Studie

Darum ist die Zahl der Erwerbstätigen so hoch wie noch nie

Obwohl die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt, haben immer mehr Menschen einen Job. Wissenschaftler des ZEW Mannheim haben in einer Studie untersucht, woran das liegt

Von 
Walter Serif
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Die Zahl der Erwerbstätigen wächst und wächst. © Ulrich Perrey/dpa

Mannheim. Auch die Ökonomen lernen nie aus. Beispiel Erwerbstätigkeit. Normalerweise - so ein alter Lehrsatz - muss das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um etwa ein Prozent steigen, damit das Beschäftigungsniveau gleich bleibt. 2022 und 2023 wuchs es aber nur um 0,5 Prozent pro Jahr. Dennoch ist die Zahl der Erwerbstätigen 2023 um 300 000 auf 45,9 Millionen gestiegen. Mehr Erwerbstätige gab es noch nie in Deutschland - obwohl die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt, wie die genannten Zahlen ja belegen.

Warum ist die Beschäftigung also nicht zurückgegangen? Und wie kann es sein, dass die Erwerbstätigkeit einen historischen Höchststand erreicht hat? Darüber haben sich die Experten vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) den Kopf zerbrochen. Ökonom Friedhelm Pfeiffer und der kaufmännische Geschäftsführer Thomas Kohl haben interessante Erkenntnisse aus ihrer gemeinsamen Studie gewonnen.

Reallöhne in Deutschland gesunken

Dafür, dass die Zahl der Erwerbstätigen gewachsen ist, führen Pfeiffer und Kohl gleich drei Punkte auf der Angebotsseite ins Feld: Zuwanderung, steigendes Renteneintrittsalter und den technologischen Fortschritt, der es ermöglicht, mehr Tätigkeiten flexibel auch von zu Hause statt im Büro zu erledigen. Diese Flexibilität spart - so die ZEW-Experten - Wegekosten und hilft, dass mehr Menschen auch in Teilzeit wieder arbeiten können.

Auf der Nachfrageseite sind die gesunkenen Reallöhne ein weiterer wichtiger Faktor für die Zunahme der Beschäftigung gewesen. Zwischen 2021 und 2022 sanken die Reallöhne der Beschäftigten um 4,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berechnete. Dieser in seiner Höhe in Deutschland ebenfalls einmalige Rückgang hat die Nachfrage nach Arbeit trotz wirtschaftlicher Stagnation stabilisiert und zum jetzigen Höchststand der Beschäftigung beigetragen.

Mit weiteren Tariferhöhungen ist zu rechnen

Das ZEW macht dazu folgende Rechnung auf: Wenn die Reallöhne in der Gesamtwirtschaft um 4,1 Prozent sinken, steigt die Beschäftigung nach den statistischen Erfahrungswerten um 1,23 Prozent. Im Mittel waren 2022 45,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Nimmt man diesen Wert als Ausgangspunkt, sorgten die gesunkenen Reallöhne nach der Auswertung des ZEW für sich genommen für etwa 560 000 zusätzliche Beschäftigte. Das ZEW geht allerdings davon aus, dass die Tarifabschlüsse mit den deutlichen Lohnsteigerungen im vergangenen Jahr den Rückgang der Reallöhne gestoppt haben dürften. Außerdem sind auch im laufenden Jahr weitere Tariferhöhungen wie zum Beispiel bei der Bahn zu erwarten.

Neben der Erwerbstätigkeit ist in den vergangenen Jahren auch das Arbeitsvolumen gestiegen. Demnach hat die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 2012 bis 2022 um 11,2 Prozent (plus 5,2 Millionen) zugenommen. Ihr Arbeitsvolumen ist im selben Zeitraum nur um 7,7 Prozent (plus 3,9 Milliarden Stunden) gestiegen. Bei der deutlichen Zunahme der Beschäftigung und einer geringeren Zunahme des Arbeitsvolumens ist dieses pro Kopf im Mittel also gesunken.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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