Reform

Bei der Grundsteuer haben Kommunen den Hebel in der Hand - alle Fragen und Antworten

Am 1. Januar 2025 startet die umstrittene Grundsteuerreform. Das Finanzamt Mannheim-Neckarstadt muss 72.000 Grundsteuererklärungen bearbeiten. Eigentümer und Mieter treibt die Frage um: Wie viel muss ich zahlen?

Von 
Walter Serif
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Wie kommen die Finanzämter mit der Flut von Grundsteuererklärungen klar?

Mannheim. Die Sachbearbeiter beim Finanzamt Mannheim-Neckarstadt müssen rund 72 000 Grundsteuer-Erklärungen. Allerdings sind davon erst 78 Prozent eingegangen. Damit liegt das Amt unterm Landesdurchschnitt, den das baden-württembergische Finanzministerium bei der Grundsteuer B auf 92 Prozent beziffert. Darunter fallen bebaute und unbebaute Grundstücke (ohne Land- und Forstwirtschaft).

Die Finanzverwaltung in Mannheim-Neckarstadt hat bereits Erinnerungsschreiben versandt und eine letzte Frist bis zum 15. September gesetzt. „Liegt die endgültige Erklärung auch nach dem Abgabetermin noch nicht vor, kann das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für das betroffene Grundstück schätzen“, heißt es dort. Und: „Zudem liegt es im Ermessen des zuständigen Finanzamtes, einen Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Erklärung verspätet oder gar nicht abgegeben wird.“

Wie wird denn die Grundsteuer ab 2025 berechnet?

Dazu ein Beispiel: Eigentümerin S. hat in der Gemeinde G. im Südwesten ein Einfamilienhaus auf einem 400 Quadratmeter großen Grundstück. Weil der Bodenrichtwert pro Quadratmeter 250 Euro beträgt, beläuft sich der Grundsteuerwert auf 100 000 Euro. Dieser wird mit der sogenannten Steuermesszahl multipliziert. Bei S. sind das 0,00091, weil sie ihr Haus zu Wohnzwecken nutzt. Das ergibt einen Grundsteuermessbetrag von 91 Euro. Dieser wird mit dem Hebesatz der Gemeinde (350 Prozent) multipliziert. Die Grundsteuer beträgt also 318,50 Euro im Jahr. Abgebucht wird meistens alle drei Monate. Wenn der Eigentümer auch Mieter hat, kann er die Grundsteuer anteilig umlegen.

Warum ist die Verunsicherung bei den Eigentümern und Mietern so groß?

Weil die neuen Hebesätze der Kommunen noch nicht feststehen. Doch der Reihe nach: Früher haben die Immobilieneigentümer von der Stadtverwaltung automatisch einen Grundsteuerbescheid bekommen, wenn die Kommune den Hebesatz anpasst. Seit 2022 müssen alle Eigentümer selbst eine Grundsteuererklärung abgeben und die dafür notwendigen Daten eintragen, damit die vom Gesetzgeber beschlossene Grundsteuereform 2025 in Kraft treten kann. Das Finanzamt schickt den Eigentümerinnen und Eigentümern den Grundsteuerwert- und -messbescheid. Allein in Baden-Württemberg müssen 5,6 Millionen Grundstücke neu bewertet werden, weil das Bundesverfassungsgericht 2018 die bisherige Berechnung der rund 36 Millionen Immobilien in Deutschland gekippt hat.

Warum ist die bisherige Bewertung verfassungswidrig?

Die Karlsruher Richter haben eine Neuregelung verlangt – mit einer Übergangsfrist bis Anfang 2025. Sie erklärten die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer für „völlig überholt“. Die Grundsteuerwerte (frühere Bezeichnung: Einheitswerte) wurden 1964 festgesetzt – aber nicht aktualisiert, obwohl das laut Gesetz alle sechs Jahre hätte geschehen müssen. Die Einheitswerte standen also in keinem Verhältnis zum Verkehrswert der Immobilie.

Wie wirkt sich die Grundsteuerreform im Einzelfall aus?

Dazu zwei Beispiele. Eigentümerin R. aus Lörrach und Eigentümer S. aus Edingen-Neckarhausen haben zwei Grundstücke, bei denen die Quadratmeterzahl (482/489) und der neue Bodenrichtwert (480/450) nicht stark variieren. Deshalb kommen sie mit 231 300 und 220 000 Euro auch auf einen ähnlich hohen Grundsteuerwert. Auch die aktuellen Hebesätze – die nächstes Jahr von den Kommunen neu festgelegt werden – liegen mit 450 beziehungsweise 380 Prozent nicht weit auseinander. R. müsste mit 947 Euro rund ein Viertel mehr im Jahr zahlen als S, der auf 761 Euro kommt.

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Der prozentuale Anstieg ist aber völlig unterschiedlich. R. zahlt gegenwärtig mit 370 Euro nämlich schon eine viel höhere Grundsteuer als S, der nur 100 Euro entrichten muss. Deshalb steigt der Grundsteuermessbetrag bei R. „nur“ um 156 Prozent (von 82,26 auf 210,48 Euro). Bei S. erhöht er sich aber von 26,47 Euro auf 220,20 Euro. Das sind 732 Prozent. Der große Unterschied erklärt sich dadurch, dass das Grundstück in Lörrach 1964 höher eingestuft wurde, als jenes in Edingen-Neckarhausen. Durch die neuen Bodenrichtwerte haben sich die Unterschiede angeglichen, weil der Vorort von Mannheim bei der Wertentwicklung seit 1964 mächtig aufgeholt hat.

R. und S. haben in der Vergangenheit also beide von der insgesamt zu niedrigen Bewertung ihrer Grundstücke profitiert, weil der Gesetzgeber die Werte nicht angepasst hat. S. muss im Vergleich mit R. einen viel höheren Anstieg der Grundsteuer einkalkulieren, hat aber dafür früher viel weniger zahlen müssen.

Weil die neuen Hebesätze noch nicht feststehen, wissen die Eigentümer und Mieter nicht, wie viel Grundsteuer sie zahlen müssen. Warum haben die Finanzbehörden nicht gewartet, bis die neuen Hebesätze erhoben sind?

Weil die Kommunen diese erst festsetzen können, wenn sie die Grundsteuermessbescheide ausgewertet haben, die ihnen die Finanzämter zugeschickt haben. Erst auf dieser Basis können sie berechnen, wie hoch der neue Hebesatz liegen muss, damit das Grundsteuer-Aufkommen in der Kommune in etwa gleich bleibt. Die Gemeinden werden die neuen Bescheide allerdings erst nächstes Jahr verschicken – womöglich erst kurz vor der Deadline. Das ist ärgerlich. Denn es kursieren bereits Horrormeldungen, wonach Steuerpflichtige bis zum Zehnfachen ihrer bisherigen Grundsteuer bezahlen müssten. Das liegt daran, dass in diesen Fällen die neuen Grundsteuermessbeträge einfach mit den alten Hebesätzen multipliziert werden. Das ist aber reine Spekulation, weil die Kommunen ihre neuen Hebesätze ja noch gar nicht festgelegt haben.

Die Kommunen sind klamm. Kann kann man sich deshalb darauf verlassen, dass die Grundsteuer nicht übermäßig steigt?

Das ist die Mutter aller Fragen. Allein die Grundsteuer B spült rund 13 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen der Kommunen. Da ihre Ausgaben an allen Ecken steigen, wäre ein Anstieg der Grundsteuer natürlich verlockend. Die Kommunen haben allerdings versprochen, dass die Reform aufkommensneutral sein wird. „Kein Bürgermeister wird politisch überleben, wenn er sich weigert, den Hebesatz zu senken“, sagte Olaf Scholz (SPD) 2019. Damals war er noch Bundesfinanzminister. Auch das baden-württembergische Finanzministerium nimmt die Kommunen beim Wort und verlässt sich darauf, dass es nicht flächendeckend zu einer Erhöhung der Grundsteuer kommen wird. Aber: „Die Kommunen haben es am Ende in der Hand über die Hebesätze zu bestimmen, wie hoch die Grundsteuer in Summe, aber auch für jeden Einzelnen ausfällt.“

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Aufkommensneutral heißt allerdings nicht, dass keiner mehr zahlen muss. Das Finanzministerium erwartet „Belastungsverschiebungen in Einzelfällen“. Warum? „Das ist die zwingende Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, denn die bisherige Bewertung war ja verfassungswidrig, so dass einige Eigentümerinnen und Eigentümer seit Jahren zu Lasten der anderen profitiert haben.“

Das Landesfinanzministerium deutet aber an, dass es „sicher in einer noch festzulegenden Weise für Transparenz sorgen“ will. Dazu haben sich Bundesländer wie Hessen schon entschlossen. Man werde den Kommunen eine Hebesatzempfehlung geben, um die zugesagte Aufkommensneutralität vor Ort zu ermöglichen, so Finanzminister Michael Boddenberg (CDU). Die Hebesatzempfehlung soll auch veröffentlicht werden. Rheinland-Pfalz überlegt noch. Das Misstrauen kommt nicht von ungefähr. Einer Studie zufolge hat 2022 jede achte Kommune die Grundsteuer erhöht.

Bei der Neuregelung der Grundsteuer gibt es verschiedene Modelle. Ist das ein Problem?

Ja. Alle Modelle haben Schwächen, weshalb auch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwarten sind. In Baden-Württemberg zählt zum Beispiel nur das Grundstück. Wer ein Haus zu Wohnzwecken nutzt, bekommt zwar bei der Steuermesszahl einen Rabatt von 30 Prozent, muss aber – wenn die Grundstücke gleich groß sind – genau so viel Grundsteuer zahlen wie der Eigentümer einer Luxus-Villa. Wer in einer Toplage wohnt, zahlt künftig viel mehr, in den einfachen Lagen dürfte die Grundsteuer dagegen sinken. Das heißt, es könnte zu einer stärkeren Spreizung kommen.

Rheinland-Pfalz hat sich für das Bundesmodell entschieden. Hier wird zusätzlich das Gebäude berücksichtigt, was im Vergleich zu Baden-Württemberg gerechter ist. Allerdings ist der Aufwand für Steuerzahler und Finanzamt viel höher. Hessen dagegen hat sich das „Flächen-Faktor-Verfahren“ zusammengebastelt. Im gesamten Bundesland werden die Wohn- und Grundstücksflächen mit demselben Betrag bewertet und dann dieser Wert mit einem speziellen Faktor multipliziert. Dieser kann im Extremfall für eine Villa im Speckgürtel von Frankfurt kleiner sein als für ein Einfamilienhaus aus dem Dorf.

Aber auch an den Bodenrichtwerten gibt es Kritik. Der Steuerrechtler Georg Kirchhof von der Universität Augsburg sieht „systematische Bewertungslücken“. Als Beispiel zitiert er in Berlin den Bodenrichtwert der bevorzugten Wohnlage Wannsee, der bei 1500 liegt. In der weniger attraktiven Lage Neukölln wurde der Bodenrichtwert auf 3200 festgelegt.

Nach einer „Handelsblatt“-Umfrage unter den Länderfinanzministerien haben inzwischen mehr als drei Millionen Eigentümerinnen und Eigentümer Einspruch gegen die Bescheide eingelegt. Angaben aus dem Südwesten fehlen, weil es „keine landesweiten Zahlen“ gibt, so das Finanzministerium. Der Grund: Die Finanzämter lassen die Einsprüche gegenwärtig liegen. „Deshalb können keine Zahlen geliefert werden“, heißt es beim Finanzamt Mannheim-Neckarstadt. „Höchste Priorität“ hat die Bearbeitung der Grundsteuererklärungen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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