Mannheim/Zeitz. In Zeitz, einer Dom- und Residenzstadt im Süden Sachsen-Anhalts, wird seit mehr als 160 Jahren Zucker hergestellt. Davon ist die gesamte Region geprägt. Die 1858 gegründete Fabrik hat die goldenen Jahre der Zuckerproduktion erlebt, ebenso wie zwei Weltkriege und die Planwirtschaft der DDR. Kurz nach der Deutschen Einheit übernahm der Mannheimer Südzucker-Konzern den Standort und baute eine neue Fabrik. „Für die Stadt war die Investition von Südzucker ein Leuchtturm.“
Der Mann, der das sagt, heißt Frank Sachse (kleines Bild). 55 Jahre alt, Betriebsratsvorsitzender im Werk Zeitz. Gelernter Schlosser. Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. Während der Wende beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Zemag. Anfang der 1990er-Jahre beim Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“ in der Lausitz. An seine Karriere bei Südzucker dachte Sachse zu der Zeit noch nicht. Im Gegenteil. Seine Zukunft war unsicher, wie die vieler anderer Menschen auch.
Gepackte Koffer
„Damals hatte ich mich schon an den Gedanken gewöhnt, die Region verlassen zu müssen“, erinnert er sich. „Meine Tante und mein Onkel lebten in Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen) – damit war der Ort klar, wo es hingehen sollte. Gott sei Dank war das nicht notwendig, auch meine Verwandten sind wieder zurückgekommen und ich konnte in Zeitz bleiben. Selbst die Großmutter, die schon auf gepackten Koffern saß, ist in Zeitz geblieben.“ 1995 ergab sich für Sachse die Chance, im neu gebauten Südzucker-Werk als Ausbilder anzufangen.
Doch kurz zurück in DDR-Zeiten. Auch die Zuckerfabrik war ein Volkseigener Betrieb, ab den 1960er Jahren verarbeitete sie als „sozialistische Bruderhilfe“ Rohrohrzucker aus Kuba. Die Planwirtschaft allerdings machte die Wettbewerbsfähigkeit mit dem Westen zunichte. „Man hat versucht, mit so wenig Mitteln wie möglich so viel wie möglich rauszuholen“, sagt Sachse. Nur das Nötigste ist investiert worden. Die Anlagen waren veraltet. Fehlendes Material erschwerte die Produktion.
Zeitz hatte einst eine vielfältige Industrie: einen Schlachthof, eine Molkerei, eine Lederwarenherstellung. Zekiwa, früher größter Kinderwagenhersteller Europas, produzierte hier. „Letztlich ist alles zusammengebrochen, bis auf den Süßwarenhersteller Zetti und eben die Zuckerfabrik – in die investiert worden ist“, sagt Sachse. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl besuchte die Einweihung der neuen Fabrik 1993 und übernachtete in der Stadt. „Zeitz ist mit der Zuckerfabrik von Anfang an verwurzelt gewesen. Sie ist identitätsstiftend für die Stadt“, sagt Sachse.
Südzucker hat in den vergangenen 30 Jahren nach eigenen Angaben rund 800 Millionen Euro in den Standort investiert. Er gilt als starker Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Laut Studie der Technischen Universität Darmstadt generiert jeder der rund 450 Arbeitsplätze in Zeitz fast 14 Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen.
Als Verbundstandort sind Produktionsabläufe von Zuckerfabrik, Weizenstärkeanlage und Ethanolproduktion aufeinander abgestimmt. Technische und personelle Ressourcen werden gemeinsam genutzt.
Seit einigen Jahren liegt die Ausbildungsquote bei zehn Prozent, derzeit sind rund 40 Lehrlinge am Standort. Elektriker, Kaufleute, Laboranten, seit neuestem Chemikanten. Allerdings nimmt die Zahl der Lehrstellenbewerber im Osten stark ab. Die Kinder der Generation, die nach der Wende keinen Job gefunden und den Osten deshalb verlassen hat, fehlen.
Abschied von der Kohle
Zwischen den Schwesterwerken im Bundesgebiet gebe es einen „wertvollen Gedankenaustausch“, sagt Sachse. Die Diskussion Ost-West spiele keine Rolle, weder bei der Bezahlung noch im Gesamtbetriebsrat. „Von Anfang an war es eine Begegnung auf Augenhöhe.“
Was Südzucker derzeit umtreibt, ist die künftige Energieversorgung des Standorts. Noch wird der überwiegende Teil durch Braunkohle gedeckt. Was aber passiert nach dem Kohleausstieg, den die Regierung beschlossen hat? Derzeit würden alternative Versorgungskonzepte mit grünen Gasen, Erdgas und Biomasse geprüft, erklärt ein Konzernsprecher. Der Kohleausstieg mache enorme Investitionen notwendig.
Persönlich zieht Frank Sachse ein positives Fazit der Deutschen Einheit. Er hat Glück gehabt. Sein Lebensweg hätte ganz anders verlaufen können.
Klar gibt es insgesamt noch viel zu tun. Durch den Bevölkerungsschwund veröden im Osten komplette Landstriche. Nach wie vor ist das Ost-West-Denken in vielen Köpfen verankert. „40 Jahre waren wir getrennt – und 40 Jahre wird es auch dauern, bis das neutralisiert ist“, sagt Sachse. „Wir müssen aufeinander zugehen, Argumente austauschen und Kompromisse finden – ich denke, dann kommen wir wirklich viel weiter.“
Sachse schwärmt von der Schönheit seiner Heimat und lädt jeden ein, sie zu kennenzulernen. Die Kultur, die Menschen. Die Tradition um den Zucker sowieso.
Chronologie
- 1858: Landwirte und Unternehmer gründen die Zuckerfabrik in Zeitz.
- 1930: Zeitz gehört zu den größten deutschen Zuckerfabriken mit einer umfangreichen Landwirtschaft.
- 1945: Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kommt die Fabrik unter sowjetische Verwaltung, wenig später wird sie verstaatlicht und als VEB (Volkseigener Betrieb) in „Volkseigentum“ überführt.
- 1970er-Jahre: Wegen veralteter Anlagen und Überreglementierung durch die Planwirtschaft fällt die DDR-Zuckerwirtschaft gegenüber der Entwicklung in Westeuropa stark zurück.
- 1990/1991: Der Mannheimer Südzucker-Konzern übernimmt 13 der 42 Zuckerfabriken der ehemaligen DDR. In Zeitz entsteht ein Neubau.
- 1993: Bundeskanzler Helmut Kohl ist bei der offiziellen Einweihung der neuen Zuckerfabrik zu Gast.
- 1995-2003: Ständige Erweiterung.
- 2005: Inbetriebnahme der Ethanolanlage. Der erneuerbare Kraftstoff Ethanol aus pflanzlichen Rohstoffen soll überwiegend Benzin ersetzen.
- 2016: Die Weizenstärkeanlage läuft an.
- 2020: Am Verbundstandort Zeitz arbeiten rund 450 Beschäftigte, davon etwa 210 in der Zuckerfabrik, 110 in der Weizenstärkeanlage und 130 für CropEnergies (Ethanol).
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