Fußball

Krieg in Nahost: Migrantenclubs haben Gefühl von Machtlosigkeit

Der Krieg in Nahost hat massive Folgen für den Amateurfußball. Für die jüdischen Vereine von Makkabi, aber auch für Migrantenclubs wie Al Hilal in Bonn. Muslimische Spieler fühlen sich in die Nähe von Terroristen gerückt

Von 
Ronny Blaschke
Lesedauer: 
Younis Kamil beobachtet ein Jugendspiel seines Vereins Al Hilal Bonn. Der Clubvorsitzende macht sich Sorgen. © ISC Al Hilal Bonn

Bonn. Von Ronny Blaschke

Ein Besuch im Süden von Bonn, im Stadtteil Pennenfeld, wo viele Menschen aus Einwandererfamilien auf engem Raum leben. Industrieanlagen, Wohnblöcke, ein beliebtes Jugendzentrum, dazwischen ein Kunstrasenplatz. Hier trainieren die Fußballteams des Internationalen Sport-Clubs Al Hilal Bonn. An der Seitenlinie kommen Jugendspieler mit Younis Kamil ins Gespräch. Der Vorsitzende des Vereins hält einen Begriff für maßgeblich: Kommunikation.

Fast alle Spieler des Bonner Clubs haben Eltern oder Großeltern, die nach Deutschland eingewandert oder geflüchtet sind – aus der Türkei, Syrien, dem Irak oder den palästinensischen Gebieten. Es sind Länder, in denen die Bevölkerung teilweise ablehnend bis feindselig auf Israel blickt. „Unsere Mitglieder sind schockiert und entsetzt“, sagt Kamil über den Terrorangriff der Hamas auf Israel. „Es gibt keine einzige Stimme im Verein, die das verherrlicht oder gutheißt.“

Ärger über Friedrich Merz

Es scheint Kamil wichtig zu sein, diesen Punkt gleich am Anfang des Interviews zu betonen. Auf dieser Grundlage erläutert er dann die Konsequenzen, die der Terror und die Eskalation im Nahen Osten auf Migrantenvereine wie Al Hilal Bonn hat: „Es herrscht ein großes Gefühl von Machtlosigkeit. Viele unserer Mitglieder fühlen sich nicht verstanden und an den Rand gedrängt.“

Kamil verweist auf ein Zitat von Friedrich Merz auf X, vormals Twitter: „Sollte es Flüchtlinge aus Gaza geben, dann sind diese zunächst einmal ein Thema für die Nachbarstaaten. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land“, teilte der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion mit. Damit habe Merz den Antisemitismus vor allem als „Import“ von muslimischen Migranten dargestellt, sagt Kamil: „Rassistische Konnotationen wie diese tragen zur Polarisierung bei.“

Mit pauschalen Anschuldigungen wurden Mitglieder von Al Hilal schon vor dem Angriff der Hamas konfrontiert. „Immer das Gleiche mit euch Migranten.“ Diesen Satz hört Kamil immer wieder, wenn einer seiner Spieler zu hart in einen Zweikampf einsteigt. Und ein Schiedsrichter sagte ihm einmal: „Wenn ich auf dem Spielbericht sehe, dass mehr als die Hälfte der Spieler Ausländer sind, dann ziehe ich zur Abschreckung bei der ersten Aktion die Gelbe Karte.“ Worte wie diese legen nahe, dass Schiedsrichter die Spieler von Al Hilal mitunter härter bestrafen als andere.

Kamil, der 1991 als Kleinkind mit seinen Eltern aus dem Sudan nach Deutschland kam, befasst sich seit drei Jahren wissenschaftlich mit der Radikalisierung von jungen Menschen. Häufige Ausgrenzungserfahrungen könnten dazu führen, sagt er, dass Heranwachsende ständig Ungerechtigkeit vermuten und ihre Identifikation mit dem Staat schwindet. Eine Haltung, die in vielen Familien vorgelebt wird, weil die Eltern auf der Suche nach einem Job oder einer Wohnung auf Widerstände stoßen. Rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen bei Al Hilal stammen aus Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Al-Hilal-Mitglieder haben Integrationspreise erhalten

Auch in der aktuellen Diskussion über den Nahen Osten machen sich bei Al Hilal Bonn Frust und Ohnmachtsgefühle breit. Kamil empfiehlt seinen Mitgliedern, den Konsum von sozialen Medien stark zu reduzieren. In Gesprächen mit seinen Spielern formuliert er es so: „Verherrlicht niemals Gewalt. Wenn ihr euch äußern wollt, dann nur konstruktiv. Ihr solltet nicht die Bilder bestätigen, die andere von euch sehen wollen.“

Die Mitglieder von Al Hilal haben für ihr Engagement mehrere Integrationspreise erhalten. Vorbehalte spüren sie eher in der eigenen Umgebung. Selten komme es vor, dass die lokalen Vereine und Sportverbände nach ihrer Expertise fragen. Die Frage, die Kamil in Bonn ebenfalls häufig hört: „Warum bleibt ihr für euch und integriert euch nicht in einen richtigen Verein?“

Verein als „sicherer Raum“

Kamil könnte mit einer Gegenfrage reagieren. Warum schließen sich Senioren, Feuerwehrleute oder Briefmarkensammler zu Freizeitteams zusammen? Weil sie durch ihr Alter, ihren Beruf, ihr Hobby schon miteinander verbunden sind. Und weil sie diese Vertrautheit im Fußball vertiefen wollen. Bei den rund 1000 Migrantensportvereinen kommt aber noch eine politische und historische Ebene dazu: Bereits ab den 1970er-Jahren waren sie für Millionen Gastarbeitende eine wichtige Plattform. Hier konnten sie Freundschaften schließen und Kontakte für Jobs oder Wohnungen knüpfen.

Kamil betrachtet Vereine wie den seinen heute noch als „sicheren Raum“. Hier können die Mitglieder untereinander Wissen und Sensibilität voraussetzen. Hier können sie ihre Diskriminierungserfahrungen schildern, ohne gemustert, unterbrochen, bevormundet zu werden. Es ist eine Form der Selbstermächtigung, die einige Verbandsfunktionäre aber als mangelnde Integrationsbereitschaft auslegen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion erscheint das Projekt wichtiger denn je. Sollte sich die Lage im Nahen Osten weiter zuspitzen, dürften die Folgen auch im deutschen Amateurfußball zu spüren sein – für die jüdischen Vereine von Makkabi, aber auch für migrantisch geprägte Clubs wie den ISC Al Hilal. Ein Trainerkollege von Kamil hat Verwandte im Gazastreifen. Er weiß, dass deren Wohnhaus zerstört ist. Er hofft weiterhin auf ein Lebenszeichen.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen