Amoklauf - Motive des Täters weiterhin unklar / Sprengfallen in Wohnung sollten ablenken

Präsident Obama lässt Tränen freien Lauf

Von 
Friedemann Diederichs
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Denver. Es waren Minuten, in denen der sonst stets als "cool" beschriebene Präsident mit seinen Emotionen kämpfte - und am Ende den Tränen freien Lauf ließ. "Ich hatte Gelegenheit, einige Leute zu umarmen, und ich habe geweint," gestand Barack Obama im Krankenhaus von Aurora, Colorado. Zuvor hatte er, abgeschirmt von den meisten Medien, im kleinen Kreis Verletzte des Kino-Amoklaufs und Angehörige der zwölf Todesopfer getroffen.

In seiner Rede hob er dann vor allem das Verhalten einer jungen Frau hervor. Stephanie Davies hatte während des Massakers bei der "Batman"-Mitternachtspremiere die Blutung aus einer klaffenden Halswunde ihrer Freundin Allie Young mit einer Hand gestoppt und mit der anderen Hand den Polizeinotruf 911 gewählt - und sie so gerettet.

Erinnerung an die Opfer

"Das Leben geht selbst in den dunkelsten Zeiten weiter", versuchte Obama den Familien Mut zu machen. Und: Später würden sich die Menschen an die Opfer erinnern und nicht an den Täter. Bewusst vermied der US-Präsident in seiner Ansprache, den 24 Jahre alten Medizinstudenten James Holmes beim Namen zu nennen.

Ähnlich handelte der Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper. "Ich weigere mich, seinen Namen auszusprechen", so der Politiker über Holmes, an dessen Täterschaft es nach Angaben der Ermittler keine Zweifel gibt. "Wir werden ihn nur als Verdächtigen A bezeichnen." Hinter dieser Entscheidung steht vor allem die Absicht, den Toten und Verletzten in der öffentlichen Debatte mehr Raum zu geben als dem Mörder.

Stunden vor dem Besuch Obamas hatten sich bereits Tausende Bürger vor dem Rathaus von Aurora zu einer Totenwache versammelt. Als Gouverneur Hickenlooper die zwölf Namen der Getöteten vorlas, sagte die Menge nach jedem Namen: "Wir werden uns erinnern".

Die Polizei beendete unterdessen die Sicherung von Beweisen im Apartment von Holmes, das dieser mit Stolperdrähten und Sprengstoff-Fallen gesichert hatte. Polizeichef Dan Oates bestätigte, dass der Amoklauf monatelang "kalkuliert und überlegt" vorbereitet worden war. Die Zahl der Opfer lag offenbar nur deshalb nicht höher, weil sein Schnellfeuergewehr nach 50 bis 60 Schüssen Ladehemmung gehabt habe.

Auch Flucht genau geplant

Zu Motiven des Studenten, der gestern dem Haftrichter für eine erste Anhörung vorgeführt wurde, gibt es weiter nur Spekulationen, aber keine Erkenntnisse. Holmes selbst verweigert derzeit auf Anraten seines Anwalts jede Kooperation mit der Polizei. Die offizielle Anklage solle am kommenden Montag erhoben werden.

Die "New York Post" enthüllte gestern, dass der Täter auch seine Flucht akribisch geplant hatte: Er wollte zeitgleich zur Kino-Bluttat die Polizei von Aurora ablenken, indem er stundenlang laute Techno-Musik in seiner Wohnung spielte und dort einen Einsatz provozierte, der mit einer Explosion enden würde. Holmes habe auch seine Kleidung auf die Uniform der örtlichen Polizei-Sondereinheit abgestimmt - und hoffte, so zu entkommen. Doch Beamte identifizierten ihn schnell als Täter auf dem Kino-Parkplatz, weil er einen Unterleibs- und Halsschutz getragen habe, der von der Sondereinheit gewöhnlich nicht benutzt wird.

In den USA werden jedes Jahr zirka 10 000 Menschen ...

In den USA werden jedes Jahr zirka 10 000 Menschen erschossen.

Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die Gefahr, erschossen zu werden, aber besonders groß in Mittelamerika und in der Karibik.

In Europa ist es dagegen relativ unwahrscheinlich, an einem Schuss zu sterben.

Das geht aus einer seit 1995 geführten Statistik des UN-Büros für Drogen und Kriminalität hervor, die jedoch lückenhaft ist. dpa

Korrespondent

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