Mannheim. Wenn ein Kind nicht lebend zur Welt kommt, kann das für Betroffene physisch, aber auch psychisch sehr belastend sein. Obwohl der frühe Tod eines Kindes, ein sogenanntes Sternenkind, für viele Schwangere traurige Realität wird, ist es nach wie vor ein Tabuthema.
Seit einiger Zeit bietet der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Mannheim spezielle Rückbildungskurse für Sternenmütter an, um sich dort offen über das geteilte Schicksal austauschen zu können.
Untersuchung machen?
„Unsere Erfahrungen aus diesen Rückbildungskursen zeigen, dass die nachfolgende Schwangerschaft nicht nur freudige Gefühle, sondern auch besondere Sorgen und Ängste mit sich bringt“, sagt Martina Merz-Richardson. Die Sozialpädagogin beschreibt, dass alte Erinnerungen, Schuldgefühl und Trauer aufbrechen. Im neuen Mannheimer Kurs „Vorfreude ohne Vergessen“ will man daher der Frage nachgehen: Wie kann zum neuen Kind eine gute Bindung aufgebaut werden? Und: Wie kann gleichzeitig das verstorbene Kind nicht vergessen werden?
Erfahrungsbericht Fehlgeburt: "Sie sagte mir, ich sei normal"
„Ich finde keinen Herzton mehr.“ Diese Worte werde ich nie vergessen. Unser Baby war tot. Als ich zwei Tage später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war für die Ärzte schon alles vorbei – aber für mich fing es erst an. Mein Bauch war leer, mein Baby war tot – mein erstes Kind, auf das mein Mann und ich uns so gefreut hatten. Meine Welt brach zusammen.
Die Sonne schien, die Welt drehte sich, für alle anderen ging das Leben weiter – nur für mich nicht. Sogar für meinen Mann war unser Verlust schnell abgehakt; scheinbar hatten alle mein Baby vergessen – nur ich nicht. Immer wieder brach ich in Tränen aus, ich war überempfindlich und verletzlich. Plötzlich sah ich überall Babybäuche und Kinderwagen. Die einfachsten alltäglichen Entscheidungen überforderten mich völlig. Meine Arbeit schien mir gänzlich unwichtig angesichts der Tatsache, dass mein Baby tot war. Nach der Arbeit marschierte ich stundenlang durch den Wald, als könnte ich die Verzweiflung, die Wut aus mir herauslaufen.
Trost, der keiner ist„Ihr seid noch jung, ihr könntet weitere Kinder haben.“ – „Es passiert vielen Frauen.“ Gut gemeinte Trostworte von Familie und Freunden klangen leer und verletzend. Mein Umfeld wünschte sich, ich würde mich ‚normal’ oder ‚rational’ verhalten. Nur wusste ich nicht mehr, was ‚normal’ war. Ich dachte selber, ich würde verrückt. Nach sechs Wochen hielt ich es allein nicht mehr aus und meldete mich bei einer Selbsthilfegruppe an.
Dort fühlte ich mich gleich verstanden, da jede(r) wusste, wie schmerzhaft es ist, ein Kind zu verlieren und welche Probleme dadurch im eigenen Umfeld entstehen können. Manchmal bekam ich Tipps, aber oft hat es einfach geholfen, nicht alleine zu sein. Auch die Klinikseelsorgerin war eine große Stütze und hat mir dann eine Trauerbegleiterin empfohlen. Diese Therapeutin bot mir Raum für meine Trauer an, gab mir Denkanstöße und versicherte mir manchmal einfach, ich sei normal und nicht verrückt. Ich ging jedes Mal heraus und dachte: „Die Zeit bis zum nächsten Termin schaffe ich jetzt allein." Und das tat ich.
Betroffene Mutter aus der Region beschreibt in einem Flyer ihre Gefühle und fasst für Betroffene Infos zusammen: www.t.ly/vHJQ2
Denn sobald sie wieder schwanger seien, sagten viele Frauen: „Oje, wie wird das dann?“ Und da seien plötzlich jede Menge Fragen. „Soll ich Untersuchungen machen? Welche? Alle? Keine?“ Merz-Richardson berichtet: „Denn, als ich alles abgecheckt habe, habe ich das Kind doch trotzdem verloren“, seien Gedankengänge, die sie aus der Beratung kenne.
Von Kollege bis Schwiegermutter
Seit vielen Jahren arbeitet sie beim SkF mit Betroffenen an dieser Thematik. Im Fokus steht „die Ambivalenz wieder schwanger zu sein, sich auf der einen Seite verhalten zu freuen, während die Trauererfahrung nicht vom Tisch ist“, sagt sie. „Und die Menschen daran noch zu knabbern haben.“
Aus der Erfahrung aus den Rückbildungskursen für Sternenmütter weiß sie: Reden an diesem geschützten Ort helfe unglaublich viel. Auch die Männer seien mal im Kurs dabei, beschreibt Merz-Richardson. In den Rückbildungskursen stelle sich etwa oft heraus, dass jemand in der Paarbeziehung sagt: „Ich bin so weit“, der oder die andere aber sagt: „Ich noch nicht.“ Merz-Richardson weiß: „Das Wichtigste ist, dass man überhaupt darüber redet.“ Denn: „Wir sind einfach Menschen und jeder trauert anders. Das gilt auch für Kollegen oder die Schwiegermutter.
Worte können helfen
Wichtig ist, zu sagen: Bei mir ist das so, bei dir so. Was machen wir jetzt? Wie gehen wir damit um?“, beschreibt sie. Dadurch sei viel gewonnen. „Es ist ein bisschen klischeehaft“, sagt Merz-Richardson, „aber es ist so, dass die Frauen eher im Gespräch verarbeiten und Männer eher im Tun. Also Sport, Holzarbeiten, sich in Arbeit stürzen, kreativ werden. Diese Erfahrung machen wir.“ Fragen, die im Kurs oft aufkommen, sind auch: Kann man jetzt überhaupt noch arbeiten? Wie lange ist man krankgeschrieben? Viele Männer sagten da etwa: „Ich bin froh, dass ich wieder arbeiten kann“, während Frauen oft Zeit bräuchten. Können beim „Vorfreude ohne Vergessen“-Kurs auch Frauen teilnehmen, die noch nicht schwanger sind? Merz-Richardson sagt: „Erst kürzlich rief eine Dame an, sie ist noch nicht schwanger. Ich habe ihr gesagt, wenn da alle schon mit einem Bäuchlein sitzen, ist es vielleicht noch nicht so gut.“ Es gehe auch um den mentalen Schutz der Frauen, „deshalb haben wir jetzt erst einmal gesagt: nur für Schwangere.“
"Ich glaube an das Gute im Leben"
Wie schafft es Merz-Richardson, so lange in diesem Job mit einer sehr schweren Thematik zu arbeiten? „Es ist bei mir so, dass ich ein Vertrauen ins Leben habe und an das Gute im Leben glaube“, sagt sie. „Und, dass ich das suche und auch versuche, es mit den Menschen in dieser schlimmen Situation wieder zu finden.“
Kurse in Mannheim, Infos und allgemeine Hilfe
- Termine der Austauschgruppe Folgeschwangerschaft: 20. September, 25. Oktober, 15. November, 13. Dezember. Jeder Gruppenabend ist in sich geschlossen und die Teilnahme nach vorheriger Anmeldung kostenfrei möglich. Die Termine finden in regelmäßigen Abständen, mittwochs von 17.30 bis 19 Uhr in den Räumen des SkF Mannheim in B5,20 statt.
- Kontaktdaten: Martina Merz-Richardson Tel.: 0621/120 80 13 martina.merz-richardson@skf-mannheim.de, Maria Winkler, Hebamme, Maria.winkler@skf-mannheim.de. Allgemeine Infos unter www.skf-mannheim.de
- Der nächste Rückbildungskurs für Sternenmütter startet im November 2023 (der „MM“ informiert, sobald der aktuelle Termin feststeht). Link zum Flyer: t.ly/Wqm34
- Der Kurs richtet sich an Mütter, die ihr Kind durch eine Fehlgeburt, eine Totgeburt, einen späten Schwangerschaftsabbruch oder in den ersten Lebenstagen verloren haben. Der Rückbildungskurs findet an fünf Abenden statt und dauert jeweils zwei Stunden.
- Näheres über die Informations- und Vernetzungsstelle Pränataldiagnostik Mannheim in Trägerschaft des SkF Mannheim gibt es unter www.pnd-beratung.de. Dort gibt es inzwischen auch eine landesweite Übersicht zu weiteren Angeboten für Sterneneltern (www.t.ly/6ivTO).
- Kontakt, Vernetzung und viele Infomaterialien auch abruf- und bestellbar über www.initiative-regenbogen.de see
Sie und ihre Kollegin, Hebamme Maria Winkler, hätten außerdem eine lange Berufs- und Lebenserfahrung, sagt sie. „Das stärkt uns“, so Merz-Richardson. „Und wir haben auch persönliche Schicksalsschläge erlebt. Gemeinsam mit den Betroffenen, versuchen wir, wieder Lichtblicke zu schaffen.“ Winkler ist auch in traumasensibler Beratung qualifiziert, sagt Merz-Richardson. Sie macht eine Pause und sagt: „Wichtig ist auch, dass man Humor haben kann, lachen in den Kursen, so schlimm es ist. Auch mal Freude zulassen und Momente schaffen, in denen man glücklich sein darf und kann.“
„Wir stehen das mit euch durch“
Erst hatten Winkler und Merz-Richardson die Kurse viermal im Jahr angeboten. Doch nun geben sie nur noch zwei. Das hat auch damit zu tun, dass die Kurse „sehr intensiv“ seien und viele Nachfragen und Gespräche davor anfallen. „Die Nachfrage ist da“, sagt Merz-Richardson.
Nebenbei managen sie auch noch eine in Baden-Württemberg gerade vier mal existierende Beratungsstelle „Pränataldiagnostik“ in Mannheim. Das Land ist Vorreiter, „viele kommen auch aus anderen Städten zu uns“, sagt Merz-Richardson. „Wir beraten auch zu Spätabbruch und der damit verbundenen Frage ja oder nein“, beschreibt sie. „Egal um welche Entscheidung es geht“, sagt sie, „wir signalisieren den Betroffenen immer: Wir halten das mit euch aus. Egal, wie ihr euch entscheidet. Wir sind für euch da.“
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[4] https://www.pnd-beratung.de
Kommentar Tabu-Thema Fehlgeburt: Es ist 2023, schützt alle Mütter!