Mannheim/Claouey. Vom seltenen Luxus, Papa regelmäßig um sich herum zu haben, werden sich Elisa (11) und Johann Rohr (9) bald vorerst verabschieden müssen. Statt die frische Meerluft in seiner französischen Wahlheimat Claouey an der Atlantikküste mit seinen Kindern zu genießen, ist Gernot Rohr in der neuen Saison so viel unterwegs wie vielleicht noch nie zuvor in seiner Karriere. Auf die Corona-Zeit folgen für den Nationaltrainer Nigerias, der aus Mannheim stammt, strapaziöse Monate. Unzählige Länderspiele in Afrika stehen an, teils abenteuerliche Dienstreisen an exotische Ziele - und im Idealfall zwei große Turniere innerhalb nur eines Jahres.
„Es könnten mindestens 18 Spiele mit Nigeria werden“, rechnet Rohr beim Treffen in einem Café am Mannheimer Wasserturm vor. Für den Afrika-Cup in Kamerun (9. Januar bis 6. Februar 2022) hat sich der Kurpfälzer bereits mit den „Super Eagles“ qualifiziert, am 3. September startet außerdem die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Katar (21. November bis 18. Dezember 2022). Rohr, gerade 68 Jahre alt geworden, will Nigeria zum zweiten Mal nach 2018 in Russland als Chefcoach zu einer WM führen. „Katar ist natürlich mein Ziel“, sagt er.
Nationaltrainer in Afrika zu sein, hat mit der Wohlfühlwelt, wie sie Rohrs Kollegen in großen Fußball-Nationen wie Deutschland, England oder Frankreich vorfinden, nur wenig gemein. Zum Afrika-Cup-Qualifikationsspiel im Frühjahr in Benin schickte der Verbandspräsident das Team mit mehreren Speedboten statt dem Flugzeug, der nigerianische Sport-Minister fordert schon einmal seine aktive Teilnahme am Abschlusstraining ein - und wenn das Gehalt einmal mehrere Monate nicht auf seinem Konto eingeht, nimmt Rohr das längst gelassen. Damit muss man eben leben, wenn man in Afrika arbeitet.
Dazu kommt in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land des Kontinents, ein enormes Anspruchsdenken. „Natürlich soll ich beim Afrika Cup den Titel holen“, berichtet Rohr von der hohen Erwartungshaltung. Wie realistisch die ausgegebenen Ziele dann sportlich sind, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest ist Rohr dabei, nach einem Umbruch das Gerüst zu finden, das für künftige Erfolge bürgen könnte. Der in Düsseldorf geborene Maduka Okoye (22), Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen, hat sich bei Sparta Rotterdam zu einem der besten Torhüter Hollands entwickelt. In der Defensive baut Rohr auf den Hoffenheimer Kevin Akpoguma, William Trost-Ekong (FC Watford) und den früheren Mainzer Leon Balogun (jetzt Glasgow Rangers). „Die Abwehr war früher ein kleines Problem. Jetzt habe ich drei gute Leute“, sagt Rohr. Und vorne soll Angreifer Victor Osimhen, im vergangenen Sommer für 60 Millionen Euro aus Lille zum SSC Neapel transferiert, für die nötigen Tore sorgen.
Bevor es in Play-offs mit Hin- und Rückspiel um eines der fünf afrikanischen WM-Tickets geht, müssen die „Super Eagles“ eine Gruppenphase als Sieger überstehen. Die Gegner dort heißen ab September Liberia, Kap Verde und die Zentralafrikanische Republik. Schon da lauern einige Fallstricke. „Seit der ehemalige Weltklasse-Torjäger George Weah Präsident von Liberia ist, erlebt der Fußball dort einen Aufschwung“, berichtet Rohr. Der Inselstaat Kap Verde setzt auf eingebürgerte (und technisch beschlagene) Kicker aus Brasilien und Portugal (Rohr: „Das wird nicht einfach“), die Zentralafrikanische Republik wurde zuletzt von gewaltsamen politischen Unruhen erschüttert.
Das ist leider auch ein afrikanisches Phänomen, das Rohr von seinen früheren Nationaltrainer-Stationen in Gabun oder Burkina Faso kennt. Er hat sich mit den Gegebenheiten arrangiert - und macht das Beste daraus. Im August löst der Mannheimer nach fünf Jahren Amtszeit den Niederländer Clemens Westerhof als Rekord-Nationaltrainer Nigerias ab.
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