Schon bei der Gründung wurde der Wissenschaftseinrichtung EMBL in Heidelberg per Gesetz ein Sonderstatus zuerkannt - auch, um sich die besten Fachkräfte zu sichern. Von Ruth Weinkopf
Steueroasen gibt es auch in Deutschland. Sie sind klein, aber von Gewicht, in den Genuss ihrer Vorteile kommt man nicht durch Vermögen, sondern durch Köpfchen - und sie sind selbst aus Sicht des Bundesfinanzministers völlig legal. Die Tatsache, dass sie den Fiskus gänzlich leer ausgehen lassen, ist gesetzlich gedeckt, weshalb es sich kein Politiker (gleich welcher Couleur) anmaßen würde, sie mit der Hauptstadt eines schwarzafrikanischen Staates zu vergleichen oder ihnen die Kavallerie anzudrohen.
Die Rede ist von zwischenstaatlichen Organisationen wie dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg oder der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching bei München, denen in vielen Bereichen ein Sonderstatus zuerkannt wird. Kurz nach der Gründung des EMBL im Jahre 1974 wurde unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Gesetz erlassen, das man wohl mit Fug und Recht als "Lex EMBL" bezeichnen kann. Die 38 Artikel der "Sitzstaatvereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie" sind dreisprachig abgefasst und regeln sehr detailliert, welche Rechte das EMBL und seine Mitarbeiter genießen. Die Freiheit von der deutschen Steuergesetzgebung und die Entbindung von sämtlichen Pflichtbeiträgen an deutsche Sozialversicherungsträger sind nur die augenfälligsten Themen unter vielen.
Die Sitzstaatsvereinbarung vom 10. Dezember 1974 war der Speck, mit dem die damals noch junge biologische Forschungseinrichtung ihre Mäuse fing. Sie war und ist noch heute das Lockmittel, um die allerbesten Wissenschaftler der Molekularbiologie, die die Welt zu bieten hat, nach Heidelberg zu locken. Denn ein Malus ist auszugleichen: Rund 90 Prozent der Mitarbeiter haben einen befristeten Vertrag - was auch für die Besten der Besten gilt. Nach längstens neun Jahren ist Schluss beim EMBL. Die Frage, ob solche Sonderrechte nicht etwas aus der Zeit gefallen wirken, beantwortet Silke Schumacher denn auch mit einem klaren Nein. "Der Sonderstatus hat auch heute noch Vorteile", sagt die Direktorin für Internationale Beziehungen. Vielleicht ist die "Lex EMBL" heute wichtiger denn je, denn im weltweiten Wettrennen um die klügsten Köpfe zählt jedes Bonbon, das für Heidelberg und damit den Standort Deutschland spricht.
Andererseits hat sich die Wissenschaftseinrichtung von der strengen Auslegung einiger Rechte der Sitzstaatenvereinbarung längst verabschiedet. So heißt es beispielsweise in Artikel 17, dass Mitarbeiter auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienste des EMBL Immunität vor der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der im Rahmen ihres Amtes vorgenommenen Handlungen genießen. Daraus zu schließen, dass ein ehemaliger Mitarbeiter nicht juristisch belangt würde, wenn ihm gefälschte Studien oder andere Verfehlungen nachgewiesen werden könnten, wäre schlicht falsch, so Schumacher.
Die EMBL-eigene Steuergesetzgebung und Sozialversicherung sind bis heute ebenso Fakt wie der Diplomatenstatus, den der jeweilige Generaldirektor genießt. Die hochkarätige Forschungseinrichtung wird von 20 europäischen Ländern und dem assoziierten Mitglied Australien getragen und finanziert, weshalb eine Besteuerung der 1700 Mitarbeiter nur durch den deutschen Fiskus eine gewisse Ungerechtigkeit gegenüber den restlichen Mitgliedsländern wäre. Der gleichen Logik folgt die Befreiung von der Umsatzsteuer, denn zwei Drittel seiner Ausgaben oder Investitionen tätigt das EMBL in Deutschland. Gemäß Artikel 16 Absatz 2, wonach die Vorrechte und Immunitäten nicht zum persönlichen Vorteil der Mitarbeiter gewährt werden, sind Steuern und Sozialabgaben zu zahlen - allerdings intern. Das Steueraufkommen füttert den Etat des Laboratoriums, die Renten werden den Beschäftigten bei ihrem Ausscheiden ausbezahlt. Auch die Steuersätze zwischen neun und 53 Prozent lassen wenig Raum für Spekulationen über eine Bevorzugung.
Vorbild für die "Lex EMBL" war laut Schumacher eine ähnliche Vereinbarung der Organisation für Kernforschung in Genf. Organisatorisch ist das Laboratorium für Molekularbiologie den Vereinten Nationen angegliedert. Sein Kontrollorgan ist der Rat, in den alle Mitgliedsstaaten je einen Vertreter aus Regierung und Wissenschaft entsenden. Die Hauptfinanciers des gut 171 Millionen Euro schweren Budgets sind die Mitglieder (90 Millionen), die Mitarbeiter (knapp 22 Millionen Euro Steuern) und Drittmittel (40 Millionen).
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