Heppenheim. Die renommierte Odenwaldschule hat nur noch einen Rumpfvorstand - aber jede Menge zu tun. Drei Wochen nach Bekanntwerden zahlreicher Fälle von sexuellem Missbrauch zog das reformpädagogische Elite-Internat am Samstag bei einer Krisensitzung die Reißleine. Fünf der sieben Vorstandsmitglieder legten bei einer außerordentlichen Sitzung des Trägervereins in Heppenheim in Hessen ihre Ämter nieder.
"Wir haben verstanden, dass die Schule Ruhe braucht", sagte anschließend die ausgeschiedene Vorsitzende des Vorstandes, Sabine Richter-Ellermann. Trägervereinssprecher Philipp Sturz sprach von einem "hochemotionalen Treffen". An dem Internat sollen vor Jahrzehnten zahlreiche Schüler von Lehrern missbraucht worden sein. Nun soll es Veränderungen geben.
"Großer öffentlicher Druck"
Die Rücktritte begründete Richter-Ellermann mit "großem öffentlichen Druck." Für einen Moment schien die Öffentlichkeit das eigentliche und einzige Motiv gewesen zu sein - und nicht das Ausmaß und die persönlichen Folgen der Übergriffe. Dann doch eine Art Eingeständnis: "Wir haben vielleicht mitgeschwiegen, weil wir so etwas nicht für möglich gehalten haben."
Voraussichtlich am 29. Mai soll ein neuer Vorstand gewählt werden. "Wir brauchen einen klassischen Neuanfang", sagte Sturz. Ein schwieriger Neustart im Jubiläumsjahr: Nächsten Monat wird die Schule 100 Jahre alt, im Sommer ist eine Festwoche geplant. Festgehalten wird auch an der Jubiläumsveranstaltung am 17. April - auch hier aber mit verändertem Fokus.
Die Geschäfte führen bis zur Neuwahl Schulleiterin Margarita Kaufmann und Geschäftsführer Meto Salijevic. Sie gehören durch ihr Amt zwingend dem Vorstand an. Die Rolle von Salijevic allerdings ist umstritten, da er bereits 1999, als die Missbrauchsfälle erstmals ein Thema waren, im Amt war. Zumindest für die Übergangszeit bis zur Neuwahl des Trägervereinsvorstandes wird er Geschäftsführer bleiben.
Unterstützt werden Margarita Kaufmann und Meto Salijevic von dem Zahnarzt Philipp Sturz (48) und dem früheren Landrat des Kreises Bergstraße, Norbert Hofmann (67), als Sprecher des Trägervereins. "Wir arbeiten wie ein Eichhörnchen. Wir knacken jeden Tag eine harte Nuss", beschreibt Sturz die Lage.
Schulleiterin Kaufmann hat sich von den rund 30 Mitgliedern des Trägervereins am Samstag grünes Licht geben lassen, um die Privatschule umzukrempeln. Dabei könnten auch heilige Kühe geschlachtet werden. Denn auch das "Familien"-System, wonach Schüler und Lehrer in einem engen Verband zusammenwohnen, soll auf den Prüfstand. "Ich bin dankbar, dass der Vorstand zurückgetreten ist", sagte sie. dpa/sl
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