London. Wo beginnen? Dieser Nachruf auf Königin Elizabeth II. wurde, wie üblich bei betagten und bedeutenden Persönlichkeiten, schon zu ihren Lebzeiten geschrieben. Nur war es unmöglich, sich das Unaussprechliche und Undenkbare vorzustellen. Zu besonders erschien die Situation, zu beispiellos der Fall: Die Queen, Zeitzeugin eines Jahrhunderts und am längsten amtierende Monarchin der Welt, war immer da.
Sie begleitete wie ein Familienmitglied das Leben von so gut wie jedem Briten, überstand ein halbes Dutzend Päpste und sah 15 Premierminister kommen und die meisten wieder gehen – von Winston Churchill bis zur heutigen Regierungschefin Liz Truss. Auf eine völlig irrationale Weise gab es für viele Menschen nie die Option, dass Königin Elizabeth II. sterben könnte. Am Donnerstag ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben. Und fassungslos stehen das britische Volk sowie royale Anhänger aller Länder in Trauer vereint. Die ewige Monarchin war das Aushängeschild der Nation. Sie bildete den britischen Staatskern.
Erstmal kein Einblick in Wirken
In Deutschland begründete sich die Popularität des Königshauses vor allem in der Lust am Klatsch, in der Exotik und der Folklore. Derweil trat die Monarchin für die Insel auch als politische Akteurin auf, repräsentierte und sorgte für diplomatische Erfolge, wenn sie Regierungschefs und wichtigen Persönlichkeiten die Tür zu ihrem Palast öffnete oder ihnen einen Besuch abstattete. Sie stand als Staatsoberhaupt nicht nur dem Vereinigten Königreich vor, sondern auch 15 weiteren Ländern des Commonwealth, darunter Australien, Neuseeland und Kanada.
Und sie wurde in sieben Jahrzehnten zum institutionellen Gedächtnis Großbritanniens. Die Welt konnte sich verändern, die Queen winkte. Wie groß ihr indirekter Einfluss auf die Politik war, dürfte zum Verdruss vieler erst in rund 100 Jahren, nach der Freigabe der privaten Papiere, bekanntwerden. Die Unnahbare zog die Palastvorhänge stets nur einen Spalt weit auf, um das Rätselhafte ihrer Person und die Magie der Monarchie zu bewahren.
Emotionales war ihr fremd. Nur wenige Male rang sie in der Öffentlichkeit mit den Tränen. Als sie im April letzten Jahres allein und in tiefer Trauer Abschied von ihrem Ehemann Prinz Philip nahm, sagte sie im Anschluss an die Abschiedszeremonie, es herrsche Leere um sie. Ihre wichtigste Stütze, fast 74 Ehejahre an ihrer Seite, war plötzlich nicht mehr da. Sie litt unter dem Verlust – und ging nach einer zweiwöchigen Trauerzeit wieder arbeiten. „Lass es uns angehen“, so lautete das Motto in der ältesten Generation der Windsors, obwohl es ihr körperlich seit Monaten schlecht ging.
Zeit ihres Lebens übte Elizabeth II. mit stoischer Ruhe, viel Symbolik und strenger Disziplin ihren Dienst am Volk aus und war ein Symbol für Tugenden wie Hingabe, Pflichtbewusstsein und Standhaftigkeit. Sie war ein moralisches Vorbild und musste in einer Gesellschaft, die in ihrer Neigung zum Konservativen mit tief sitzenden Klassenunterschieden kämpft, als Verbindungselement zwischen Oberschicht und Arbeiterklasse dienen.

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Aufbau des Commonwealth
Gleichwohl überstand sie die schlimmsten Skandale und verlieh der Monarchie weiter Relevanz. Königin Elizabeth II. schwebte über allem – im Wunschdenken vieler auch über der Zeit. 2015 überholte sie Queen Victoria mit der längsten Regentschaft. Während aber ihre Ururgroßmutter das goldene Zeitalter Britanniens geprägt hat, ist unter der Herrschaft Elizabeths II. das Empire zerfallen, die Macht und der Einfluss des einstigen Weltreichs sanken.
Kritiker behaupten, dass nicht viel bleiben wird von Elizabeths Ära. Außer das Commonwealth, das sie mitaufgebaut und zusammengehalten hat. Ihm galt ihre Priorität. „Elizabeth II. hat es geschafft, die schlechten Erfahrungen und all die Verbrechen, die im Empire stattgefunden haben, in etwas Positives zu verwandeln – aus einer negativen Kolonialgeschichte ist so etwas Gutes entstanden“, sagte die royale Historikerin Karina Urbach einmal.
Doch ob sie wie Victoria nach ihrem Tod ein neues Zeitalter prägen wird, wie es sich schon Winston Churchill erhoffte, wird bezweifelt. „Sie spielt nicht in derselben Liga wie Elizabeth I. oder Victoria, schon allein, weil sie keine vergleichbare politische Macht hat“, befand Urbach. „Immer und immer wieder, leise und bescheiden, hat die Königin uns allen gezeigt, dass wir zuversichtlich in die Zukunft gehen können – ohne die Dinge zu verraten, die uns wichtig sind“, schrieb Prinz William in einem Vorwort zu einer Biografie.
Doch nur auf Druck der Gesellschaft und mit Hilfe der Enkel verlieh sie ihrer Institution nach und nach einen moderneren Anstrich. Die Royals, die das herrschaftliche Theater voller Prunk auf beispiellose Weise zelebrieren, verkörpern in all ihrer Traditionsverbundenheit das alte Britannien. Elizabeth Alexandra Mary Windsor, so ihr voller Name, hat in ihren 70 Dienstjahren große Umwälzungen erfahren, die Suez-Krise miterlebt und den Kalten Krieg, den wirtschaftlichen Kollaps in Großbritannien, die technischen Neuerungen, den blutigen Unabhängigkeitskampf der nordirischen Untergrundorganisation IRA und das Brexit-Votum.
Am 6. Februar 1952 wurde sie nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters König George VI. über Nacht zur Königin. Weil sie in Afrika auf einer Safari weilte, erfuhr sie als einer der letzten Menschen von ihrer Regentschaft. Sie war 25 Jahre alt. Am 2. Juni 1953 fand Elizabeths Krönung in der Westminster Abbey statt, sie wurde live im Fernsehen übertragen – ein Novum. Und seitdem geriet ihr das höfische Korsett zumindest in der Außendarstellung nie zu eng.
Zeit mit ihren Hunden
Geprägt vom Sparzwang der Kriegs- und Nachkriegszeit, pflegte sie das Image als bodenständige und bescheidene Frau. Auf dem royalen Frühstückstisch etwa standen Tupperdosen mit Cornflakes und Haferflocken, Sachen wegzuwerfen blieb ihr verhasst. Am liebsten präsentierte sie sich in Gummistiefeln in der Natur, umgeben von Tieren. „Sie mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen – und zwar in dieser Reihenfolge“, schrieb einmal Biograf Graham Turner. Selbst im hohen Alter war sie noch Schirmherrin von mehr als 600 Wohltätigkeitsorganisationen, das Ehrenamt lag ihr am Herzen. Die tief religiöse Monarchin stand als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche vor und war Chefin der Streitkräfte. Im Privaten kümmerte sie sich um ihre geliebten Corgis, die sie selbst züchtete. Ihr wurde ein guter Humor nachgesagt.
Versprechen an das Volk
Im Auftrag der Diplomatie reiste sie bis zum Ausbruch der Pandemie durch die Welt. So besuchte sie allein die Bundesrepublik bei fünf Staatsvisiten. Die Monarchin erfüllte viele Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden: Sie nahm nach den beiden Kriegen die deutsch-britischen Freundschaftsbande wieder auf. Das gelang Politikern in den Jahren zuvor nicht.
Immer hielt sie sich an das Versprechen, das sie an ihrem 21. Geburtstag 1947 ihren Landsleuten gegeben hatte: „Mein ganzes Leben, sei es kurz oder lang, werde ich in Euren Dienst stellen.“ Ihre Untertanen verehrten sie für diese Integrität.
Elizabeth II. war das mit Abstand beliebteste Mitglied der Familie Windsor. Dabei stand die Monarchie nicht immer so gut da wie heute. In den 90er Jahren sorgte die jüngere Generation für Skandale und Peinlichkeiten. Prinz Andrew trennte sich von seiner Frau Sarah Ferguson, Tochter Anne ließ sich von Mark Philips scheiden, und Prinz Charles und Diana gingen auseinander.
Zusammenhalt trotz Skandalen
Als wäre dies nicht genug gewesen, brannte Schloss Windsor zu Teilen nieder. Die Bevölkerung rebellierte dagegen, mit ihren Steuergeldern für die Instandsetzung von Windsor zur Kasse gebeten zu werden. Die pragmatische Elizabeth II. fand die passende Antwort und bezahlte fortan Steuern. Doch ihr Tiefpunkt sollte erst noch folgen, als 1997 ihre Ex-Schwiegertochter Diana bei einem Unfall starb. Damals tauchte die Regentin tagelang ab, während das erzürnte Volk in seiner Trauer „mehr Mitgefühl“ forderte.
Die Monarchie geriet für einen Moment ins Wanken. Erst nachdem die Königin in ein Staatsbegräbnis eingewilligt und sich vor Dianas Sarg verbeugt hatte, zeigten sich die Briten versöhnlich. In glücklichen, traurigen und schweren Momenten hielt die überparteiliche Queen das gesellschaftlich gespaltene Land irgendwie zusammen.
Diese Ewigkeit ist nun zu Ende gegangen. Prinz Charles übernimmt das Amt als neuer König. „The Queen is dead. God save the King.“
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