Berlin. „Sissi, ich liebe dich! Willst du meine Frau werden?“ „Nein, nie!“ Echte Fans erkennt man daran, dass sie den melodramatischen Dialog zwischen dem österreichischen Kaiser Franz Joseph und der jungen, bayerischen Adeligen Sissi Wort für Wort mitsprechen. Das „Niemals“ ist dann aber nicht mehr so gut zu verstehen – hier brechen sie in Tränen aus. Das Erste zeigt „Sissi“, den Kostümfilm über die österreichische Kaiserin Elisabeth (1837–1898) Heiligabend um 20.15 Uhr, die beiden Fortsetzungen laufen an den Feiertagen. Ein Weihnachten ohne „Sissi“ oder gar kein Weihnachten – für Millionen Deutsche käme das aufs Gleiche hinaus.
Der Kult um Kaiserin Elisabeth, deren Kosename nur in der Familie benutzt wurde und sich historisch mit nur einem S schrieb, ist größer denn je. Im Herbst lockten Ausstellungen wie „Sisi privat“ im Kölner Museum Ludwig oder „Frauenpower im Hause Habsburg“ in Aichach (Bayern) nach dem langen Lockdown die Massen an.
Im Frühjahr kommt mit „Sisi und ich“ ein Film der Regisseurin Frauke Finsterwalde und des Autors Christian Kracht in die Kinos, dann soll auch die Netflix-Serie „The Empress“ starten. Die Hochzeitsszene mit Devrim Lingnau und Philip Froissant wurde gerade im Münsterland gedreht. Die RTL-Neuverfilmung „Sisi“ mit Dominique Devenport orientiert sich trotzdem eher an der Trilogie als am tatsächlichen Leben der Kaiserin. Fernsehpremiere ist am 28. Dezember. Im Streaming-Kanal RTL plus ist die „Event-Serie“ bereits abrufbar und bricht offenbar Rekorde. Senderchef Henning Tewes jubelt über den „erfolgreichsten Fiction-Neustart ever“, der auch dem „hohen Production Value“ geschuldet sei.
Heile-Welt-Bedürfnis
Am 21. Dezember 1955, als „Sissi“ in Wien Premiere feierte, waren solche Begriffe noch unbekannt. Kriegsende und Holocaust waren erst zehn Jahre vorüber, die Trümmer noch nicht alle weggeräumt. Das Grauen wurde verdrängt, der Blick zurück ging in die scheinbar heilen Welten, die von zwei Weltkriegen zerstört wurden.
Der pompöse Film kam zur rechten Zeit. Es liegt auf der Hand, dass das Heile-Welt-Bedürfnis zum zweiten Weihnachtsfest in der Pandemie wieder historisch groß ist – Kitsch tröstet. Dass es Kitsch ist, bestreitet auch Jannik Schümann nicht, der im RTL-Remake Kaiser Franz Joseph spielt. „Man braucht Kitsch fürs Leben“, sagt er „Bild der Frau“. „Es gibt nichts Schöneres, als die Möglichkeit zu bekommen, aus dem Alltag auszubrechen und mal kurz zu träumen.“
All die neuen Sisis bringen nicht nur Frischluft (und auch etwas Erotik) in die staubigen Schlosskorridore. Sie brechen zudem auch das Bild von Romy Schneiders Sisi auf, das die historische Figur seit 65 Jahren überlagert und auch an der Schauspielerin selbst „wie Grießbrei“ (Eigenaussage) klebte. „Dass Sisi zum Mythos wurde, liegt zum Großteil an der faszinierenden Aura Romy Schneiders“, erklärt die Wiener Historikerin Katrin Unterreiner (kommendes Buch: „Sisi – Kleider einer Kaiserin“).
Allerdings beobachtet sie ein wachsendes Interesse an der echten Kaiserin, einer widersprüchlichen Frau, die liebte und litt, die Mut bewies und von Ängsten gelähmt war, die ihrer Zeit vorauseilte und dennoch dem damaligen Korsett aus Konventionen nicht entrinnen konnte. Eine Frau, deren Leben alles war, nur eines nicht: ein Märchen.
Aber war Sisi im heutigen Sinn eine emanzipierte Frau, eine „Powerfrau“, wie es die Ausstellung in Aichach vermitteln wollte? Unterreiner hat Zweifel: „Eine Kaiserin hatte damals nur zwei Aufgaben: Erben gebären und den Gatten unterstützen. Dagegen hat sie rebelliert. Aber sie musste sich das nicht hart erkämpfen.“ Die großzügige Liebe ihres Mannes Kaiser Franz Joseph ermöglichte es ihr, ein unabhängiges Leben ohne Verpflichtungen zu führen. „Doch sie hat diese Freiheit nicht genutzt, um etwas zu bewegen oder sich für andere zu engagieren.“ Politik interessierte sie nicht, umso mehr der Luxus, so die Expertin. Sisi habe getan, wozu sie Lust hatte: Reiten, Reisen, Dichten.
Selbstoptimierung und Konsum
Das klingt nach Selbsterfahrungsbestellern wie „Eat Pray Love“. Tatsächlich scheint Sisi Selbstoptimierung und Körperkult unserer Zeit vorweggenommen zu haben. Sie schindete sich mit einem extremen Sportprogramm und Diäten. Unterreiner: „Der große Unterschied zur heutigen Instagram-Generation: Sie hat niemals versucht, dem Schönheitsideal ihrer Zeit zu entsprechen. Im 19. Jahrhundert galten füllige Frauen als attraktiv – mit ihrer engen Kleidung, die ihre magere Figur noch betonte, galt sie als schlecht angezogen.“ Auch Sport war verpönt.
Um ein bestimmtes Image ging es der Kaiserin nicht. Irgendwann zog sie sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück. „Dies führte dazu, dass gar nicht so viel über ihr Leben und ihre Persönlichkeit bekannt ist“, sagt Unterreiner. Es sind eben diese Wissenslücken, die jetzt wieder neu mit Mythen und Märchen gefüllt werden.
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