Stuttgart/Mannheim. Als Gottlieb Daimler vor 125 Jahren den ersten motorbetriebenen Lkw der Welt vorstellte, musste sich diese Neuheit auf dem Markt erstmal behaupten - gegen seinerzeit gängige Pferde-Transportwagen. Der Umbruch war zäh, er dauerte viele Jahre. Überliefert ist, dass Daimler in der Anfangszeit auf einer Messe seine noch weitgehend unbekannten Lastwagen in eine Reihe mit Zugtieren stellte und per Handzettel bewarb. Ein Daimler sei ein „gutes Thier“, schrieb der Mobilitätspionier dort in damals gültiger Schreibweise. Pointiert dichtete er: „Zieht wie ein Ochs, du siehst’s allhier; Er frisst nichts, wenn im Stall er steht; Und sauft nur, wenn die Arbeit geht.“
Am 18. August 1896 präsentierte Daimler nach Unternehmensangaben seinen ersten Lastkraftwagen – und wollte den mit einem Zweizylinder-Motor ausgestatteten umgebauten Gespann-Güterwagen schnell bekannt machen. Vorrangiges Ziel des Handzettels: Bauern sowie die Eigentümer von Brauereien und Getreidemühlen, die damals in der Regel schwere Last von A nach B transportieren mussten, gedanklich abzuholen und vom Sinn der Neuerfindung zu überzeugen.
Verbrenner sollen verschwinden
So ein bisschen erinnert diese Situation an die heutige Lage des Unternehmens Daimler Truck, das aus den ersten Lkw-Versuchen der damaligen Daimler-Motoren-Gesellschaft inzwischen hervorgegangen ist. Wieder steht eine Art Epochenwende an, wieder geht es darum, dass der Lastverkehr auf der Straße ein Stück weit revolutioniert werden soll. Daimler und viele Konkurrenten basteln daran, dass sich Lkw mit alternativen Antrieben im Markt durchsetzen. Dafür sollen herkömmliche Verbrenner perspektivisch verschwinden.
„So wie die Erfindung des Lkw an sich damals ein Umbruch war, so erfinden wir jetzt den Lkw wieder neu“, sagt Andreas Gorbach, Technologievorstand bei Daimler Truck. Doch wie zum Ende des 19. Jahrhunderts zeichnet sich auch diesmal ab, dass das Ganze eine langwierige und zähe Angelegenheit werden dürfte.
Um im Wettbewerb zu bestehen, stellt sich die Lkw-Sparte der Daimler AG in diesen Monaten ganz neu auf. Nicht nur, dass Milliardensummen in die Entwicklung von Elektro- und Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieben gesteckt werden – obendrein soll die bisherige Lkw-Tochter vom Daimler-Konzern abgespalten und danach separat an die Börse gebracht werden.
Unter dem Strich soll es im Anschluss zwei unabhängig voneinander agierende Konzerne geben: Daimler Truck für das Lastwagen- und Busgeschäft, Mercedes-Benz für das Auto- und Vangeschäft. Auch wenn es das Ende der gelebten Tradition eines Mischwarenladens unter einem Dach ist, wird der Schachzug am Markt positiv bewertet. „Die Separierung wird Daimler Truck die Chance geben, das Geschäft konsequent auf die Anforderungen der Lkw-Industrie und deren Nutzergruppen auszurichten“, sagt Mobilitätsexperte Joachim Deinlein vom Beratungsunternehmen Oliver Wyman. Eigenständig habe Daimler Truck die Chance, einfacher Partnerschaften mit anderen Firmen einzugehen und auch den Vertriebs- und Serviceauftritt konsequenter einer „Lkw-Logik“ zu unterwerfen.
Tatsächlich ist es so, dass die Trucksparte öffentlich bisher meist als Anhängsel des Pkw-Geschäfts bei Daimler betrachtet wurde. Letztlich steht das Thema Auto beim Endverbraucher mehr im Fokus, und auch zahlenmäßig sind die Unterschiede gewaltig: So steuerte der Auto- und Vanbereich im ersten Halbjahr 55 Milliarden Euro zum Gesamtumsatz bei, der Truck- und Busbereich gerade mal 18,7 Milliarden.
So ist wohl auch nur Branchenkennern bekannt, dass Daimler Truck bei schweren Nutzfahrzeugen Weltmarktführer ist: Vor allem auf dem wichtigen nordamerikanischen Markt sind die Schwaben mit der Marke Freightliner stark vertreten. Ob das Unternehmen diese Stellung verteidigen kann, dürfte auch vom Erfolg der Strategie mit alternativen Antrieben abhängen. Hier setzen die Stuttgarter auf Elektro- sowie Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw.
Für Kunden muss es sich rechnen
Im Oktober soll die Serienproduktion des Mercedes-eActros – eines ersten elektrisch angetriebenen 25-Tonners für den schweren Verteilverkehr – starten. Bei den von Wasserstoff und Brennstoffzellen angetriebenen Lastwagen peilt man einen Serienstart erster Modelle bis 2027 an.
Wann sich damit Geld verdienen lässt, bleibt eine wichtige Frage. Im Lkw-Geschäft geht noch viel stärker als im Pkw-Geschäft um schlichte Kostenvergleiche, und da ist der Diesel-Lkw führend. „Wir müssen dahin kommen, dass es sich für den Kunden betriebswirtschaftlich lohnt, auf einen CO2-neutralen Lkw umzusteigen“, sagt Gorbach. Heißt: Die Masse der Kunden wird wohl erst dann umsteigen, wenn es sich für sie rechnet. So also, wie es vor 125 Jahren auch der Fall war.
Mannheim spezialisiert sich auf Batterie-Technologien
Alternative Antriebe verändern nicht nur den Verkehr auf der Straße, sie verändern auch Arbeitsweisen in der Produktion grundlegend. Wie sollen sich die Lkw-Standorte von Daimler Truck künftig also aufstellen? Darüber haben sich Management und Arbeitnehmervertreter in den vergangenen Monaten Gedanken gemacht – und vor Kurzem die Ergebnisse präsentiert.
Daimler will zwischen Mannheim, Gaggenau und Kassel einen Produktions- und Technologieverbund für Antriebskomponenten und Batteriesysteme aufbauen. Hinzu kommen Innovationslaboratorien („InnoLabs“). Die Standorte – in die auch kräftig investiert werden soll – konzentrieren sich nicht mehr nur auf herkömmliche Verbrenner.
In Mannheim, im dortigen Benz-Werk arbeiten rund 4800 Menschen, gibt es schon seit mehr als 25 Jahren das Kompetenzzentrum für Emissionsfreie Mobilität (KEM). Und vor zwei Jahren ist in einem Zukunftspaket beschlossen worden, dass Mannheim die Batteriepakete für den elektrisch angetriebenen Lastwagen eActros liefert, der bald im pfälzischen Wörth in Serie produziert wird. Mit der jetzigen Vereinbarung ist klar: Diese Stärken sollen ausgebaut werden. So fokussiert sich Mannheim künftig auf Batterie-Technologien und Hochvoltsysteme.
Nach wie vor gilt die Beschäftigungssicherung, die schon vor Längerem ausgehandelt worden ist. Demnach sichert Daimler Mitarbeitern hierzulande bis mindestens Ende 2029 zu, ihre Jobs zu erhalten. jung
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