Stuttgart. Der VfB Stuttgart hat die zurückliegende Zitterspielzeit durch einen sensationellen Schlussakkord zu einer unvergesslichen gemacht. Im Saisonverlauf gab es allerdings gleich mehrere Dinge, die nicht so gepasst haben wie der Kopfball des Kapitäns Wataru Endo in der zweiten Minute der Nachspielzeit zum 2:1 im letzten Saisonspiel gegen den 1. FC Köln. „Ich bin komplett offen für eine ehrliche Analyse und hoffe, aus Fehlern lernen zu dürfen. Nur dann hat man die Chance, langfristig etwas zu entwickeln“, sagte Sportdirektor Sven Mislintat, nachdem unmittelbar nach dem Last-Minute-Ligaverbleib die Probleme ans Tageslicht kamen.
Kann die Rettung etwas Außergewöhnliches hervorrufen?
Wenn man in die jüngere Vergangenheit der Fußball-Bundesliga zurückblickt, kann man zu dieser Erkenntnis kommen. Die Ligarivalen Köln (Rettung über die Relegation 2020/21) und Eintracht Frankfurt (Rettung über die Relegation 2015/16) haben gerade so Bruchlandungen verhindert, dadurch emotionale Booster ausgelöst und in der Folge zu beachtlichen Höhenflügen angesetzt. Solche Grenzerlebnisse schweißen zusammen. Der Geist vom 14. Mai 2022 wird allen Beteiligten beim VfB einen zusätzlichen Schub geben – zumindest in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit.
Wie geht der Verein mit dem brisanten Fall Atakan Karazor um?
Ein Dreizeiler war auf der VfB-Homepage unmittelbar nach der Meldung, dass der Mittelfeldmann wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer jungen Spanierin auf Ibiza in Untersuchungshaft sitzt, zu lesen. Mehr gab es vom Verein über zwei Wochen lang nicht zu hören. Beim Trainingsauftakt erklärten Cheftrainer Pellegrino Matarazzo und Mislintat dann, dass man den Fall Karazor, der der Mannschaft auf unabsehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen wird, nur rein sportlich bewertet. Das Fehlen des 25-Jährigen wird behandelt wie die Situation eines verletzten Spielers. Sein Ausfall soll intern aufgefangen werden.
Ist Trainer Matarazzo unter die Landschaftsgärtner gegangen?
Einem Spieler zum richtigen Zeitpunkt eine Pause zu gönnen. „Das ist unfassbar wichtig für die Entwicklung.“ Diese Erkenntnis bezeichnete der VfB-Coach als eine der großen Lehren, die er aus der vergangenen Saison für die Zukunft zieht. Und nutzte ein anschauliches Bild, durch das dieser Umstand jedem einleuchten sollte: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, sagte Matarazzo. Es gebe Zeitpunkte, an denen man Sonne, Schatten, Wasser und vielleicht auch mal Dünger brauche. „Aber wenn man daran zieht, kann Gras auch kaputtgehen.“ Bleibt abzuwarten, ob diese Erkenntnis auch fruchtet, wenn die Schwaben erneut so arg wie in der abgelaufenen Runde von Verletzungen – und Corona – gebeutelt werden.
Wird es in Stuttgart noch Wiener Schmäh zu hören geben?
Wenn es nach dem österreichischen Nationalspieler Sasa Kalajdzic geht, nein. Der Berater des 25-Jährigen hat die Chance auf den Verbleib des Stürmerstars und Sympathieträgers in Stuttgart auf maximal fünf Prozent taxiert. Mit Ablösesummen von mehr als 20 Millionen Euro wurde auch sein kongenialer Partner und Flankengott Borna Sosa in Verbindung gebracht. Um beide ist es mittlerweile aber recht ruhig geworden. Der VfB sieht dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ohne den Verkauf von Leistungsträgern – Dinos Mavropanos und Orel Mangala wurden zwischenzeitlich ebenfalls als Abgänge gehandelt – könnte die Mannschaft sicherlich den nächsten Entwicklungsschritt machen. Allerdings hat Mislintat den Auftrag, Transfererlöse in Höhe von 25 Millionen Euro zu erwirtschaften, um Altlasten zu begleichen.
Woran wird man in dieser Saison beim VfB arbeiten?
Ein großes Thema sind die athletischen Voraussetzungen. Die Verantwortlichen haben bei der Diagnostik sowie auch bei den Ansprüchen und Anforderungen an die Spieler draufgesattelt. Bei den Profis soll das Bewusstsein geschärft werden, dass jede Partie und jeder einzelne Punkt wichtig ist – und zwar vom ersten Spieltag an. Nicht wie in der vergangenen Saison erst ab der Winterpause.
Was ist von der Mannschaft zu erwarten?
Spielerisch ist sie zu einigem in der Lage. Doch mit Blick auf die Konkurrenz wird es am Ende wohl wieder nur darum gehen, die Klasse zu halten. Das scheint schon jetzt klar, auch wenn Trainer und Mannschaft das Saisonziel erst zum Ende des Trainingslagers am 16. Juli formulieren wollen.
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