São Paulo. Brasilien ist im Schockzustand. Ununterbrochen berichtet das brasilianische Fernsehen über die größte Naturkatastrophe, die das Land je erlebt hat. 506 Menschenleben haben die schweren Unwetter im Bundesstaat Rio de Janeiro bislang gefordert. Rund 15 000 Menschen verloren in den am stärksten betroffenen Städten Teresópolis, Petrópolis und Nova Friburgo ihr Obdach. Tosende Wassermassen und braunrote Schlammlawinen hatten alles mitgerissen, was ihnen im Weg stand. Häuser wurden in sekundenschnelle erdrückt. In einer Nacht wurden ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht. Bewohner versuchten, sich auf Bäume zu retten. Für viele kam jede Hilfe zu spät.
Immer noch sind viele Gegenden von den Wassermassen eingeschlossen und die Menschen von der Umwelt abgeschnitten. "Es ist wie im Krieg", sagt eine Bewohnerin mit tränenerstickter Stimme und berichtet, dass vor ihren Augen Nachbarn in den Schlammmassen begraben wurden. An einem Tag ist in der Region mehr Regen gefallen als normalerweise in zwei Monaten. Und ein Ende der schweren Unwetter ist nicht abzusehen.
Am Donnerstag reiste Brasiliens neue Präsidentin Dilma Rousseff in die Unglücksregion. Mit orangefarbener Warnweste, Gummistiefeln und ernstem Gesicht besuchte Rousseff die Rettungskräfte und sprach den Bewohnern von Nova Friburgo Mut zu.
Rios Gouverneur Sergio Cabral griff die Bürgermeister der Unglücksstädte scharf an. "Sie haben erlaubt, dass die Ärmsten der Armen hier wohnen dürfen", sagt er. Deshalb hätten diese Menschen auch die meisten Opfer zu beklagen. Vor den Augen der Behörden sind ganze Stadtteile an den Berghängen entstanden. Diese in Risikogebieten gebauten Häuser wurden als erste unter dem Schlamm begraben. Als Ursache für die Katastrophe gilt auch das Klimaphänomen El Niño, das zuvor schon in Venezuela und Kolumbien für schwere Überschwemmungen gesorgt hat.
Sieben Tonnen Medikamente wurden vom Militär in die Unglücksregion gebracht. Eindringlich bitten die Behörden um Blutspenden, um die Verwundeten versorgen zu können. Die Szenen sind erschütternd. In der historischen Stadt Teresópolis, im 19. Jahrhundert Sommerresidenz der kaiserlichen Familie, hat die Zivilverteidigung bislang 223 Todesopfer gezählt. Vor der örtlichen Gerichtsmedizin bilden sich lange Schlangen. Verzweifelte Familien sind auf der Suche nach Verwandten und erlangen dort traurige Gewissheit. Die Behörde muss improvisieren und mehrere Gebäude räumen, um die zahlreichen noch nicht identifizierten Opfer aufzubahren.
In Nova Friburgo, das einst von Auswanderern aus Deutschland und der Schweiz errichtet wurde, gaben die Behörden die Zahl der Toten mit bislang 225 an. Im brasilianischen TV werden bewegende Bilder gezeigt. So wurde ein sechs Monate altes Baby, das 15 Stunden verschüttet war, lebend von den Rettungskräften geborgen. Wenig später wurde der Vater des Säuglings gerettet. Minutenlang lagen sich die Helfer in den Armen. Eine Frau wird von Helfern mit einem Seil aus den Fluten in den zweiten Stock eines Hauses gehievt. Mit zittriger Stimme erzählt sie danach, dass sie schon mit dem sicheren Tod gerechnet hatte.
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