Kriminalität

Europas meistgesuchte Verbrecher

Auf der Europol-Fahndungsliste stehen knapp 50 Personen – sechs Beispiele

Von 
Jonas Schlömer
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Blick auf das Gebäude der EU-Polizeibehörde Europol in Den Haag. © dpa

Berlin. Ein Raum voller besorgt dreinblickender Menschen an Computern. Ein diabolischer Bösewicht mit einem perfiden Plan. Und früher oder später fällt der Satz, dass der Verbrecher „auf der Fahndungsliste ganz oben steht“. So kennt man es aus Filmen. Ein Blick auf die Liste des Europäischen Polizeiamtes, der Europol, offenbart: Mit Hollywood hat die echte Fahndungsliste, auf der knapp 50 Personen stehen nicht viel zu tun. Die Meistgesuchten sehen nicht aus wie kriminelle Genies, eher wie der Nachbar von schräg gegenüber. Bleiben die Fragen: Wer steht auf der Liste, und warum? Wie verfolgt die europäische Polizei die Übeltäter?

Wie gesagt, die meisten Verbrecher, die einem vom Computerbildschirm entgegenstarren, dürften für die meisten große Unbekannte sein. Eine Ausnahme ist da Jan Marsalek, der mutmaßliche Wirecard-Betrüger, in Deutschland zu fragwürdigem Ruhm gelangt. Viel Erhellendes über den flüchtigen Österreicher kann Europol nicht beisteuern, nur den Hinweis, dass er sich wahrscheinlich im Ausland aufhält. Dann wäre da noch Tania Gomez, eine von nur zwei Frauen auf der Liste. Getarnt als Leiterin einer Rettungsorganisation für streunende Hunde reiste die 30-Jährige den Ermittlern zufolge mindestens seit März 2021 quer durch Europa. Im Gepäck immer ein Alibi-Hund, um ihre heiße Fracht zu verschleiern –Drogen und Geld, die sie als Kurier für verschiedene Verbrecherorganisationen transportiert haben soll.

Mit Renato Cinquegranella kann aber selbst Tania Gomez nicht mithalten. Seinem Fahndungsfoto hat Europol einen „Gefährlich“-Stempel verpasst. Aus gutem Grund: Der kleine Italiener, geboren 1949 und untergetaucht 2002, soll ein Killer der Mafia gewesen sein, ein brutaler noch dazu.

Er soll 1982 ein Mitglied der rivalisierenden Camorra gefoltert, getötet und in Stücke geschnitten haben. Körper, Kopf, Hände und Herz des Opfers fand die Polizei getrennt voneinander.

Wer den entscheidenden Tipp zum Aufenthaltsort des Niederländer Joseph Johannes „Jos“ Leijdekkers gibt, kann sich über eine ganze Menge Geld freuen. 200 000 Euro zahlt die niederländische Polizei für den 32-Jährigen. Spitzname: „Bolle Jos“ (dicker Jos). Nicht verwunderlich, der Holländer gilt als Schlüsselfigur im internationalen Kokainhandel. Er soll mehrere Millionen Euro und Hunderte Kilogramm Gold aus dem Kokainhandel gewaschen haben. Mutmaßlich gehen auch die Folter und der Mord an einer jungen Frau auf sein Konto. Die Polizei warnt: Wer ihn erkennt, soll ihn keinesfalls ansprechen, sondern die Behörden informieren. Etliche Fotos stellt Europol zur Verfügung, inklusive einem aktuelleren mit „Bolle Jos“ in einem Palmenhain.

Nun stehen all diese Verbrecher, und noch einige mehr, auf der Europol-Liste – und was bringt das? Zunächst eine Menge Unterstützung für die örtlichen Polizeibehörden, die nach den Straftätern suchen. Etwa 100 Kriminalanalytiker beschäftigt Europol laut der EU. Sie sollen mithelfen, mögliche Aufenthaltsorte und Bewegungsmuster zu erkennen, damit die Polizisten vor Ort zugreifen können. Auch Informationen von Flüchtigen, die Landesgrenzen überschreiten, bei Europol gesammelt.

Letztendlich finanziert sich die europäische Polizeibehörde genau wie ihre nationalen Geschwister – durch Steuern. Ermittelt durch das Bruttosozialprodukt zahlen alle EU-Mitgliedstaaten für die Europol-Arbeit. Im Jahr 2022 belief sich das Budget auf 193 Millionen Euro, für 2023 veranschlagt Europol selbst 207 Millionen Euro. Den größten Teil davon, 102 Millionen Euro, wird die Behörde für Gehälter der Angestellten ausgeben, gefolgt von „Informationstechnologie für Operationen“ (42 Millionen Euro) und „Operationen“ (15 Millionen Euro). Der finanzielle Aufwand lohnt sich. Erst kürzlich feierte die Behörde einen prominenten Erfolg: die Entschlüsselung des Kryptodienstes Encrochat, den viele Kriminelle zur Kommunikation genutzt haben. Das Ergebnis laut Europol: 6558 Festnahmen.

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