Viernheim. Die Anspannung ist zu greifen. Da sind die Vertreter der Stadt Viernheim, die eine Entscheidung rechtfertigen müssen, die sie nach eigenem Bekunden treffen mussten. Sie stehen dazu, aber es gibt angenehmere Termine. Und da sind die Anwohner, die mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sind. Ihre Sorge ist, als Fremdenfeinde dazustehen. Denn das sind sie nicht. Aber über die Asylunterkunft, die neben dem TiB (Treff am Bahnhof) aufgestellt wird, muss gesprochen werden. In unmittelbarer Nähe der Leute gibt es bereits zwei Unterkünfte. Jetzt noch eine. Es sind mittlerweile einfach zu viele Menschen mit zu vielen verschiedenen Kulturen. So lässt sich der Infoabend im TiB zusammenfassen.
Sie lebten doch schon in einem Brennpunkt, sagt einer der rund 80 Anwohner. Warum denn jetzt auch noch ausgerechnet hier eine weitere Unterkunft? In der Nähe ein Drogenumschlagplatz, Spritzen lägen herum, dazu die zweifelhaften gastronomischen Läden, sagt der Mann.
Bürgermeister Matthias Baaß nimmt Bezug auf die beiden anderen städtischen Standorte in der Lilienthalstraße und der Industriestraße. Hier betreuten die Johanniter die Einrichtungen und die Menschen 40 Stunden pro Woche.
Sie würden bei der Integration helfen, stünden für Fragen zur Verfügung, sähen nach dem Rechten. Und wenn etwas nicht in Ordnung sei, meldeten sie es den Behörden. Dieses Konzept sei kreisweit einzigartig, an anderen Standorten seien die Menschen sich mitunter selbst überlassen. Und, das betont Baaß mehrfach: „Das Konzept geht auf. Es läuft gut in den Unterkünften. Von Kleinigkeiten abgesehen gibt es keine Probleme.“ Sozialamtsleiter Rudolf Haas ist mit der Unterbringung unmittelbar befasst. Er bestätigt seinen Dienstherren.
„An fünf Tagen die Woche ist also bis 18 Uhr jemand da. Und danach? Wenn die dann Party machen, was ist dann? Was haben Sie für ein Sicherheitskonzept?“, fragt ein Anwohner. Man habe den Ausdruck Sicherheitskonzept ausdrücklich vermieden, weil die Integration der Menschen im Vordergrund stehe und nicht deren Bewachung. Und wenn etwas vorkomme, seien die Johanniter da, auch nach 18 Uhr, so Baaß.
„Nicht eine Unterkunft ist ein polizeilicher Schwerpunkt“
Florian Mohr leitet die Polizeistation Lampertheim-Viernheim. Sie ist für fünf Kommunen verantwortlich. „Ich verstehe Ihre Sorgen, ich kann sie nachvollziehen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass nicht eine der Unterkünfte in unserem Einzugsgebiet einen polizeilichen Schwerpunkt darstellt. Ich bekomme fast alle Meldungen auf den Tisch, und wenn etwas vorgefallen ist, waren es zumeist persönliche Konflikte unter Bewohnern“, sagt Mohr.
Und er schränkt offen ein, es gebe keine Garantie, dass nicht etwas passiert. Diese Garantie gebe es allerdings in keinem Wohnumfeld. Die Polizei könne nicht in jedem Fall vor Ort sein, allein wegen der Personalausstattung. Mohr: „Wir können nur Prioritäten abarbeiten.“ Aber im Ernstfall sei die Polizei zur Stelle. Die Polizei erntet zunächst Respektbekundungen aus dem Saal. „Hut ab vor dem, was die Polizei mit zu wenig Leuten leistet“, heißt es etwa. Aber auch Klagen darüber, dass man, wenn man sich wegen eines Vorfalls aus dem „Brennpunkt“ bei der Polizei melde, abgefertigt werde.
„Es gibt auch bei der Polizei – wie in jedem Unternehmen – Kollegen, die sich sehr engagieren, und eben auch andere“, so Mohr. „Wann immer Sie das Gefühl haben, abgefertigt worden zu sein, melden Sie sich bitte bei mir persönlich“, fordert der leitende Beamte. „Wir müssen mögliche Vorgänge dieser Art intern prüfen, um uns zu verbessern.“
Nachdem Bauamtsleiter Tobias Kettner die Beschaffenheit der beiden Container-Komplexe neben dem TiB via Leinwand erläutert hat, sind einige ernst mal baff. Die drei Stockwerke für die bis zu 205 Bewohner haben eine Höhe von zehn Metern. Das sei ja höher als die Wohnhäuser drumherum.
„Nein“, sagt Erster Stadtrat und Baudezernent Jörg Scheidel. Die umgebenden Gebäude seien ebenfalls zehn Meter hoch und höher. Im anderen Fall sei das nicht genehmigungsfähig. Der Bürgermeister fügt an, es seien sehr zeitaufwendige Genehmigungsverfahren für jede einzelne Unterkunft zu bewältigen. Je kleiner die Standorte, desto mehr Zeit vergehe. Größere Standorte vereinfachten den Verwaltungsaufwand.
Macht es sich die Verwaltung zu einfach?
„Habe ich Sie richtig verstanden – die Gebäude werden so groß, weil es für die Stadtverwaltung einfacher ist?“, kommt die Frage prompt. Hier entspinnt sich der einzige Disput an diesem Abend. Statt die Frage zu beantworten, erklärt Baaß, wie viele alternative Standorte man geprüft habe. Auch auf Nachfragen zur Ausgangsfrage geht er nicht ein.
Im Interview mit dieser Redaktion hat der Bürgermeister genau diese Frage zuvor bereits beantwortet: Die Stadt Viernheim ist in ihrer Verpflichtung, Flüchtlinge unterzubringen, weit im Hintertreffen, was die Anzahl betrifft, sie steht unter Druck. Um dem zu begegnen, hat die Verwaltung beschlossen, die Standorte zu vergrößern. Weniger Standorte, schnellere Abwicklung der Bürokratie.
Auf die wiederholte Frage „Warum bei uns?“ erklärt Scheidel, es eigne sich einfach nicht jeder Standort. Es müsse Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung gegeben sein. Das alles neu zu verlegen, sei finanziell nicht zu bewältigen. Auf die Frage, welche Standorte noch geprüft wurden, nennt Baaß unter anderem den Familiensportpark West und den Bannholzgraben.
Im Familiensportpark West gäbe es doch Wasser und Strom, und er sei nah am Stadtkern, heißt es darauf. Eben nicht, entgegnet Scheidel. Der Standort sei zu weit weg von der Stadt, von Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Schulen. Es brauche soziale Anbindung und soziale Kontrolle.
Die Befürchtungen brechen sich unterdessen immer wieder Bahn: Warum ausgerechnet hier am TiB, wo so viele Kinder verkehren, wo der Hort ist? Hier meldet sich Léïla Schürle zu Wort. Sie leitet den Hort des Lernmobils am TiB. Sie berichtet von guten Erfahrungen mit den Flüchtlingen, die ihre Kinder in den Hort bringen. Die Menschen seien in der Regel interessiert und aufgeschlossen, brächten sich ein.
Anwohner Michael Rieker sagt auf unsere Frage, wie er den Abend erlebt hat: „Es war sehr informativ, die Verwaltung war gut vorbereitet. Dass es kein Sicherheitskonzept gibt, stimmt mich nicht zuversichtlich. Aber jetzt warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln.“
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