Mannheim. Bevor die Handball-Profis der Rhein-Neckar Löwen am Donnerstag erstmals nach der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden wieder vollständig trainieren, ging es lange Zeit überschaubar im Kronauer Trainingszentrum zu. Dauergast in der Trainingshalle war allerdings Uwe Gensheimer, der nach seinem Rücktritt aus dem Nationalteam 2021 nun zum zweiten Mal nur Beobachter eines großen Turniers war. Als Ex-Kapitän ist die Löwen-Ikone aber weiter nah dran an der DHB-Auswahl.
Im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet der 36-Jährige darüber, wie er die Auftritte der Nationalmannschaft bei der WM wahrgenommen hat, wie einsam es in der Trainingshalle war und warum er mit den Löwen unbedingt den DHB-Pokal gewinnen möchte.
Uwe, während der WM waren gleich zehn Ihrer Teamkollegen bei ihren Nationalmannschaften. Mussten Sie in Kronau eine Selbsthilfegruppe gegen die Vereinsamung gründen?
Uwe Gensheimer (lacht): Ja, das wäre eine Maßnahme gewesen. Wir waren teilweise zu viert oder fünft. In der Zeit haben wir viel im athletischen Bereich gearbeitet, an den Würfen gefeilt und zum Glück hatten wir mit David Späth einen Torwart dabei. Auch für mich war das eine neuere Situation, aber es spricht ja für die Löwen, dass wir so viele Nationalspieler haben.
Wann sind Sie wieder ins Training eingestiegen und wie kann man sich das mit der reduzierten Mannschaft vorstellen?
Gensheimer: Wir hatten zuvor einen individuellen Plan und haben ab der dritten Januar-Woche hier vor Ort wieder geschlossen begonnen.
Sie selbst hatten vor der WM-Pause mit einem Muskelfaserriss zu kämpfen. Wie ist da der Stand?
Gensheimer: Das sieht alles gut aus. Wir hatten es schon vor Weihnachten versucht, was aber noch etwas zu früh war. Deshalb konnte ich die paar Wochen mehr gut nutzen.
Hatten Sie Gelegenheit wie Trainer Sebastian Hinze, bei der WM vor Ort vorbeizuschauen?
Gensheimer: Ja, ich konnte mir in Stockholm das Halbfinale, das Spiel der deutschen Mannschaft und das Finale anschauen.
Wie war Ihr Eindruck vom deutschen Team? Waren Sie wie viele Beobachter auch positiv von der anfänglichen Stabilität überrascht?
Gensheimer: Die Sicherheit, die Konstanz und das Auftreten allgemein waren sehr gut. Auch in der Hauptrunde gegen Argentinien und die Niederlande blieben keine Fragen offen. Gegen Norwegen und gegen Frankreich im Viertelfinale haben wir uns dann bei der Chancenverwertung etwas schwergetan und das in den Köpfen gehabt. Gerade gegen Frankreich hätten wir mit einem Vorsprung in die Halbzeit gehen müssen, um die Partie zu gewinnen. Aber auch da hatten wir mega gute Phasen. Da hat mir das Umschaltspiel sehr gut gefallen, aber die Franzosen waren echt abgezockt, haben sich nicht verunsichern lassen und ihren Stiefel heruntergespielt.
Wo hat die DHB-Auswahl den größten Schritt nach vorne gemacht?
Gensheimer: Die Abwehr in dieser Konstellation vor einer starken Torwartleistung und in Verbindung mit dem Umschaltspiel war schon sehr gut. Das Spiel war dann vielleicht nicht mehr so flüssig von hinten heraus, als etwa Julian Köster auch im Innenblock seine Pausen benötigte und gewechselt werden musste.
Und wo sehen Sie noch Luft nach oben? Es wurde viel von der fehlenden Breite gesprochen?
Gensheimer: Ich glaube, dass die erste Formation schon sehr gut eingespielt war und dass da viel funktioniert hat. Als gewechselt wurde, war ab und an ein Bruch zu bemerken, aber ich hatte die Gelegenheit, am Sonntagabend beim Abschlussessen der Mannschaft dabei zu sein und da auch den Eindruck, dass ein großer Zusammenhalt herrscht. Dass ein Schritt nach vorne gemacht wurde, hat auch die Mannschaft so wahrgenommen und lässt sie sicher optimistisch in die Zukunft gehen.
Ihr Teamkollege Juri Knorr wurde als bester Youngster ins All-Star-Team gewählt und konnte seine starke Form aus der Bundesliga aufs internationale Parkett mitnehmen. War das zu erwarten?
Gensheimer: Juri hat ein überragendes Turnier gespielt, aber er hatte auch Situationen, die er in Zukunft noch besser machen wird. Gerade die Achse Knorr/Köster - das sind Jungs mit 22 Jahren, die bei so einem Turnier extrem viel aufsaugen und Erfahrungswerte auch in Situationen sammeln, in denen es mal nicht so läuft. Deshalb werden sie dann in Zukunft besser damit umgehen können. Dass Juri so ein Turnier spielt, war nicht zu erwarten, aber es ist natürlich ein Stück leichter, wenn du einen Monat davor in der Liga diese Leistung gezeigt hast, zu sagen: Wieso soll ich das nicht auch in der Nationalmannschaft beweisen können? Aber es war nicht nur Juri, sondern auch Andreas Wolff. Er hat im Tor ein überragendes Turnier gespielt und auch viele andere haben der Mannschaft immer wieder etwas geben können.
Sie werden noch einen zweiten roten Teppich für Weltmeister Niclas Kirkeløkke ausrollen müssen. Was ist da mannschaftsintern gefordert? Muss ein Weltmeister einen ausgeben?
Gensheimer (lacht): Nee, leider nicht. Aber das ist dennoch eine witzige Geschichte. Niclas kam aus dem Urlaub und hat noch eine Woche mit uns trainiert. Und wenn dann jemand nachnominiert und direkt in der Startformation auf einer für ihn ungewohnten Position eingesetzt wird und am Ende ganz oben steht, ist das schon klasse zu sehen.
Jetzt sind die Dänen dreimal in Folge Weltmeister geworden. Das gab es noch nie. Sind sie das Maß aller Dinge?
Gensheimer: Das muss man einfach so sagen. Es ist schon beeindruckend, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt. Wenn jemand wie Simon Pytlick neben Leuten wie Mathias Gidsel oder Mikkel Hansen plötzlich zu einer spielbestimmenden Figur wird oder alle raunen, dass es bei Rasmus Lauge Schmidt langsam eng wird und er dann das Finale mitentscheidet. Da kann man sich auf nichts richtig einstellen - und dann haben sie auch noch Niklas Landin im Tor, der den Gegner immer wieder verzweifeln lässt. Ich fand es dabei auch bemerkenswert, mit welcher Intensität sie gegen Frankreich verteidigen konnten und wenige Duelle verloren haben.
Ab Donnerstag sollen wieder alle Löwen in der Trainingshalle stehen. Am Freitag geht es in den Bus und am Samstag steht das Pokal-Viertelfinale in Hannover an. Kann man in dieser kurzen Zeit überhaupt eine vernünftige Vorbereitung aufs Parkett bringen?
Gensheimer: Dass es gleich mit einem K.o.-Spiel losgeht, ist schon eine besondere Situation. Natürlich hätte der Trainer auch sagen können: Am Dienstag sind alle wieder da. Aber nach so einem Turnier muss man auch mental erst einmal alles verarbeiten. Da ist es vielleicht besser, wenn die Jungs erst am Donnerstag, aber dafür mit richtig Bock auf dieses K.o.-Spiel da sind.
Der DHB-Pokal mit den Löwen fehlt Ihnen noch in der Titelsammlung. Ist das eine Extraportion Motivation, um den letzten Schritt zum Final Four zu machen?
Gensheimer: Ja, logisch. Für mich persönlich ist das eine Sache, aber es wäre sicherlich für uns alle riesig, in Köln dabei zu sein.
Die Hürde Hannover ist allerdings nicht gerade klein.
Gensheimer: Ja, das haben wir in unserem Heimspiel gesehen, das beim 32:31 lange sehr eng war. Hannover hatte weitaus weniger Spieler als wir bei der WM und konnte sich vielleicht besser gemeinsam vorbereiten. Aber das sind Nebenschauplätze, die wir ausblenden müssen, um uns ganz auf uns selbst zu konzentrieren.
Das Vertrauen in die eigene Stärke sollte, Sie als Tabellendritter nach der starken Hinrunde aber auf jeden Fall mit nach Hannover nehmen.
Gensheimer: Wir müssen versuchen, einfach so weiterzumachen wie in der Hinrunde. Ich hoffe, dass uns das gelingt.
Und die Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeit dürfte dann diese Woche auch wieder aufgelöst werden?
Gensheimer: Ja, ich freue mich unheimlich, die ganzen Jungs wiederzusehen. Soweit sind ja auch alle fit geblieben, jetzt muss man noch sehen, wie sie mental zurückkommen. Gerade für die schwedischen Spieler, die bis zum Halbfinale ein super Turnier gespielt haben und dann wie wir 2019 mit zwei Niederlagen aus dem Turnier sind, ist das bestimmt nicht einfach. Aber ich hoffe, dass sie schnell wieder den Kopf hochbekommen. Denn wir brauchen am Samstagabend absolut jeden.