Gesundheitswirtschaft

Forderung nach mehr Akzeptanz

Branche diskutiert beim Fortschrittsdialog über ihre Rolle und ihren Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft

Von 
Christian Schall
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In der Corona-Pandemie hat Roche (hier ein Bild aus dem Entwicklungslabor) unter anderem Antikörpertests entwickelt. © dpa

Mannheim. Dass es im deutschen Gesundheitswesen an vielen Stellen klemmt, wurde erst vor ein paar Tagen am Beispiel der Arzneimittel wieder deutlich. Antibiotika-Säfte für Kinder sind zur Mangelware geworden. Es ist die Fortsetzung einer Versorgungslücke, die zuletzt schon andere Wirkstoffe betroffen hat und die Gesundheit vieler Menschen gefährden kann.

Eine bundesweite Dialogreihe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und Forschung will erreichen, dass die Branche, nämlich die industrielle Gesundheitswirtschaft (iGW), einen angemessenen Stellenwert in Politik und Gesellschaft bekommt. Am Freitag war der „Fortschrittsdialog Gesunde Industriepolitik“ beim Gesundheitskonzern Roche in Mannheim zu Gast.

Die industrielle Gesundheitswirtschaft leistet einen großen Beitrag für nachhaltige Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland – darüber herrschte unter den Referenten Einigkeit. Nur sei das noch nicht in allen Köpfen angekommen. „Das wird von vielen noch verkannt“, sagte Schirmherrin Gabriele Katzmarek. Sie ist Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion und war von 2009 bis 2013 Gemeinderätin in Mannheim. In Baden-Württemberg werde viel über das Auto gesprochen, es sei aber auch ein Standort der iGW.

Den Stellenwert im Land belegte Dennis Ostwald, Chef und Gründer des WiFOR Institute in Darmstadt, mit Zahlen. Während das durchschnittliche Wachstum seit 2012 für die Automobilbranche 2,6 Prozent und für den Maschinenbau 3,1 Prozent betrage, legte es in der iGW um 3,4 Prozent zu. Doch Marktzugangsbeschränkungen, ein geringer Digitalisierungsgrad, erschwerter Datenzugang, Fachkräftemangel und wirtschaftliche Engpässe gefährdeten die Innovationskraft der Branche in Deutschland. Die Folge seien Abwanderung pharmazeutischer Unternehmen ins Ausland, sinkende Innovationskraft und eine schlechtere Patientenversorgung. Das seien keine Drohgebärden, sondern die Wahrheit.

Katzmarek wollte das weniger schwarz sehen. Die Politik habe die Bedeutung erkannt, Kanzler Olaf Scholz habe ein neues Deutschlandtempo angekündigt. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, befand sie und verwies auf hohe Investitionen von Pharmafirmen wie Bayer, Pfizer, Biontech oder Roche. Allerdings – das sagte sie nicht – wurden viele Investitionen beschlossen, als die geopolitische Lage noch eine andere und die Energiekosten niedriger waren.

„Wertschöpfung sollte Wertschätzung erfahren“, forderte Ostwald. Gesundheit sei kein Kostenfaktor. „Es ist ein großer Fehler, Gesundheitsausgaben als Kosten zu sehen und nicht als Investition.“ Eine bessere Gesundheit führe zu mehr Wohlstand und in der Folge zu mehr finanziellem Spielraum. Jeder Job, der in der iGW geschaffen werde, schaffe einen weiteren, nachgelagerten Job. In Deutschland müsse nicht mehr, sondern klüger investiert werden. Es werde nur kurzfristig gedacht: „Es gibt kein Konzept, wo die Gesundheitsindustrie 2030 steht.“

„Deutschland hat anscheinend verlernt, in langen zeitlichen Linien zu denken“, sagte Catharina Clay, Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft IG BCE. Kurzfristiger Profit sei wichtiger als nachhaltiger Erfolg gewesen. „Das System ist an seine Grenzen gekommen“, so Clay. Von der Politik forderte sie Planungssicherheit und gute Rahmenbedingungen: „Machen Sie die Pharmaindustrie wieder zu einem Leuchtturm in Deutschland.“

„In Baden-Württemberg ist erkannt worden, welche wichtige volkswirtschaftliche Säule die industrielle Gesundheitswirtschaft darstellt“, erklärte Ralf Kindervater. „Wir müssen aufpassen, dass uns die Welt nicht den Schneid abkauft.“ Er ist Geschäftsführer der landeseigenen Innovationsgesellschaft Biopro, einer Plattform für den Austausch zwischen Politik, Verbänden oder Unternehmen. Mehr als 600 Akteure sind darin vernetzt. Das wünscht sich Roche Pharma-Vorstand Hagen Pfundner auch für Deutschland. Er sieht in der iGW eine „Leitindustrie“. Die benötige aber „Rahmenbedingungen, die verlässlich sind“. Der Bundesgesundheitsminister habe nicht das Verständnis für die iGW.

In Anlehnung an die Rolle von Roche in der Corona-Pandemie (Herstellung und Lieferung von Tests und Medikamenten) sowie die 150-jährige Tradition des Unternehmens in der Stadt sagte Claudia Fleischer, Geschäftsführerin von Roche Diagnostics: „Wir wollen auf eine 150-jährige Geschichte vor uns blicken.“ Dafür brauche es „Rahmenbedingungen, die das auch in Zukunft erlauben“. Jeanette Moser, Betriebsratschefin bei Roche in Mannheim, forderte: „Wir müssen jetzt die richtigen Weichen stellen für Fortschritt und sichere Beschäftigung in Deutschland.“

Redaktion Redakteur in der Wirtschaftsredaktion

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