Mannheim. Natürlich freut sich Achim Wambach jedes Mal, wenn er einen Gast für die Vortragsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ begrüßen kann. Dass der Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaft (ZEW) aber besonders „glücklich ist“, weil Isabel Schnabel am Mittwochabend vor dem Pult steht, ist mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Denn die Ökonomin ist seit ihrem letzten Auftritt auf der Karriereleiter nicht nur gehaltsmäßig weiter aufgestiegen, sondern hat jetzt auch einen Star-Status.
2018 hielt sie den Vortrag noch in ihrer Eigenschaft als eine der fünf Wirtschaftsweisen. Seit 2020 ruht aber ihre Professur an der Universität Bonn. Die 51-Jährige, in jener Stadt geboren, die Schalke-Fans nicht beim Namen nennen dürfen, sitzt seit Anfang 2020 im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Dort hat sie viel Einfluss auf ihre Chefin Christine Lagarde, die als Juristin keine Expertin in der Geldpolitik ist. Anders als die Volkswirtschaftlerin Schnabel, die nach dem Abitur durch ihre Banklehre die erste berufliche Erfahrung mit dem Geld machte.
Newsletter "MM Business" - kostenlos anmelden!
„Als Isabel Schnabel ihren neuen Job antrat, dachte mancher vielleicht, dieser ist nicht so spannend, da kann sie sich ein schönes Leben machen. Doch das war ja schnell vorbei“, witzelt Wambach. Denn nur wenige Monate nach Schnabels Amtsantritt rückte die Geldpolitik der EZB ins Rampenlicht.
Deshalb steht Schnabel inzwischen unter Dauerstress, den Termin am ZEW hat sie sich dennoch freigeschaufelt, nicht nur, weil es ein renommiertes Forschungsinstitut ist. Schnabel studierte in Mannheim, sie hatte dort „zehn tolle Jahre“ und kommt „immer wieder gerne“ in die Quadratestadt.
„Hinterher sind dann alle schlauer“
Die Ökonomin benennt, fast versteckt in einem Nebensatz, das Dilemma, mit dem die Notenbanker seit der Pandemie zu kämpfen haben: „Die Inflationsprognosen der EZB basieren auf unseren eigenen statistischen Modellen, die aber ihre Schwächen und Grenzen aufgezeigt haben.“ An dieser Stelle hört ZEW-Experte Friedrich Heinemann, der natürlich auch im Publikum sitzt, besonders genau zu. Denn er gehört zu den Wissenschaftlern, die recht früh, der EZB vorgeworfen haben, dass sie die Inflation unterschätzt und deshalb die Zinsen zu spät angehoben habe. Mit dieser Ansicht hat er recht behalten, gibt aber zu bedenken, dass auch in der Experten-Welt die Meinungen damals sehr unterschiedlich waren. „Hinterher sind dann alle schlauer“, sagt er.
Gespannt ist aber nicht nur Heinemann darauf, wie sich Schnabel in diesem Punkt aus der Affäre ziehen wird. Zunächst hat es fast den Anschein, als wolle Schnabel die Irrtümer der EZB wegdiskutieren. „Im März 2020, als die die Wirtschaft komplett dichtgemacht wurde, hat sich doch keiner Sorgen um die Inflation, sondern um die Deflation gemacht. Und diese war ja damals eine reale Gefahr“, sagt sie und schiebt hinterher: „Aber keiner hat damit gerechnet, dass es mit der Wirtschaft so schnell wieder aufwärtsgehen würde. Das war eine Fehleinschätzung, aber nicht nur unsere.“
Und was hat das alles mit der Inflation zu tun? Weil dieser ersten Fehleinschätzung gleich die zweite folgte. Stichwort Lieferketten. Die EZB glaubte, dass sich das Problem mit dem Ende der Pandemie schnell in Luft auflösen würde. „Ich kann mich an diesen Tanker erinnern, der 2022 im Suezkanal stecken geblieben ist. Da habe ich mir gedacht: Das kann nicht sein, dass ein einziger Tanker, solche Engpässe Lieferstörungen auslösen kann“, schildert Schnabel ihre damaligen Gedanken.
Steigt der Leitzins weiter
Tja, und dann stiegen die Lebensmittelpreise immer höher und auch die Energie wurde immer teurer - schon vor dem Ukraine-Krieg. Auch Heinemann dachte zunächst, dass es sich grundsätzlich eher eine temporäre Inflation handeln würde. Er bekam aber noch rechtzeitig die Biege. Nicht aber die EZB. Erst im Juli 2011 erhöhte sie den Leitzins von null auf 0,25 Prozent. Das war die erste Erhöhung seit 2011. Seitdem drehte die EZB immer weiter und schneller an der Schraube. Gegenwärtig liegt der Leitzins bei 3,5 Prozent. Dennoch ist die Inflation noch immer zu hoch.
Wird der EZB-Rat deshalb den Leitzins in seiner nächsten Sitzung am 4. Mai erhöhen, fragt Wambach. Schnabel hat gesehen, dass Journalisten im Raum sind. „Ich weiß noch nicht, wie wir bei unserer nächsten Sitzung reagieren. Es gibt lebhafte Diskussionen mit unterschiedlichen Ansichten“, sagt sie, vielleicht hat sie ja heimlich die Diplomatenschule besucht. In der EZB zählt Schnabel eher zu den Falken, die weitere Zinsschritte wollen. Anders als die Tauben, die meinen, bei der Inflation sei das Schlimmste vorbei.
Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, dass Schnabel auch auf die Kerninflation eingeht. Bei ihr werden die Lebensmittel- und Energiepreise herausgerechnet, die ja besonders volatil und gegenwärtig auf historisch hohem Niveau sind. Diese Rechenmethode ergibt aber noch einen Wert von 5,5 Prozent. „Das ist zu viel“, sagt sie. Das würde eher für eine Zinserhöhung sprechen. Aber auch, dass ein anderer ökonomischer Leitsatz nicht mehr absolut gilt: Normalerweise führen Zinserhöhungen in diesem Ausmaß automatisch in die Rezession. Danach sieht es gegenwärtig nicht aus, aber was ist schon normal in diesen verrückten Zeiten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-ezb-mitglied-isabel-schnabel-schliesst-zinserhoehung-nicht-aus-_arid,2075352.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html