Leserbrief - Zum Bericht „Skrupelloser Handlanger des Nazi-Regimes“ (FN, 15. März) Opfer erhalten etwas von menschlicher Würde zurück

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Das Thema „Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ war lange ausgeblendet, ja vergessen. Daher ist den Verantwortlichen in Tauberbischofsheim, insbesondere Dr. Mathias Jähnel, zu danken: sie organisierten eine Fortbildung über Ärzte im Dienst des NS-Regimes.

Über 200 000 Patienten aus deutschen Heil- und Pflegeanstalten wurden als „lebensunwert“ ermordet. Einer der Hauptverantwortlichen war der Direktor der Würzburger Uni-Nervenklinik, Werner Heyde: als Obergutachter und medizinischer Leiter der „Aktion T 4“ gab er grünes Licht für über 100 000 Todesurteile, die andere Gutachter zuvor empfohlen hatten.

Als Archivar hat das Thema mich von der Opfer-Seite her „erfasst“. Auch Menschen aus dem Main-Tauber-Umpferraum lebten damals in Anstalten und wurden ermordet. In den Fokus rückt dabei Krautheim an der Jagst. Vor 100 Jahren gehörte das Städtchen noch zum Amtsbezirk Boxberg. Später kam Krautheim zum Amtsbezirk/Landkreis Buchen, heute zählt es zum Hohenlohekreis.

In Krautheim gab es eine Kreispflegeanstalt, die im weiten Umkreis die niedrigsten Tageskosten hatte. Am 17. Oktober 1940 wurden aus der Krautheimer Anstalt 50 Personen nach Grafeneck abtransportiert und 46 davon noch am gleichen Tag ermordet.

Die Namen waren erfasst. Aber in den 1990er Jahren wurden alle personenbezogenen Unterlagen vernichtet, auch das Aufnahme- und Entlassbuch der Kreisanstalt. Dadurch gingen die Namen der Opfer verloren.

Der Neckargemünder Theologe und Pädagoge Dr. Hans-Werner Scheuing machte sich die Wiederentdeckung der vergessenen Krautheimer NS-Opfer zur Aufgabe. So schrieb er 2014 auch an die Stadtarchive Boxberg und Lauda-Königshofen: „In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Grafeneck und dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg forsche ich nach den Namen der Opfer . . . Von verschiedenen Stellen habe ich bisher 20 Namen zusammengetragen . . . Meine Bitte an Sie ist, in den Archiven . . . nach Namen von Personen zu suchen, die vor 1940 in der Kreispflegeanstalt Krautheim untergebracht wurden.“

Am 17. Oktober 2015, zum 75. Jahrestag der Deportation, fand in Krautheim die Gedenkveranstaltung „Gegen das Vergessen“ statt. Dr. Scheuing konnte damals eine Liste mit 33 Namen vorlegen.

Aus dem Main-Tauber-Kreis kamen Opfer aus folgenden Orten: Bobstadt (Boxberg): eins – Brehmen (Königheim): eins – Grünsfeld: vier – Lauda: eins – Steinbach (Külsheim): eins – Wertheim: sechs (davon aus Bestenheid: eins, aus Reicholzheim: zwei).

Landrat Dr. Achim Brötel vom Neckar-Odenwald-Kreis (Rechtsnachfolger des Kreises Buchen) veranlasste weitere Forschungsarbeiten, die am 17. Oktober 2017 in Buchen vorgestellt wurden. Dabei wurde der Wunsch laut, nunmehr Biografien der Opfer möglichst vor Ort zu rekonstruieren. So kam das traurige Thema erneut zu Archivaren und Heimatforschern. Dabei wurden aus Lauda jetzt drei weitere Mordopfer ermittelt, alle mit verschiedenen Geburtsorten: Uiffingen, Grünstadt, Mannheim.

„Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“, schreibt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Für die Krautheimer NS-Opfer trifft das nun weniger zu. Ihre Ermordung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Aber die Biografien, die jetzt entstehen, stärken das Gedenken. Die Mordopfer erhalten dadurch ein individuelles „Gesicht“, etwas von ihrer menschlichen Würde zurück.