Fußball

Spanische Märchenstunde in Wellington

Dass die spanischen Fußballerinnen erstmals ein WM-Halbfinale dank der 19-Jährigen Salma Paralluelo erreichen, die auch eine Weltklasseläuferin hätte werden können, sagt viel über die Talente dieser Sportnation aus

Von 
Frank Hellmann
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Pure Freude: Die Spanierin Salma Paralluelo lässt ihren Emotionen nach ihrem Tor in der Verlängerung gegen die Niederlande freien Lauf. © Alessandra Tarantino/AP/dpa

Wllington. In diesem Fall schien durchaus stimmig, was der offizielle Twitter-Kanal der Fifa mitteilte: Das Foto von der jubelnden Salma Paralluelo, die ihre ganze Erlösung herausschrie, dass sich sogar die Stirn einer 19-Jährigen in Falten legte. Der Mund weit offen. „Aaaand breathe!“ hieß es dazu vom Weltverband. Und atmen. Hat die „Spielerin des Spiels“ eines nicht immer hochklassigen, aber hochspannenden WM-Viertelfinals zwischen Spanien und Niederlande (2:1 nach Verlängerung) nach Schlusspfiff dann auch bald getan.

Als die viel beschäftigte Schiedsrichterin Stéphanie Frappart aus Frankreich im neuseeländischen Wellington zur Mittagszeit abpfiff, rannten die meisten Mitspielerinnen auf Salma zu. Einmal kräftig knuddeln. Erst als sich der Youngster aus dieser Menschentraube gelöst hatte, streifte sie sich das Haarband ab, strich sich durch die Mähne und schien allmählich zu realisieren, was sie mit ihrem Siegtreffer in der 111. Minute angerichtet hatte, nachdem die Niederländerin Stefanie van der Gragt (90.+1) die Führung durch Maria Caldentey (81./Handelfmeter) ausgeglichen hatte.

Erstmals haben auch Spaniens Frauen ein WM-Halbfinale erreicht. „Das bedeutet alles für mich. Es war ein einzigartiger Moment, eine große Euphorie, ihn erlebt zu haben, ich bin sehr glücklich“, sagte die Matchwinnerin. Es war erst ihr siebtes Tor im zwölften Länderspiel, und wie fast immer war sie von der Bank gekommen. Diesmal kam die Teenagerin nach 71 Minuten - weit vor Weltfußballerin Alexia Putellas.

Unhaltbar ins lange Eck

Umkämpfte Partien mit ihrer Schnelligkeit zu drehen, lautet auch ihre Jobbeschreibung beim FC Barcelona. Kaum hatte die Niederländerin Lineth Beerenstyn für den Vizeweltmeister die große Chance zum 2:1 liegen gelassen, zündete die Nummer 18 der „Seleccion“ ihren Turbo und legte den Ball unhaltbar ins lange Eck. Innenpfosten, Tor. „Salma ist eine Spielerin mit enormem Potenzial und hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht“, lobte Trainer Jorge Vilda.

Er kennt es nicht anders, dass da eine mit Riesenschritten nach vorne kommt. Bei ihrem Debüt gegen Argentinien fabrizierte sie einen Hattrick, bei der U20-WM im vergangenen Jahr traf sie im Finale gegen Japan doppelt. Doch nun war der Rummel noch mal viel größer. Fast verlegen wirkte sie später in der Pressekonferenz. Vieles klang ein bisschen nach einer Märchenstunde. Nicht weil die junge Frau flunkerte, sondern weil ihre Vita dafür prädestiniert ist.

Vor wenigen Jahren lautete die Gretchenfrage bei ihr, ob sie eigentlich für Fußball oder Leichtathletik besser geeignet ist. Noch mit 15 Jahren stellte sie einen spanischen Hallenrekord über 400 Meter auf - und das als zweitjüngste Teilnehmerin der Leichtathletik-Europameisterschaften. Auch hier träumte sie vorsichtig von einer Weltkarriere und weigerte sich deshalb, ganz auf den Fußball zu setzen.

Globaler Werbespot

Doch irgendwann musste eine Entscheidung her, und eine Rolle spielte, dass insbesondere die beim FC Barcelona vorgelebte Begeisterung mit den Champions-League-Spielen im proppevollen Camp Nou den Anstoß gaben, sich fürs Fußball spielen zu entscheiden. Bald drehte der Sportartikelgigant Adidas, Ausrüster des spanischen Fußball-Verbands (RFEF), einen globalen Werbespot, in dem ihr Rollentausch mit emotionalen Bildern erzählt wird. Daraus müssten eigentlich viele Fußballfans ihr Konterfei kennen. Nun wird die Bedeutung für die Sportnation Spanien dahinter besser verständlich.

Dazu spielt der Ausgang auch dem nicht unumstrittenen Nationalcoach Vilda in die Karten. Der seit 2015 im Amt befindliche Madrilene stand im Mittelpunkt einer Revolte, als 15 Nationalspielerinnen dem Coach und dem Verband im vergangenen Jahr mangelnde Professionalität und fehlenden Ehrgeiz vorwarfen. Unzählige Vermittlungsgespräche folgten. Weil der 42-Jährige blieb, spielt ein Dutzend der Aufmüpfigen die WM nicht, darunter mit Torhüterin Sandra Paños, Mapi Leon, Claudia Pina und Patri Guijarro vier Leistungsträgerinnen aus Barcelona.

Aber offenbar ist das Reservoir so riesig, dass es auch eine junge Ersatzspielerin vom Champions-League-Sieger richten kann. Im Halbfinale wartet auf „la Furia Roja“ nun die Spielverderber aus Schweden. Vilda schien zu ahnen, dass er dafür vielleicht wieder einen Joker braucht, als er in Richtung Salma sagte: „Im Moment ist sie hervorragend, aber in Zukunft wird sie noch viel, viel mehr können.“ Vielleicht muss die Konkurrenz bei solchen Ansagen wirklich Luft holen.

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