Paris. Der kleine, listige Spaß, einen Gesetzesbruch zu begehen, wenn sie sich ankleidet, ist der Pariserin neuerdings verwehrt. Kein Ordnungshüter kann sie mehr zur Rede stellen, weil sie unschicklich gekleidet ist: in Hosen! Und wenn sie auch bislang in der Praxis nicht in Haft kam für das Vergehen, Jeans zu tragen, so ist es fortan offiziell: Madame hat nun auch vor dem Gesetz das Recht, die Hosen anzuhaben. Endlich.
Bis jetzt galt in der französischen Hauptstadt eine Verordnung aus dem Jahr 1800, die Frauen eine ihrem Geschlecht nicht angemessene "Verkleidung als Mann" nur in Ausnahmefällen und nach Einholen einer formellen Sondergenehmigung zugestand. Bei Zuwiderhandeln drohte ihr, auf die Polizei-Präfektur mitgenommen zu werden.
Das war eine Reaktion auf die einige Jahre zuvor erstarkte revolutionäre Bewegung der Sansculottes, also der Arbeiter und Kleinbürger, die gegen Adel, Klerus und Bourgeoisie aufbegehrten und in ihrer Forderung nach Gleichheit aller auch das Recht der Frauen auf Männerkleidung einschlossen. 1792 sangen die revolutionären Frauen sogar das Lied "Wir tragen Hosen", eine frühe Form des feministischen Kampfes: "Gekleidet wie Jungs marschieren wir / um die Despoten zu besiegen / Adieu, liebe Eltern / Das sind die Frauen von heute."
Zahlreiche Sondergenehmigungen
Doch waren sie ihrer Zeit voraus: Wenige Jahre später sollte sie eine Verordnung in die Schranken weisen, die Kleid und Rock als einzig zulässige Damen-Bekleidung definierte. Christine Bard, Historikerin und Autorin einer "Politischen Geschichte der Hose", erklärt, dass viele Frauen während des 19. Jahrhunderts versuchten, eine Genehmigung aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen zu erhalten. So ist ein Dokument von 1806 erhalten, in dem Catherine-Marguerite Mayer die Erlaubnis bekommt, in Männer-Kleidung zu reiten. Die 36-jährige Musikerin Adèle Sidonie Loüis darf 1862 "aus gesundheitlichen Gründen" sechs Monate lang Hosen tragen.
Über die Zahl derer, die sich über die Regelung frech hinwegsetzten, kann nur noch spekuliert werden. 1892 und 1909 wurde die Regelung gelockert für Frauen zu Pferd oder auf dem Fahrrad. Und irgendwann verschwand die Verordnung wie so viele andere im Sumpf der überkommenen Gesetze Frankreichs, längst vergessen und doch nie abgeschafft.
Bis im Juli der Abgeordnete Alain Houpert eine Anfrage stellte mit der Begründung, die Vorschrift habe eine "symbolische Bedeutung" und könne "unsere modernen Empfindungen verletzen". Nun reagierte das Frauenministerium und erklärte die Regelung als "inkompatibel mit den Prinzipien der Gleichheit zwischen Frauen und Männern".
Der Realität entsprach sie ohnehin nicht mehr. Der französischen Vereinigung für Damenmode zufolge machen Hosen 36,5 Prozent des Marktes aus, weit vor Kleidern (15,9 Prozent) und Röcken (8,5 Prozent). Dass das Ende dieser letzten juristischen Hürde die Gewohnheiten der Pariserinnen verändern wird und sie auf das kleine Schwarze ganz verzichten lässt, ist nicht zu befürchten. Für einen kleinen Gesetzesbruch mögen sie gern bereit gewesen sein. Für einen Stilbruch nicht.
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