Heidelberg. Eigentlich fängt die Geschichte gut an: Als sich Julia V. im Februar 2023 im Lidl-Onlineshop ein E-Bike kauft, ist die Heidelbergerin erstmal happy. Schon länger spielt sie mit dem Gedanken, sich ein Pedelec zu kaufen. Das Angebot des Discounters - ein Modell der Marke Zündapp für 1499 Euro - scheint günstig. Die ersten Monate läuft das Rad super. Doch dann beginnt für Julia V. der Ärger - und dauert bis heute an.
Konkret schildert die Heidelbergerin ihre Erfahrungen so: Ein knappes Jahr nach dem Kauf funktioniert die Hinterbremse des Pedelecs nicht mehr richtig. Julia V. sucht Hilfe bei der nächstgelegenen Fahrradwerkstatt, blitzt dort aber ab: Man repariere keine E-Bikes, heißt es. Auch bei zwei weiteren Werkstätten in Heidelberg sei sie nicht weitergekommen. Man könne das Modell nicht zur Reparatur annehmen, weil man keine Ersatzteile dafür bekomme, habe man ihr erklärt.
Anruf bei Kunden-Hotline von Lidl wegen kaputtem E-Bike nicht hilfreich
Gleiches sagt ihr ein Bekannter, der ebenfalls bei einem Fahrradladen in Heidelberg arbeitet. Vier Anfragen also - alle ohne Erfolg. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, die Fahrradhändler wollen das Pedelec einfach nicht reparieren, weil ich es bei einem Discounter gekauft habe.“
Erst jetzt entschließt sich Julia V., beim Kundenservice von Lidl anzurufen. Als Verkäufer ist der Discounter in den ersten zwei Jahren zur Gewährleistung verpflichtet - und damit eigentlich erster Ansprechpartner bei Mängeln am Produkt. „Das war mir in dem Moment aber gar nicht bewusst. Außerdem war ich abgeschreckt von der Idee, dass ich das E-Bike ja dann sicher irgendwo zu Lidl in irgendein Zentrallager oder so bringen muss. Wie hätte es da hinkommen sollen?“
Gewährleistung – diese Rechte gelten beim Onlinekauf
- Onlinehändler sind an die gesetzlich vorgeschriebene zweijährige Gewährleistungsfrist gebunden – egal, ob es sich bei dem verkauften Produkt um ein Pedelec oder um eine Waschmaschine handelt.
- „Konkret bedeutet das: Wenn innerhalb des ersten Jahres nach dem Kauf ein Mangel an dem Produkt auftritt, geht das Gewährleistungsrecht davon aus, dass der Mangel beim Kauf schon vorhanden war. Deshalb muss der Händler dafür sorgen, dass die Ware entweder repariert wird oder der Kunde oder die Kundin Ersatz bekommt“, sagt Oliver Buttler, Leiter der Abteilung Telekommunikation, Internet und Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
- Wie das Produkt für die Reparatur zurück zum Onlinehändler oder in eine von ihm beauftragte Werkstatt komme – darum müssten sich nicht die Kunden, sondern der Onlinehändler kümmern. „Er kann es entweder abholen oder die Kunden bitten, es per Versand zu schicken. Die Kosten dafür muss er dann erstatten. Und wenn die Transportkosten absehbar hoch sind, kann man sogar einen Versandkostenvorschuss verlangen.“
- Auch im zweiten Jahr nach dem Kauf hätten Kunden noch weitreichende Gewährleistungsansprüche – allerdings müssten sie dann im Zweifel nachweisen, dass sie den Schaden am Produkt nicht selbst verursacht haben. „Das kann dann zum Beispiel bei einem Handy, das ganz offensichtlich heruntergefallen ist, schwierig werden. Wenn ein Produkt aber keine äußeren Schäden aufweist, muss der Onlinehändler in der Regel seiner Gewährleistungspflicht nachkommen.“
- Die Gewährleistung gilt laut Buttler für das gesamte Produkt, auch für Verschleißteile wie beispielsweise Fahrradbremsen. Allerdings müsse muss man hier unterscheiden, ob ein Mangel vorliege (z.B., wenn die Bremse generell kaputt ist oder schnell abnutzende Teile verbaut wurden) oder ob das Verschleißteil durch die Nutzung selbst kaputt oder abgenutzt ist – zum Beispiel, weil der Fahrer immer sehr stark bremst und die Bremsbeläge dadurch aufgebraucht sind.
- Generell rät Buttler dazu, Gewährleistungsansprüche im Schadensfall schriftlich geltend zu machen und nicht die Hotline zu nutzen. Zum einen könnten Hotlines an Callcenter – teilweise sogar im Ausland – gegeben werden, die letztlich nur für eine Art Lotsenfunktion zur Verfügung stünden.
- Zum anderen sei es wichtig, nachweisen zu können, dass man die Gewährleistungsrechte fristgerecht geltend gemacht hat. „Den Nachweis habe ich als Kunde aber nur, wenn ich in Textform die Mängel genau benenne und entsprechend zur Beseitigung auffordere – und zwar mit einer Nachbesserungsfrist“, rät der Verbraucherschützer. Bei Anrufen hat man hingegen keine Nachweismöglichkeit.
Der Anruf bei der Kunden-Hotline bringt die Heidelbergerin nach eigenen Worten aber ohnehin nicht weiter: „Die Frau am Telefon war freundlich, konnte mir aber nicht sagen, wo ich das Fahrrad reparieren lassen kann“, sagt sie. „Im Prinzip war der Tenor: Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“ Julia V. ist ratlos - und ruft schließlich beim Fahrradspezialisten Stadler in Mannheim an - „immerhin ein größerer Anbieter“. Doch auch dort erteilt man ihr eine Absage.
Fahrradspezialist: „Haben intern eine rote Liste an Marken, die wir nicht annehmen“
Auf Nachfrage macht man bei Stadler keinen Hehl daraus, dass man die meisten Pedelecs, die über Discounter oder nur über Amazon verkauft werden, in der Werkstatt nicht annimmt. „Das geht nicht gegen diese Händler oder ihre Kunden. Aber in der Vergangenheit haben wir solche Räder zur Reparatur angenommen und haben fast immer dabei draufgelegt und Ärger damit gehabt. Da haben wir sehr viel Lehrgeld bezahlt, deshalb machen wir es inzwischen nicht mehr“, sagt Thomas Snijders, der bei Stadler in Mannheim die Service-Abteilung leitet.
Problematisch sei unter anderem gewesen, dass es in der Regel unmöglich sei, Ersatzteile für manche Discounter-Modelle zu bekommen. „Da müsste man sich dann teilweise mit Anbietern aus China auseinandersetzen“, so Snijders. „Wenn man das nötige Teil dann nicht bekommt, hat man das Rad im Zweifel umsonst auseinandergebaut und muss es dem Kunden trotzdem unrepariert zurückgeben.“
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Zudem seien die eigenen Mitarbeiter nicht auf die Reparatur der Discounter-Modelle geschult. „Wenn wir das Rad aber anfassen und reparieren, sind wir hinterher auch dafür verantwortlich, dass es wieder einwandfrei funktioniert. Das wollten wir, mit Blick auf die Schwierigkeiten, die es bei der Reparatur oft gab, nicht länger auf uns nehmen“, sagt Snijders. Ohnehin mangelt es dem Mannheimer Zweirad-Experten aktuell nicht an Aufträgen. „Im Moment ist bei uns so viel los, dass wir gar keine Discounträder zur Reparatur annehmen können.“
Auch beim Mannheimer Fahrradspezialisten Altig kennt man die Problematik mit den E-Bikes unterschiedlichster Anbieter. „Wir lehnen es zwar nicht grundsätzlich ab, Modelle zu reparieren, für die wir keine Fachhändler sind. Aber wir haben intern eine rote Liste an Marken, die wir nicht annehmen“, sagt Werkstattleiter Alessandro Franke. Darauf stünden vor allem Hersteller, die erfahrungsgemäß einen „extrem schlechten Support“ für Werkstätten anbieten.
Bei Problemen mit dem E-Bike direkt an den Verkäufer wenden
„Wenn ich da eine Info brauche, zu einem Ersatzteil zum Beispiel oder für eine Fehlerdiagnose, kann es sein, dass ich zehn Mails schreiben muss und keine Antwort bekomme. Solange kann ich an dem Rad nicht weiterarbeiten.“ Das bremse nicht nur die Arbeit in der Werkstatt, sondern mache es auch extrem schwer, dem Kunden vorab eine verlässliche Kostenkalkulation zu geben.
„Stellen Sie sich vor, ein Meister muss seine Zeit damit verbringen, tagelang einer Auskunft oder einem Ersatzteil hinterherzutelefonieren. Das bezahlt mir ja keiner.“ Zudem könne es sein, dass das Rad am Ende trotz des Riesenaufwands nicht repariert werden könne. „Ich verstehe gut, dass sich manche Werkstätten diesen Ärger gar nicht erst antun wollen“, so Franke.
Das Zündapp-Modell von Lidl steht dem Werkstattleiter zufolge übrigens nicht auf der roten Liste bei Altig. „Wäre die Kundin zu uns gekommen, hätten wir es wahrscheinlich angenommen. Wir hätten ihr aber auch gleich gesagt, dass wir nicht sicher sind, ob wir es reparieren können und dass am Ende vielleicht trotzdem Kosten für den Aufwand auf sie zukommen.“
Grundsätzlich rät Franke E-Bike-Besitzerinnen und -Besitzern, sich bei Problemen direkt an den jeweiligen Verkäufer zu wenden. Bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg empfiehlt man außerdem, mögliche Ansprüche in solchen Fällen am besten schriftlich geltend zu machen.
Ersatzteil für E-Bike schließlich selbst im Internet besorgt
„Es kommt leider regelmäßig vor, dass Onlinehändler die Gewährleistungsrechte ihrer Kundinnen und Kunden missachten und sie abwimmeln, wenn sie ein Produkt reklamieren wollen. Dabei verstoßen sie damit eindeutig gegen das Gesetz“, sagt Oliver Buttler, Leiter der Abteilung Telekommunikation, Internet und Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Julia V. hat schließlich nach längerer Suche eine Werkstatt in der Region gefunden, die zumindest ein zweites Problem an ihrem E-Bike beseitigt hat: Die Vorderbremse, die zwischenzeitlich auch nicht mehr richtig funktioniert hatte. Die Reparatur sei aber nur möglich gewesen, weil sie selbst über das Internet das entsprechende Ersatzteil bei einem Service-Partner des Herstellers Zündapp besorgt habe.
Dieses habe sie kostenlos bekommen. Nach längerer Wartezeit habe inzwischen auch Lidl - vermittelt über den Service-Partner - 40 Euro für die Reparatur in der Werkstatt erstattet. Den Spaß an ihrem Pedelec hat ihr der ganze Ärger trotzdem ziemlich vermiest: „Ich habe vor allem Angst, dass ich beim nächsten Problem wieder dastehe und nicht weiß, wer mir helfen kann“, sagt sie.
Lidl teilt auf Nachfrage unterdessen mit, man könne zu dem konkreten Fall inhaltlich nicht Stellung nehmen, da beim Kundenservice dazu keine Daten gefunden worden seien. Die betroffene Kundin solle Kontakt zum Kundenservice aufnehmen, um das Problem zu lösen. Auf die Frage, wohin sich Kundinnen und Kunden, die ein E-Bike im Lidl-Onlineshop gekauft hätten, generell für eine Reparatur wenden könnten, heißt es: „Selbstverständlich können sich Kunden des Lidl-Onlineshops im Falle eines Mangels innerhalb der gesetzlichen Gewährleistungsfrist an den Kundenservice wenden“. Dies sei telefonisch, per Mail oder über ein Kontaktformular möglich. Ebenso könnten sich Kunden jederzeit bei offenen Fragen an den Kundenservice wenden.
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