Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier im Interview - Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier über die Feier des Individuums in einer narzisstischen Gesellschaft

"Egokult ist der neue Zeitgeist"

Von 
Caroline Blarr
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Mannheim. Die Jugend muckt nicht mehr auf, aber sie hat auch keine Spielräume dafür, die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft geht verloren - Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier entwirft im Interview ein düsteres Zukunftsszenario.

"Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um aus dem Leben ein Sofa zu machen", hat der Papst den Jugendlichen in Krakau zugerufen. Wenn jetzt schon die katholische Kirche zur Rebellion aufruft: Was ist los mit der Jugend, Herr Heinzlmaier?

Bernhard Heinzlmaier: Das ist doch nur leeres Gerede. Der Papst steht an der Spitze einer autoritären und undemokratischen Organisation, die von ihren Gläubigen Unterordnung erwartet. Er ist sicher nicht der Berufene, um die Jungen zur Revolte zu animieren.

Leidenschaftslos, dekadent, egoistisch: Ihr Urteil über die Jugend fällt auch nicht gerade mild aus.

Heinzlmaier: Das ist nicht mein persönliches Urteil, sondern das Ergebnis soziologischer Untersuchungen. Dass die heutige Jugend pragmatisch-anpassungsorientiert ist, belegen alle Studien. Im Vordergrund ihres Handelns steht immer das eigene Ich, der persönliche Nutzen. Der gesellschaftliche Zusammenhang geht völlig verloren. Es geht um materielle Vorteile, um Ansehen und Aufmerksamkeit. Das sind die Triebkräfte in dieser narzisstischen Gesellschaft.

Ist der Wunsch nach Orientierung, Sicherheit, Geborgenheit angesichts der weltpolitischen Lage nicht irgendwie nachvollziehbar?

Heinzlmaier: Natürlich. Diffuse Ängste sind als Faktoren nicht zu unterschätzen. Aber ich glaube das Wirtschaftssystem spielt da die größere Rolle. Die Religion verliert an Bedeutung, aber der neue Gott steht schon bereit: Es ist der Markt. Der irrationale Glaube an die Kräfte des entgrenzten Kapitalismus und die Deregulierung ist eine Quelle für Unsicherheiten. Das Individuum wird in den Markt hineingeworfen und muss sich bewähren. Sozialstaat, Familie - alles, was mal Stabilität gegeben hat, wird systematisch abgebaut.

Die Generation Y stellt das herrschende Leistungsprinzip doch infrage: Sie will wieder mehr Freizeit und keine Karriere um jeden Preis...

Heinzlmaier: Diese Generationenzuschreibungen sind doch genauso lächerlich wie der Aufruf des Papstes. Im Ernst: Unter dem Begriff wird alles und nichts gefasst, da kann jeder hineininterpretieren, was er will. Der Milieubegriff ist da ein besseres Instrument. Er wird der Differenziertheit der Jugend eher gerecht. Da gibt es die hedonistischen Jugendlichen, die nur im Hier und Jetzt leben, die Konservativen, die das Traditionelle pflegen, die totalen Individualisten, die sich selbst verwirklichen wollen...

Aber die Zeit der großen Ideologien, der Jugendkulturen ist doch vorbei. So zu sein wie alle, zum Mainstream gehören, das ist inzwischen schick.

Heinzlmaier: Ich halte das für eine Fehlinterpretation. Die konsumorientierten Hedonisten, die vor allem in der sozialen Unterschicht vertreten sind, wollen alles sein, aber kein Mainstream im Sinne der angepassten Bürgerlichkeit. Und auch die junge Start-Up-Szene will sich durch besondere Erfolge, besondere Ideen, von anderen abheben. Wenn es einen neuen Zeitgeist gibt, dann ist es der Egokult. Das verbindet die Strömungen.

Ist es nicht unfair, die Jugend allein an den Pranger zu stellen? Diese Trends betreffen doch die Gesellschaft als Ganzes, das wird der Jugend in der Arbeitswelt und im Bildungssystem so vorgelebt.

Heinzlmaier: Natürlich. In der Bildung lautet das Credo: Mach etwas aus dir. In der Kunst- und Kulturszene wird der Kreativgeist gefeiert. In der Gründerkultur geht es darum, etwas Besonderes, etwas Einzigartiges zu sein. Wenn da etwas geändert werden soll, muss man schon sehr fundamental über das Gesellschaftssystem nachdenken. Aber ich bin skeptisch, dass es dazu kommt.

Und wer sorgt dann für den gesellschaftlichen Kitt?

Heinzlmaier: Das ist eine Frage der Bewertung. Es gibt viele, die finden diese Selbstverwirklichungswelt ganz toll. Das reicht von der FDP bis zu den Grünen. Kritisch bewertet wird das, realistisch betrachtet, nur von wenigen. Und meistens taugen diese Stimmen dann auch nur dazu den Diskurs ein bisschen aufzuhübschen. Bei uns ist das eine Luxusdebatte. Aber die Flüchtlingsströme sind die Quittung für unsere Ignoranz. Da geht es, davon bin ich überzeugt, in erster Linie um die Ungleichverteilung ökonomischer Ressourcen, nicht um Politik oder Religion,

Gibt es denn keinen Hoffnungsschimmer? Der Arabische Frühling wurde doch vornehmlich von jungen Aktivisten initiiert, die sich über das Netz organisiert haben.

Heinzlmaier: Solche Bewegungen werden unterschätzt, sie müssen mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das Problem aber war, dass die Aktivisten am Ende des Tages verloren haben. Die Eliten haben sich neu sortiert und die Posten wieder unter sich verteilt.

Und die Jungen kommen nicht an die Schalthebel?

Heinzlmaier: Doch schon, aber nur die Auserwählten. Wer nicht aufmuckt, qualifiziert sich für Höheres. Es sind die, die sich dem Status Quo unterwerfen, also die adretten Mädels und Jungs aus der Jungen Union und von den Jungsozialisten.

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