Hamburg. Mehrfach von der Bühne abzutreten wie mancher Schlagersänger, das passt eigentlich nicht zu Jil Sander. Pathos schien der Modemacherin bisher fremd. Mit ihrem stilbildenden Purismus hat die Deutsche die Frauenkleidung um alles Überbordende erleichtert. Auch im Privaten pflegt sie die leisen Töne. Es wäre traurig, wenn die Dramatik des dreifachen Rückzugs aus der von ihr gegründeten Marke innerhalb von 13 Jahren ein geniales Lebenswerk übertönen würde.
Vor wenigen Wochen verließ die wohl berühmteste deutsche Designerin zum dritten Mal das Unternehmen Jil Sander. Und das kurz vor ihrem heutigen 70. Geburtstag. Auch wenn Heidemarie Jiline Sander im norddeutschen Wesselburen geboren wurde, kann sie als echte Hanseatin gelten. In Hamburg, wo sie bei ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann aufwuchs, eröffnete sie im schicken Stadtteil Pöseldorf 1967 eine Boutique, Keimzelle ihres späteren Imperiums. Noch heute lebt sie in der Hansestadt.
Weiter kreative Projekte
Das für Hamburg typische Understatement und die Liebe zu Qualität scheinen jeden Entwurf der "Queen of Less" zu prägen. Sanders frühere langjährige Mitarbeiterin, die PR-Beraterin Renate Janner, sagt: "Jil Sander hat in jeder Hinsicht ein wahnsinnig gutes Auge für Qualität und Stil." Sie sei sich sicher, dass die Designerin sich auch in den kommenden Jahren mit kreativen Projekten befassen werde.
Als Sander antrat, wollte sie den Frauen eine ähnlich angenehm zu tragende Garderobe verschaffen, wie sie bei den Männern schon lange üblich war. Sie schuf Damenkleidung aus Herrenstoffen, die nicht maskulin, sondern weich und oft bezaubernd schön wirkte. Sie selbst verkörperte mit ihren feinen und zugleich energischen Zügen das neue Frauenbild aus "zart" und "hart" in Vollendung. Als Jil Sander ab Ende der 1970er Jahre für ihr erstes Parfüm mit dem eigenen Gesicht warb, wurde sie bundesweit bekannt.
Der internationale Durchbruch gelang ihr in den 1990er Jahren. Die elitärsten Moderedakteurinnen der Welt huldigten ihrer Mode, die sie bei den Mailänder Schauen zeigte. 1997 brachte Sander eine Herrenkollektion heraus. Dass sie sich im Zuge der Vergrößerung ihres Unternehmens Fremdkapital besorgte und 1999 die Aktienmehrheit an die Prada-Gruppe verkaufte, mag von heute aus gesehen als Sündenfall gelten.
Die als "Kontrollfreak" bekannte Jil Sander überwarf sich mit Prada-Chef Patrizio Bertelli und stieg 2000 als Chefdesignerin aus. Drei Jahre später kehrte sie zurück, um 2004 das Handtuch erneut zu werfen. Als der neue Mehrheitseigner des Unternehmens Jil Sander, die japanische Onward-Holdings, im Februar 2012 die Rückkehr der Modemacherin verkündete, hatten nur wenige noch damit gerechnet. Die "persönlichen Gründe", die das Unternehmen kürzlich für den erneuten Rückzug der Designerin anführte, sollen in ihrem engeren familiären Umfeld begründet sein. Nach ihrer letzten Schau Ende September in Mailand wirkte die Modemacherin müde.
Zuvor hatte sie Entwürfe gezeigt, die dank präziser Schnitttechnik beinahe zu fliegen schienen. Ihrem modischen Perfektionismus ist Jil Sander auch am Ende ihrer Laufbahn treu geblieben. Dass die leise Jil Sander groß feiern wird, ist nicht zu erwarten. Das hat sie in der Vergangenheit auch nicht getan.
Jil Sander
Jil Sander wurde in Wesselburen, Dithmarschen geboren und ist ledig.
Sie ist spätestens seit den 1980er Jahren für ihre als klar und zeitlos bezeichnete, aber dennoch elegante und hochpreisige Mode für Damen und seit 1997 auch für Herren sowie für ihre Kosmetik-Linie berühmt.
Neben Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop gehört Sander zu den wenigen international renommierten Modeschöpfern Deutschlands.
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