Mannheim. „Wir wollen die Lebensleistung anerkennen und die Freiheit stärken. Wer länger arbeiten möchte, soll auch mehr davon haben.“ So erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) das Konzept der Aktivrente. Wer über die Altersgrenze hinaus arbeitet, soll 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können.
Das ist auf viel Kritik gestoßen. Dagegen begrüßt die Mannheimer Wissenschaftlerin Tabea Bucher-Koenen das Konzept im Prinzip: „Es ist richtig, sich zu überlegen, mit welchen Möglichkeiten man Anreize setzen kann, damit Menschen länger im Arbeitsmarkt aktiv bleiben“, sagte die Leiterin des Forschungsbereichs „Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte“ des Leibnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) dieser Redaktion.
Was genau ist bei der Aktivrente geplant und was erhofft sich die Koalition?
Die Aktivrente ist ein Wunschprojekt der CDU, die das Konzept zu einem ihrer zentralen Wahlkampfversprechen gemacht hatte. Sie erhofft sich unter anderem einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel. Dem schloss sich Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs an: „Wir setzen weitere Impulse für wirtschaftliches Wachstum in Deutschland.“
Wie sieht das Konzept der Aktivrente aus?
Die Aktivrente ist keine neue Leistung der Rentenversicherung, sondern eine Regelung bei der Einkommensteuer: Wer in Rente geht und freiwillig weiterarbeitet, kann bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen. Voraussetzung ist, dass die Regelaltersgrenze erreicht ist. Sie liegt für den Jahrgang 1960, der in diesem Jahr 65 wird, bei 66 Jahren und vier Monaten, und sie wird schrittweise weiter bis auf 67 erhöht.
Auf die Höhe der Rente hat die Aktivrente keinen Einfluss. Allerdings fallen Sozialbeiträge an: Dem Arbeitnehmer werden die normalen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen, aber keine Rentenbeiträge. Letztere kann er allerdings freiwillig entrichten, was den Rentenanspruch erhöht. Der Arbeitgeber dagegen muss in jedem Fall seine volle Hälfte zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zahlen.
Gilt der Freibetrag für alle Senioren?
Nein, nur für Arbeitnehmer, nicht dagegen für Selbständige, Landwirte und Beamte. Das entspreche dem Ziel, „die Ausweitung abhängiger Beschäftigungsverhältnisse zu fördern und so dem sich weiter abzeichnenden Anstieg des Arbeitskräftemangels in diesem Bereich entgegenzuwirken“, heißt es im Gesetzentwurf des Finanzministeriums. Schon heute arbeite eine große Zahl von Selbständigen und Unternehmern nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze weiter. Das zeige, dass es für diesen Kreis keine weiteren Anreize brauche.
Experten dagegen kritisieren, diese Ungleichbehandlung sei ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz. Auch Bucher-Koenen hat da Zweifel. Kein Wunder, dass sich der Gesetzentwurf bemüht, solche Zweifel auszuräumen. „Angesichts der gegebenen demografischen Entwicklung sind Maßnahmen zur steuerlichen Förderung freiwilliger Arbeit auch im Rentenalter geboten.“ Die Aktivrente helfe, personelle Engpässe zu entschärfen und Erfahrungswissen länger in den Betrieben zu halten. Daher diene sie der „Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit“, und sie wirke sich langfristig auch positiv für Jüngere aus.
Benachteiligt die Regelung trotzdem die Jungen?
Es gibt tatsächlich Experten, die sie für eine verbotene Altersdiskriminierung halten – im Nachteil sind die Jungen.
Wie viele Menschen werden die Aktivrente nutzen?
Das lässt sich schwer sagen. Schon heute arbeiten nur etwa 40 Prozent der Senioren bis zur Regelaltersgrenze, wendet die ZEW-Forscherin ein, die auch Professorin für Finanzmärkte an der Uni Mannheim ist. 60 Prozent nutzen die Möglichkeiten, vorzeitig auszusteigen – mit einer abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren, einer Rente mit Abschlägen nach 35 Berufsjahren oder einer Schwerbehindertenrente.
Laut Gesetzentwurf rechnet Klingbeil mit 168.000 Personen. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt sogar auf 235.000. Ob das Modell tatsächlich gegen den Fachkräftemangel helfe, komme sehr auf die einzelnen Betriebe und Branchen an, betont Bucher-Koenen: „Sie müssen Arbeitsbedingungen schaffen, die es auch älteren Arbeitnehmern ermöglichen, weiter einen Beitrag zur Wirtschaftsleistung zu erbringen.“
Was kostet die Aktivrente?
Auch das lässt sich schwer vorhersagen. Das Bundesfinanzministerium nennt Steuerausfälle von 890 Millionen Euro im Jahr. Klar ist, dass es zu Mitnahmeeffekten kommen wird: Auch Rentner, die bereits einen Angestellten-Job haben, profitieren davon. Das könnte sogar zu Mindereinnahmen von bis zu 1,4 Milliarden Euro führen, schätzte das IW in einer Studie. Doppelt so hoch wäre der Ausfall, wenn auch Selbständige in die Regelung einbezogen würden. Dem stehen allerdings Mehreinnahmen der Betriebe durch die zusätzlichen Aktivitäten gegenüber.
Gibt es Auswirkungen auf die Besteuerung der Rente?
Nein. Zeitweise war ein Progressionsvorbehalt im Gespräch. Das hätte zur Folge gehabt, dass zwar für die Aktivrente keine Steuer anfällt, aber der Steuersatz für andere Einkünfte steigt, auch für die Rente, die Folge des progressiven Steuertarifs. Die CDU konnte aber durchsetzen, dass darauf verzichtet wird.
Wie viel kann der Einzelne sparen?
Die Rentner bekommen den Vorteil nicht erst bei der Steuererklärung. Vielmehr berücksichtigt der Arbeitgeber den Freibetrag schon bei der Gehaltsabrechnung. Ein lediger Rentner, der 2.000 Euro im Monat verdient, erhält netto 1.788 Euro, hat das gemeinnützige Finanzportal finanztip.de ausgerechnet: Ihm werden keine Steuern abgezogen, aber 212 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung, wenn der Krankenkassen-Zusatzbeitrag 3,1 Prozent beträgt.
Ein jüngerer Angestellter mit 2.000 Euro Bruttogehalt, der das Rentenalter noch vor sich hat, muss 85 Euro Steuer und 425 Euro Sozialabgaben zahlen, weil bei ihm auch Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung anfallen. Ihm bleiben also netto nur 1.490 Euro im Monat.
Wie geht es weiter?
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf auf den parlamentarischen Weg gebracht, jetzt muss ihn der Bundestag beschließen. Dabei kann es noch zu Veränderungen kommen. Auch der Bundesrat muss zustimmen, weil die Steuerausfälle zu mehr als der Hälfte zu Lasten der Bundesländer und der Gemeinden gehen. Wie sich Baden-Württemberg verhält, ist nach Angaben eines Regierungssprechers noch offen.
Allerdings kritisiert der Stuttgarter Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) die widersprüchliche Politik: „Mit der Aktivrente sollen Menschen motiviert werden, länger zu arbeiten, während die Rente mit 63 den früheren Ruhestand belohnt.“ In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Januar 2026. Die Bundesregierung will bis Ende 2029 überprüfen, ob die Neuregelung tatsächlich zu einer höheren Erwerbsquote unter Senioren geführt hat.
Viele Rentner sind berufstätig
- Derzeit sind etwa 1,23 Millionen Rentner weiter berufstätig , so Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
- Davon haben 645.000 einen Minijob mit geringer Steuer- und Abgabenlast. Etwas mehr als 310.000 sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
- Hinzu kommen etwa 270.000 Selbstständige . dik
Bucher-Koenen hält das für zu kurz gegriffen. In der Rentenpolitik hätten Veränderung von Normen starke Effekte, aber langfristig. „Ich sehe das große Potenzial der Aktivrente vor allen Dingen in der Möglichkeit, solche Normen zu ändern“, dass es nämlich normal werde, trotz Rente das Erwerbsleben fortzusetzen, wenn man sich dazu körperlich und mental in der Lage fühle. „Ein solcher Effekt würde uns schon helfen, wenn man sich die langfristigen Arbeitsmarktentwicklungen und die demografischen Herausforderungen ansieht, insbesondere in den nächsten zehn Jahren“, hofft die ZEW-Wissenschaftlerin.
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