Fußball

Julian Nagelsmann und die Angst vor der Schwarzmalerei

Das Stadion in Berlin hatte das deutsche Nationalteam in großen Teilen gegen sich und dann gab es auch noch eine Niederlage. Das Spiel der DFB-Auswahl gegen die Türkei setzte dem Bundestrainer aber vor allem aus einem Grund zu

Von 
Alexander Müller
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Julian Nagelsmann schlug seine erste Niederlage als Bundestrainer mächtig aufs Gemüt. © Federico Gambarini/dpa

Berlin. Die Laune von Julian Nagelsmann konnte man schon erahnen, als er kurz vor Mitternacht am Samstagabend eiligen Schrittes Richtung Podium im Pressekonferenzraum des Berliner Olympiastadions ging. Nicht gut, gar nicht gut.

Das kleine Pflänzchen der Euphorie seit Nagelsmanns Amtsantritt auf der USA-Reise im vergangenen Oktober hatte die deutsche Nationalmannschaft mit einem liederlichen Auftritt bei der 2:3 (1:2)-Niederlage gegen die Türkei gleich wieder zertreten. Im Westen der Hauptstadt feierten 40 000 Türken den ersten Sieg in Deutschland nach 72 Jahren, während die deutschen Fans bedient den Heimweg antraten.

Nagelsmann ahnte, dass jetzt die alten Debatten rund um die DFB-Elf wieder aufflammen werden, als er prophylaktisch darum bat, mit seiner Mannschaft nicht zu hart ins Gericht zu gehen. „Wir können jetzt wieder anfangen, alles schwarzzumalen und schlechtzureden. Damit werden wir aber nicht weiterkommen als Fußballnation“, sagte der 36-Jährige nach seiner ersten Niederlage als DFB-Coach. Zuvor hatte es einen 3:1-Sieg gegen die USA und ein 2:2 gegen Mexiko gegeben.

„Ich vertraue Julian komplett“

Am Sonntag schaltete sich auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf ins Krisenmanagement ein – mit Aussagen, die in Anbetracht der weiter angespannten Situation rund um die Nationalelf erstaunlich forsch wirkten. „Wir spielen ein Turnier im eigenen Land“, sagte der Funktionär bei Bild-TV mit Blick auf die Heim-Europameisterschaft 2024. Da müsse das Erreichen des Endspiels „der Anspruch“ sein.

Nagelsmann dürfte sich über diese gewagte Zielsetzung sicher nicht freuen, auch wenn ihm der DFB-Präsident nach dem ersten Rückschlag den Rücken stärkte. „Ich vertraue Julian komplett. Wir müssen jetzt Stärken stärken. Wir gefallen uns oft darin, in eine toxische Situation zu kommen, alles schlechtzureden. Immer dieses himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Jetzt alles infrage zu stellen, macht es schwierig“, sagte Neuendorf.

Alles muss nach der wechselhaften Vorstellung gegen die Türkei sicher nicht infrage gestellt werden, aber ins Auge fiel doch, dass auch unter Nagelsmann die deutsche Auswahl weiter mit etlichen alten Problemen aus den Zeiten von Vorgänger Hansi Flick kämpft.

Das 1:0 durch Kai Havertz (5.) verlieh dem Team keinerlei Sicherheit, die Gegentore durch Ferdi Kardioglu (38.) und Kenan Yildiz (45.+2) fielen viel zu einfach. Nach Niclas Füllkrugs 2:2 (48.) verursachte Havertz’ vermeintliches Handspiel nach Videobeweis einen fragwürdigen Elfmeter, den Yusuf Sari (71.) zum nicht unverdienten Sieg der Gäste verwandelte.

Groß 90 Minuten auf der Bank

„Einzelne Spieler hatten nicht diese hundertprozentige Überzeugung, den Willen wie der Gegenspieler“, so Nagelsmann, der damit weniger taktische Aspekte, sondern eher Mentalitätsdefizite für sein verkorkstes Heimdebüt verantwortlich machte. Nicht gerade ein Gütesiegel für den Charakter der Nationalspieler, sieben Monate vor einem Heim-Turnier.

Dass Nagelsmanns Experiment mit Angreifer Kai Havertz als linkem Schienenspieler vor einer Dreierkette nicht aufgegangen war? Dass die beiden ersten türkischen Tore über die Seite von Rechtsverteidiger Benjamin Henrichs eingeleitet worden waren? Und dass das Duo Ilkay Gündogan und Joshua Kimmich – der Mannheimer Pascal Groß saß diesmal 90 Minuten nur auf der Bank – im zentralen Mittelfeld zum wiederholten Male nicht gut miteinander harmonierte? Diese offensichtlichen Probleme hingen mit klassischer Trainerarbeit zusammen.

Der Gegenwind für den neuen Bundestrainer ließ dementsprechend nicht lange auf sich warten. „Ich habe gedacht, die Ausprobiererei ist vorbei, nachdem Hansi Flick beurlaubt worden ist. 4-2-3-1 – das sollte das Grundsystem der deutschen Mannschaft sein“, kritisierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus als TV-Experte bei RTL. Da hatte der Weltmeister von 1990 einen wunden Punkt getroffen.

Denn Nagelsmann hatte bei seinem Amtsantritt angekündigt, die Dinge einfach halten und die DFB-Elf nicht mit seinen taktischen Ideen überfrachten zu wollen. Gegen die Türkei tat er allerdings das Gegenteil.

Am Dienstag (20.45 Uhr/live im ZDF) hat der Bundestrainer gegen Österreich schon die letzte Gelegenheit in diesem Jahr, der DFB-Elf endlich Konturen und Struktur zu verleihen. Nagelsmann sollte sie nutzen – allein schon im Interesse seiner eigenen Laune.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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