Notre-Dame

Noch schöner als zuvor

Die Pariser Kathedrale öffnet an diesem Samstag nur gut fünf Jahre nach dem schweren Brand wieder. Sie wurde spektakulär restauriert

Von 
Birgit Holzer
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Der Altar in der Kathedrale Notre-Dame in Paris: oben nach dem Brand am 16. April 2019, unten nach der Renovierung, aufgenommen am Freitag, 29. November 2024, rund eine Woche vor der Wiedereröffnung. © Petit Tesson/ de Sakutin/POOL EPA AFP/AP/dpa

Paris. Was als Erstes auffällt beim Betreten dieser majestätischen Kathedrale, ist ihr Strahlen, das sanfte Licht, das sich in dem weiten, hohen Gebäude gleichmäßig verteilt. Die Helligkeit des Gewölbes, das weiche Weiß der Steinmauern. Hinter dem Altar ragt ein großes Goldkreuz hervor. Im Chorraum leuchten die Kirchenfenster und gegenüber, oberhalb der Hauptorgel, die Westrosette in kräftigem Tiefblau. Wer vom Haupteingang von Notre-Dame kommend weiter geht durch das weiträumige Hauptschiff, vorbei an den Seitenkapellen mit den präzise gezeichneten Wandmalereien, wer die vielen, glänzenden Skulpturen betrachtet und das detailreiche Chorgestühl, kann nur eines, ob gläubig oder nicht: staunen.

1500 schlichte Holzstühle sind schon aufgestellt, ebenso wie die Instrumente des Orchesters, das am Samstag zum Einsatz kommt – jenem so lange erwarteten Stichtag, an dem sich das Haupttor der Kathedrale wieder öffnet, zunächst nur für geladene Gäste. Zu der feierlichen Zeremonie werden Geistliche, Politiker und Prominente aus Frankreich und dem Ausland erwartet, unter ihnen der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die amerikanische First Lady Jill Biden, der designierte US-Präsident Donald Trump, der britische König Charles III., der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Die einst etwas düstere Stimmung ist gewichen

Lediglich Papst Franziskus hatte die Einladung ausgeschlagen, der stattdessen bald die französische Insel Korsika bereist. Von Präsident Emmanuel Macron heißt es, das habe ihn sehr enttäuscht. Die prunkvolle Wiedereröffnung von Notre-Dame ist ein Erfolg auch für ihn persönlich, während er nach dem Sturz seiner Regierung am Mittwoch in politischer Hinsicht geschwächter denn je dasteht.

Nur fünfeinhalb Jahre dauerten die Arbeiten nach dem Brand, der für immenses Entsetzen in Frankreich und weit darüber hinaus gesorgt hatte. Am Abend jenes 15. April 2019, als sich die Nachricht rasch verbreitete und dunkle Rauchschwaden aus dem 850 Jahre alten Gebäude in den Pariser Himmel stiegen, versammelten sich an vielen Stellen im Umkreis spontan Menschen, um zu singen, zu beten oder einfach das Geschehen fassungslos zu beobachten. Als im Laufe des Abends der charakteristische Spitzturm, den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert hinzugefügt hatte, hinabstürzte, schien es, als ginge ein Aufschrei durch die Stadt, ja durch das Land. Doch das Bauwerk, die Zwillingstürme hielten stand.

Nur rund 24 Stunden nach dem Brand hielt Macron eine Mutmach-Rede im französischen Fernsehen, in der er zwei kühne Versprechen abgab: Notre-Dame werde in nur fünf Jahren wieder öffnen – „noch schöner als zuvor“. Lange war dieses ausgegebene Ziel umstritten, doch längst steht fest: In beidem behielt er Recht. Die Kathedrale strahlt auf eine Weise, wie sie das vor der Katastrophe nicht getan hat. Die einst etwas düstere Stimmung dieses Meisterwerks der Gotik ist gewichen.

Ein eigens dafür beauftragter Licht-Gestalter hat rund 1500 Lampen in dem riesigen Raum angebracht. Die 2300 Statuen und 8000 Orgelpfeifen sind frisch geputzt. Gut eintausend Kubikmeter Steine mussten bewegt, 2000 Tonnen Gerüst aufgestellt und wieder abgebaut werden. Enthüllt wurden die ersten spektakulären Bilder aus dem Inneren Ende November bei Macrons siebtem und letztem Besuch dieser „Jahrhundert-Baustelle“.

Kurz vor der anstehenden offiziellen Eröffnung führten einige der Hauptverantwortlichen Journalisten durch die Kathedrale. Diese sei im Zuge der Restaurationsarbeiten regelrecht „transformiert worden“, schwärmte Bauleiter Philippe Jost. „Notre-Dame wurde bewahrt und hat durch die Reinigung des gesamten Innenraums zugleich ein neues Antlitz bekommen.“

Die Flammen waren kaum erloschen, da begannen schon Diskussion über die Frage, ob Notre-Dame identisch wieder aufgebaut werden oder, wie unter anderem von Macron gewünscht, moderne Elemente erhalten sollte, um eine für immer sichtbare Spur von den dramatischen Ereignissen zu hinterlassen. Letztlich setzten sich aber die Vertreter der Diözese mit ihrer Position durch, die auch eine große Mehrheit der Bevölkerung teilte: Die Kathedrale solle möglichst schnell wieder aussehen wie vorher.

Aufgrund ihres ganz neuen Glanzes ist das aber eben nicht der Fall. „Historisch gesehen war Notre-Dame noch nie in diesem Zustand und hatte auch im Mittelalter kein derart einheitliches Aussehen wie heute“, erklärt Rémi Froment, einer der drei für die Restaurierung zuständigen Architekten.

Ob er persönlich, der so unermüdlich an der Restauration gearbeitet hat, zufrieden sei mit dem Endergebnis? Bei dieser Frage leuchtet auch Froments Gesicht auf. „Ja, es ist einfach toll geworden.“ Besonders ergreifend sei es für ihn gewesen, als rund 2000 der an der Baustelle Beteiligten, Schreiner, Restauratoren, Bildhauer, Zimmerer, Macron bei seinem jüngsten Besuch begleiteten und das beeindruckende Resultat ihrer eigenen Arbeit bestaunen konnten: Selbst sie seien berührt gewesen, so gut sie die Kathedrale schon kannten.

Der Gemeinschaftsgeist aller Beteiligten war sehr stark

Die Fertigstellung der Innen-Restaurierung innerhalb von wenigen Jahren, trotz Verzögerungen durch das anfänglich gefährlich hohe Bleiaufkommen in dem Gebäude sowie die Corona-Pandemie, war Bauleiter Jost zufolge aus mehreren Gründen möglich: Dank des handwerklichen Könnens der Angehörigen verschiedenster Berufssparten, der hervorragenden logistischen Arbeit und des verfügbaren Budgets. Von den Spenden in Höhe von 840 Millionen Euro wurden bislang 700 Millionen ausgegeben. Mit den verbleibenden 150 Millionen will man die ohnehin nötige Restaurierung der Apsis und der Strebepfeiler angehen.

Vor allem aber habe ein sehr starker Gemeinschaftsgeist geherrscht, betont Jost. „Alle waren engagiert dabei, es gab einen unglaublichen Willen, voranzukommen und es gemeinsam zu schaffen.“ Auf diese Leistung wird Präsident Macron am Samstagabend nochmals eingehen, wenn er zunächst eine Rede auf dem Vorplatz der Kathedrale hält. Es folgen eine liturgische Zeremonie mit rund 3000 Anwesenden und ein Konzert mit Stars wie dem Pianisten Lang Lang, den Sängerinnen Clara Luciani und Angélique Kidjo.

Bis zu 40 000 Menschen werden auf den oberen Seine-Ufern erwartet. Die Polizei hat ein großes Sicherheitsaufgebot mit 6000 Einsatzkräften angekündigt und schon im Laufe der Woche mit Absperrmaßnahmen im Umkreis begonnen. Am Sonntag zelebriert der Pariser Erzbischof Laurent Ulrich die erste Messe mit mehr als 150 Bischöfen aus Frankreich und der ganzen Welt, bei der er den neuen Altar weiht.

Ab diesem Tag wird die Kathedrale eine Woche lang täglich bis 22 Uhr geöffnet sein, um die ersten Besucher zu empfangen, die sich dafür im Internet angemeldet oder in eine – vermutlich sehr lange – Warteschlange gestellt haben. Bis zu 15 Millionen Menschen werden jährlich wieder erwartet. Und jede und jeder einzelne von ihnen wird zweifelsohne vor allem eins: staunen.

Korrespondent

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