Lodz. Die Annahme kommt perfekt, Ballverteilerin Denise Hanke wählt ein schnelles Zuspiel in die Mitte, wo Camilla Weitzel bereits herangfliegt und das Spielgerät mit brachialer Gewalt im gegnerischen Feld versenkt. Die Szene ist nicht nur bemerkenswert, weil sie perfekt inszeniert ist, sondern auch, weil es der Matchball im Spiel gegen Russland ist. Die Überflieger Europas, der 17-fache Titelträger, den Deutschlands Volleyballerinnen seit 16 Jahren nicht mehr bezwungen hatten.
Nun war es also so weit. Das dritte Vorrundenspiel war bislang der Höhepunkt einer EM, bei der die Frauen des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) bislang eine makellose Bilanz vorzuweisen haben: Fünf Vorrundensiege, dazu das 3:0 im Achtelfinale gegen Slowenien – das deutsche Team hat bei den Titelkämpfen, die in der Türkei, Polen, Ungarn und der Slowakei durchgeführt werden, mächtig Eindruck hinterlassen. „Es läuft sehr gut“, sagt Bundestrainer Felix Koslowski (kleines Bild). Der 35-Jährige aus Schwerin gehört eigentlich zu den zurückhaltenden Vertretern seiner Zunft, doch wenn er auf das Auftreten seines Teams bei der EM angesprochen wird, gerät er regelrecht ins Schwärmen.
Eigentlich sei ein Gegner wie Russland für seine junge Mannschaft, die sich mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren noch im Aufbau befinde, eine Nummer zu groß. Die eigentliche Leistung habe die Mannschaft allerdings in den Begegnungen danach geliefert. „Da hat sie ihren wahren Charakter gezeigt“, betont Koslowski, und liefert die Begründung gleich hinterher: „Solch eine Sensation an einem perfekten Tag, das kann schon mal passieren. Aber du musst es in den Spielen danach weiter professionell durchziehen. Und das haben die Mädels getan.“
Es sei immer wieder aufs Neue „überrascht, mit welcher Klasse und Souveränität die Mannschaft im Momentum spielt“, sagt Koslowski, der die Nationalmannschaft seit November 2015 führt. Wobei Koslowski auch neben dem Feld sieht, „wie sich die Persönlichkeit entwickelt, wie das Selbstbewusstsein täglich wächst“.
Das Paradebeispiel dafür ist Camilla Weitzel, der ihr Trainer „eine überragende Europameisterschaft“ attestiert. Aufgewachsen in Landau in der Pfalz, entschied sie sich im zarten Alter von 13, nach Dresden zu wechseln, um die dortigen Strukturen beim VC Olympia zu nutzen. Mit inzwischen 19 gilt sie als größtes Versprechen des deutschen Volleyballs, ganz nebenbei absolvierte sie auch noch ihr Abitur mit einem Durchschnitt von 1,0.
Vor nächstem Karrieresprung
Kenner der Szene vergleichen sie bereits mit Christiane Fürst, deren Werdegang hierzulande immer noch als Blaupause für eine perfekte Karriere am Netz gilt: 345 Länderspiele, dreifache Champions-League-Gewinnerin, Clubweltmeisterin und beste Mittelblockerin dieses Planeten. Die Athletin, die in Italien, der Türkei und Japan gut bezahlte Verträge erhielt, erlernte ihr Handwerk ebenfalls in Dresden.
Nun soll ihr Camilla Weitzel nachfolgen und ebenfalls eine große Karriere starten. Der Bundestrainer findet es bemerkenswert, „wie sie verinnerlicht, dass sie auf diesem Niveau mitspielen kann. Dass sie einfach hier hingehört“. Eine andere Spielerin, die dieses Prädikat für sich in Anspruch nehmen kann, ist Louisa Lippmann. Die 24-Jährige sticht aus einer Mannschaft heraus, bei der die Brechstange nicht im Werkzeugkasten zu finden ist. „Gegen die Top-Sechs in Europa können wir physisch nicht mithalten“, weiß Koslowski.
Um dieses Manko zu kompensieren, muss die deutsche Mannschaft auf eine stabile Annahme bauen und daraus ein schnelles Angriffsspiel aufziehen. Louisa Lippmann ist die Einzige, die Punkte auch mit roher Gewalt erzwingen kann. „Ich denke, das bringt meine Position mit sich“, sagt die 24-Jährige, „Diagonalangreiferinnen sind ja immer die Hau-Drauf-Spielerinnen.“ Wie gut die Deutsche das macht, hat sich auch international herumgesprochen: Louisa Lippmann wechselt in der neuen Saison aus Florenz nach Shanghai.
Doch erst einmal ist sie beim Viertelfinale am Mittwoch (20 Uhr, live auf Sport1) gefordert. Dann wartet in Lodz gegen Mit-Gastgeber Polen die nächste besondere Herausforderung. „Wir werden alles, was wir haben, auf den Platz werfen. Wir sind noch nicht fertig mit dieser EM“, verspricht der Bundestrainer.
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