Doha. Irgendwann taten die Spieler einfach dasselbe wie die Anhänger auf den Rängen. Enthemmt sprangen und sangen sie auf dem Rasen des Lusail-Stadions. Die goldene Arena hatte sich erneut in einen himmelblauen Schauplatz überbordender Freude verwandelt, als Lionel Messi nach der 3:0-Gala im WM-Halbfinale gegen Kroatien seine Kollegen Nicolás Tagliafico und Rodrigo de Paul umarmte.
„Vamos vamos Argentina“ orchestrierte die Stadionregie. „Vamos vamos a ganar“, intonierte der Fanblock – und sandte die Botschaft, Argentinien werde das WM-Endspiel am Sonntag (16 Uhr/live in der ARD) gewinnen.
Ganz sicher ist das aber auch mit Messi nicht, der sein einziges WM-Finale 2014 gegen Deutschland bekanntlich verlor. Aber warum sollte sich der Weltstar mit der Vergangenheit aufhalten? Als er im blau-weißen Trikot mit der Nummer zehn zur Pressekonferenz erschien, sprach der 35-Jährige über fünf gewonnene Finals. So habe sich diese WM nach der Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien nämlich angefühlt.
„Das erste Spiel war ein harter Schlag für uns. Aber diese Mannschaft hat bewiesen, wie stark sie ist“, sagte der befreite Kapitän, der wie ein Wasserfall redete. Man habe danach fünf Endspiele gewonnen. „Ich hoffe, dass das im letzten Spiel auch so ist.“ Es kann keinen besseren Ort als die bombastische Schüssel im Norden von Doha mit Platz für fast 90 000 Menschen geben, in denen sich Argentinier wie in der „Bombonera“ in Buenos Aires fühlen können.
Als Trainer Lionel Scaloni seinen Anführer kurz nach Mitternacht vor der Werbetafel umarmte, flossen Tränen der Rührung. Er sage es schon lange, erklärte der 44-Jährige später einigermaßen gefasst: „Messi ist der Beste aller Zeiten und ich bin dankbar und habe das Privileg, ihn trainieren zu können. Ein Glück, dass er unser Trikot trägt.“
Symbiose mit Mitspielern
Zum dritten Mal nach 1978 und 1986 soll der Goldpokal an Argentinien gehen. Messi selbst begründete seine Zuversicht nicht mit historischen Bezügen oder religiösen Ritualen, sondern nannte fachliche Argumente: „Wir haben eine sehr intelligente Mannschaft. Wir können das Spiel lesen und wissen, wann wir den Ball brauchen, wann wir pressen müssen“, erklärte er den im Halbfinale tatsächlich perfekt umgesetzten Matchplan. „Wir wussten, dass Kroatien den Ball haben möchte, aber wir wussten auch, wie wir das für uns nutzen können.“
Scalonis größte Leistung als neunter Nationaltrainer von Messi ist es aber, dass er die Symbiose zwischen dem Superstar und den Mitspielern hinbekommt. Unter einem Coach, mit dem ihn mehr als nur der Vorname verbindet, hat Messi sein spätes Glück im argentinischen Nationaltrikot gefunden: „Ich genieße das sehr und fühle mich sehr gut und stark für jedes Match.“
Derselbe Spieler war noch bei der WM 2018 nach einer 0:3-Vorrundenpleite gegen Kroatien mit schlaffen Schultern vom Platz geschlurft. Die Abgesänge auf einen Einzelgänger, der aus der Zeit gefallen schien, gingen um den Planeten.
Wo ist der Zaubertrank, in den der Zauberfuß nun gefallen ist? Viele verorten ihn bei der Copa América 2021, als mitten in der Corona-Pandemie ein neuer Geist entstand. Sein ersehnter erster Titel mit der „Albiceleste“ hat vieles verändert. Der Sieg im menschenleeren Maracanã war das eine, Messis Ansprache vor dem Anpfiff gegen Brasilien das andere. Seine leidenschaftlichen Worte in der Kabine sind legendär.
Der bei Paris Saint-Germain aus katarischen Geldquelle fürstlich bezahlte Superstar deutete erstmals an, dass er im Grunde ausschließt, mit fast 40 noch die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko zu spielen. „Ich glaube nicht, dass ich es bis dahin schaffe. Und es so zu Ende zu bringen, ist das Beste.“
Die Krönung am Sonntag?
Auf dem Weg zum perfekten Abschluss seiner WM-Karriere hilft Messi nun vor allem sein Sturmpartner, der gegen Kroatien überragende Julian Alvarez, der mit einem famosen Sturmlauf das 2:0 erzielt hatte (39.) und nach Messis genialem Sololauf und überlegter Ablage nur noch den Fuß zum 3:0 hinhalten musste (69.). Der 22-Jährige von Manchester City, von dem Scaloni sagte, er wolle bereits „die Welt verschlingen“, scheint von der Ikone Messi inspiriert.
Dessen Entschlossenheit drückte sich auch in dem Elfmeter zum 1:0 aus, der wie eine Silvesterrakete in die Maschen rauschte (34.). Messis elfter WM-Treffer – und damit einer mehr als Argentiniens Rekordschütze Gabriel Batistuta – soll nur eine weitere Wegmarke einer Mission sein, die am Sonntag die Krönung erfährt.
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