Fußball

Wie arabische Ultras Stimmung gegen Israel machen

Bei dem einen oder anderen europäischen Club gab es bereits Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern im Gaza-Streifen. Das ist jedoch nicht zu vergleichen mit der Unterstützung in arabischen Fankurven

Von 
Ronny Blaschke
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Die Fans des ägyptischen Spitzenclubs Al Ahly gelten als besonders politisch und könnten bei der Club-WM ein Zeichen setzen. © Mahmoud Hefnawy/dpa

Die Menge schreit und tobt und jubelt. Die Tribüne des libyschen Clubs Al Ahly Bengasi ist voll besetzt. Kurz vor dem Anpfiff ziehen die Ultras - die Hartgesottenen unter den Fans - dann eine riesige Stofftapete bis unter das Dach. Darauf zu sehen sind Porträts von sechs historischen Figuren aus der arabischen Welt, die vor gut 100 Jahren gegen die europäischen Kolonialmächte gekämpft haben. Im Zentrum steht der libysche Koranlehrer und Widerstandskämpfer Omar Mukhtar. Ein Nationalheld, der 1931 von den italienischen Faschisten gehängt wurde.

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Aber was hat das mit der Gegenwart zu tun? Im Hintergrund der Choreografie sind die Farben der palästinensischen Flagge zu sehen. Im Vordergrund verkündet ein Spruchband die Botschaft: „Wir werden nicht niederknien, wir lassen uns nicht demütigen. Wir leisten das, was unsere Großeltern gegen die Besatzer geleistet haben.“

"Die Stadien sind ein Abbild"

Die Ultras aus Bengasi wollen eine historische Linie ziehen - aus der Kolonialzeit in Nordafrika bis zur angeblichen „Kolonialmacht Israel in Palästina“. Es ist zurzeit ein Beispiel von vielen für die politischen Ausrufezeichen im arabischen Fußball. „Die Unterstützung für die Palästinenser war in den Stadien immer ein Thema“, sagt der Fanexperte Nadim Rai. „Aber so laut wie jetzt war diese Unterstützung schon lange nicht mehr.“

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und der Militäroffensive des jüdischen Staates im Gazastreifen kommt es zu Demonstrationen in etliche arabischen Städten. Tausende Menschen ziehen vor die Botschaften der USA, des wichtigsten Partners Israels. „Die Stadien sind ein Abbild dieser gesellschaftlichen Stimmungen“, sagt Rai.

In europäischen Ligen zeigten Fans von Celtic Glasgow, dem FC Liverpool oder Real Sociedad San Sebastián Flaggen oder Spruchbänder für die Palästinenser, aber die Unterstützung arabischer Anhänger geht weit darüber hinaus. In Tunesien entrollten Ultras von Africain Tunis das riesige Konterfei eines vermummten Kämpfers. Auch in anderen Stadien schwenkten Ultras palästinensische Flaggen und stimmten Gesänge für die „Märtyrer von Gaza“ an.

Fans müssen nichts befürchten

Dabei weckt dieser Aktivismus Erinnerungen an den Arabischen Frühling von 2011. Damals hatten Zehntausende Ultras unter anderem in Ägypten, Tunesien und Marokko die Demonstrationen gegen autokratische Herrscher mitgeprägt. Sie errichteten Barrikaden, schützten Verletzte vor Schlägertrupps und komponierten Protestlieder gegen die Regime. „Diese aktivistische Haltung war nie ganz verschwunden“, sagt Fanexperte Rai. „Die Ultras greifen alte Strukturen wieder auf.“

Die FIFA und ihre Nationalverbände verbieten eigentlich politische Botschaften in den Stadien. Dennoch müssen die arabischen Ultras wohl erst mal keine Sanktionen fürchten.

Auch Kritik an eigenen Regierungen

Der ägyptische Ex-Nationalspieler Mohamed Aboutrika, der im Exil in Katar lebt, sagte: „Die Hoffnung ist wiederhergestellt.“ Aboutrika, dem eine Nähe zur Muslimbruderschaft nachgesagt wird, meinte damit offenbar einen Sieg über Israel.

In Ländern wie Syrien, Libanon oder Katar, in denen die Eliten mit islamistischen Gruppen wie der Hamas oder Hisbollah zusammenarbeiten, entsprechen pro-palästinensische Stadionbotschaften der offiziellen Staatspropaganda. „Doch in anderen Ländern kann man diese Botschaften auch als Kritik an der eigenen Regierung interpretieren“, sagt der Publizist René Wildangel, der sich schon lange mit dem Nahen Osten beschäftigt.

2020 hatten Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain ihre Beziehungen zu Israel normalisiert - auch mit der Hoffnung auf neue Investitionen. Wie groß die Ablehnung gegen Israel jedoch in der Bevölkerung ist, zeigt sich nun auch in den Stadien.

Aktionen auch bei der Club-WM?

In der tunesischen Küstenstadt Gabès bedeckten die Ultras des Vereins Avenir Sportif ihre Tribüne mit einer riesigen Folie. Darauf zu sehen war der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der sich die Ohren zuhält sowie der jordanische König Abdullah II., der sich die Augen verdeckt, und der saudi-arabische Kronprinz Mohammed Bin Salman, der eine Hand vor den Mund hält. Dahinter sind Explosionen abgebildet. Zum Kontext: Ägypten unterhält seit 1979 diplomatische Beziehungen zu Israel, Jordanien seit 1994. Auch Saudi-Arabien und der jüdische Staat hatten sich zuletzt aufeinander zubewegt. Die tunesischen Ultras in Gabès aber halten das offenbar für Verrat an den Palästinensern.

Im Dezember findet in Saudi-Arabien die Club-WM statt. Das größte Land der Arabischen Halbinsel will sich als weltoffen präsentieren - auch im Hinblick auf die wahrscheinliche Austragung der WM 2034. Es sei jedoch gut möglich, dass die Diskussionen über den Nahen Osten auch in Saudi-Arabien eine Rolle spielt, sagt Robert Chatterjee vom Fachmagazin „Zenith“.

Er verweist auf den Club Al Ahly aus Kairo, der als Sieger der afrikanischen Champions League an der Club-WM teilnehmen wird. „Die Ultras von Al Ahly sind besonders politisch“, sagt Chatterjee. „Sie könnten die Club-WM für ihre Botschaften nutzen.“ Spätestens dann müssten sich auch die europäischen Fußballzentralen näher mit der Eskalation im Nahen Osten befassen.

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