligenz; WiriTec spezialisiert sich auf Sensorik und das Management von Energiedaten.
Hybride Realität
- Die Technologie, wie Framence sie anwendet, kann man sich in etwa vorstellen wie Google Streetview - nur eben viel präziser.
- Der englische Fachbegriff ist „Hybrid Reality“. Unter gemischter Realität oder hybrider Realität versteht man die Integration interaktiver, digitalisierter Objekte in die reale Umgebung des Nutzers.
- „Hybrid Reality“ unterscheidet sich von „Augmented Reality“ (erweiterte Realität) dadurch, dass hier nicht nur Bilder angezeigt werden, sondern man mit den Grafiken interagieren und sie verändern kann.
In der Gruppe arbeiten rund 100 Menschen, bei Framence zehn. Es gibt Pläne, die Belegschaft weiter aufzubauen. Doch Personal - Softwareentwickler, Data Scientists, Ingenieure - zu finden, ist schwierig. Neben dem Fachkräftemangel spürt Framence die harte Konkurrenz in der Region, zum Beispiel durch das KI-Start-up Aleph Alpha in Heidelberg. Zu Umsatz und Gewinn werden keine Angaben gemacht. Merkel sagt lediglich: „Der Firmengruppe geht’s gut.“
Der 40-Jährige war schon früh bei den Unternehmungen der Familie dabei. Es habe allerdings nie eine Verpflichtung gegeben, für die Firmengruppe zu arbeiten.
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Beim Gespräch spürt man, dass Merkel Framence Spaß macht. Begeistert erzählt er von einem Erdölkonzern in Brasilien, der mit digitalen Zwillingen Trainings für Leitwarten veranstaltet. So weit, dass die Beschäftigten die Leitwarte sozusagen ins Homeoffice verlegen können. Merkel erzählt auch von einem Betreiber von Wasserkraftwerken in der Türkei: Die Kraftwerke befinden sich an der syrischen Grenze. Das Warten geht jetzt von der Ferne aus. Zudem kann direkt von jedem beliebigen Ort auf die Leittechnik zugegriffen werden.
Datenschutz muss höchste Priorität haben, schließlich handelt es sich oft um kritische Infrastruktur. Auf Wunsch bleiben die Daten auf dem Kunden-Server, sie können aber auch in die Cloud. Autorisierungen für einzelne Nutzer können vergeben werden.
Obgleich das Geschäft international ist, hört man vom Gründer ein klares Bekenntnis zum Stammsitz Bensheim: „Wir sind als Familie hier gebunden.“ Framence will eigenständig als Familienunternehmen bleiben. „Ich will keine Division in einem großen Konzern sein“, sagt Merkel. Auch sich einen größeren Investor mit ins Boot zu holen, sei kein Thema.
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