Allgäu - Feste zur traditionellen Viehscheide fallen wegen Corona aus – mancher freut sich darüber

Kühe stressfrei zurück ins Winterquartier

Von 
Frederick Mersi
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Geschmückt mit Blumenkränzen werden die Kühe bei der Viehscheide nach den Sommermonaten wieder von der Alm geholt – die Tradition hat sich inzwischen vielerorts im Allgäu zum Touristenspektakel entwickelt. © dpa

Bad Hindelang. Wann Bernadette und Max Kotz mit 216 Rindern den Heimweg von ihrer Alpe antreten, war selbst in ihrer Heimat Bad Hindelang im Landkreis Oberallgäu heuer ein wohlgehütetes Geheimnis. Rund 15 Helfer wussten Bescheid, die Besitzer der Tiere sowieso. Am Samstag war es dann soweit. Pünktlich mit den ersten größeren Schneefällen in den Alpen endete für die Kühe die Sommersaison. Die Viehscheide in diesen Wochen im Allgäu sind kein touristisches Ereignis wie sonst, sondern eher eine Geheimsache.

Viele Besucher reisen extra an

Die Feiern zum Ende des Alpsommers waren zuletzt auch bei internationalen Besuchern immer beliebter geworden. 2019 empfahl der Reiseführer „Lonely Planet“ das Spektakel mit geschmückten Kranzrindern, Bierzelten und Krämermärkten in Orten wie Oberstdorf, Pfronten und Bad Hindelang gar als eines von 1000 „einmaligen Erlebnissen“ in Europa.

„Der Viehscheid war für uns schon von großer Bedeutung“, sagt der Tourismusdirektor von Bad Hindelang, Max Hillmeier. „Viele Gäste kommen extra zu diesem Datum zu uns.“ Doch wegen der Corona-Pandemie fallen sämtliche Festlichkeiten aus, Zuschauermassen auf dem Weg ins Tal sollen unbedingt vermieden werden. Es sei unvernünftig zu riskieren, dass aus Traditionsveranstaltungen neue Corona-Hotspots werden, sagte die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller schon Anfang August. Die Alphirten entscheiden deshalb selbst, wann sie die ihnen anvertrauten Rinder zurück ins Tal treiben. Wer beim Wandern eine der Herden treffen will, muss dieses Jahr schlicht auf den Zufall hoffen.

Doch zumindest bei Hotels und Pensionen sei die Enttäuschung über den abgesagten Viehscheid nicht allzu groß, betont Hillmeier. „Dieses Jahr haben wir dadurch keine Einbußen.“ Im Juli und August seien die Übernachtungszahlen besser gewesen als im Vorjahr, für den September zeichne sich ein ähnlicher Trend ab.

Das Ehepaar Kotz von der Zipfelsalpe bei Bad Hindelang freut sich sogar, dass das Spektakel dieses Jahr ausfällt. „Wir sind beim großen Viehscheid bisher auch nie dabei gewesen“, sagt Bernadette Kotz. „Für die Älpler und das Vieh ist das alles viel zu hektisch.“ Den Alpsommer nach 115 Tagen mit einer Feier im kleinen Rahmen zu beenden, sei viel schöner. Die Rinder sind dann bei deren 17 Besitzern, um dort den Winter zu verbringen.

„Dass die großen Viehscheide abgesagt worden sind, hat vor allem für die Landwirte Vorteile“, sagt auch der Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu, Michael Honisch. Ohne das Touristenspektakel hätten die Tiere weniger Stress, zudem sei die Abholung der Rinder durch die Bauern im Tal leichter. „Man kann ohne Stau an- und abreisen“, betont Honisch. „Es geht richtig familiär zu.“ Viele Älpler hätten ihre Rinder inzwischen schon weitgehend unbemerkt ins Tal gebracht.

Unruhe durch Touristen

Damit geht ein Sommer zu Ende, mit dem die Bergbauern im Allgäu im Großen und Ganzen sehr zufrieden sind. „Wir sind verschont geblieben von Gewittern, Hagel und Wolfsattacken“, sagt Honisch. Insgesamt werden seinen Angaben nach jedes Jahr im Sommer in Bayern etwa 55 000 Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde auf die hoch gelegenen Alpen und Almen gebracht.

Was auf Allgäuer Alpen und Oberbayerns Almen jedoch besonders im Frühsommer Sorgen bereitete, war der Ansturm Erholungssuchender. Menschen seien kreuz und quer über Almwiesen gelaufen oder geradelt – oder hätten Picknickdecken ausgebreitet, sagt Hans Stöckl, Geschäftsführer des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern. „Es war heuer schon sehr viel Unruhe auf den Almen.“ dpa

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