Allein schon wegen seiner knallroten Schuhe und den farblich dazu korrespondierenden Kniestrümpfen zog Sargis Martirosjan die Blicke auf sich. Als der österreichische Nationalheber in Diensten des SV Obrigheim auf die Bühne trat, war er zum Hauptdarsteller geworden: Im Bundesliga-Wettkampf zwischen dem Tabellendritten Obrigheim und dem -zweiten AV Speyer waren zu diesem Zeitpunkt 35 Versuche im Reißen absolviert, es fehlte noch ein einziger – und Martirosjan, 111,5 Kilo schwer, machte sich bereit für seinen Alles-oder-Nichts-Angriff. „Gelingt Sargis dieser Versuch, hat Obrigheim das Reißen gewonnen“, rief der Hallensprecher ins Mikrofon.
Sargis Martirosjan lagen 178 Kilo zu Füßen. Rund zehn Minuten zuvor war er – nach geglückten 165 Kilo zum Auftakt – an 172 Kilo gescheitert. Sprich: Der Mann wollte nun 13 Kilo mehr reißen, als er bislang jemals geschafft hatte. Rund 800 Augenpaare schauten gebannt auf den 33-Jährigen. Und was ihm kauf einer zugetraut hatte: Er schaffte die Last. Die Neckarhalle stand Kopf, kaum einen hielt es noch auf seinem Sitz. Obrigheim hatte das Reißen für sich entschieden, mit gerade mal 0,8 Punkten Vorsprung.
Zum kompletten Wettkampf gehört aber auch das Stoßen – und zur ganzen Wahrheit die Erkenntnis, dass sich die Obrigheimer Gewichtheber, zumal in eigener Halle, lediglich als „Sieger der Herzen“ fühlen durften, denn das entscheidende Duell um den Einzug in den Endkampf um die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft 2020 ging gegen Speyer mit 1:2 im Gesamtergebnis und 850,2:884,9 Relativpunkten verloren. Der AV Speyer wurde im zweiten Durchgang seiner Favoritenrolle gerecht, was auch daran lag, dass der SV Obrigheim nur einen Ausländerplatz besetzt hatte. Die beiden Spanier Acoran Hernandez und Alejandro Gonzalez traten zeitgleich bei den Landesmeisterschaften in ihrer Heimat an, die Britin Emily Campbell fehlte verletzt.
Als klar war, dass die Albaner Briken Calja und Erkand Qerimaj für Speyer heben würden, waren die Siegchancen des SV Obrigheim erheblich. „Wenn der Wettkampf dann einigermaßen normal läuft, können wir nicht mithalten“, ahnte schon im Vorfeld Sportvorstand Manuel Noe.
Finale verpasst
Durch die 1:2-Niederlage gegen den AV Speyer hat sich das Konto des SV Obrigheim auf 11:7 Punkte verschlechtert, während die Pfälzer mit nun 13:5 Punkten ihren zweiten Tabellenplatz untermauerten. Obrigheim, bislang Dritter, ist damit auf den vierten Rang zurückgefallen, weil der AC Mutterstadt durch einen 3:0-Sieg (907:835,5) bei TB Roding nun 12:6 Punkte aufweist und den Neckar-Odenwald-Club überholt hat. Der AC Mutterstadt, in Roding mit seinen ausländischen Stars Mohamed Ihab Youssef Ahmed Mahmoud (Ägypten) und Antonino Pizzolato (Italien) sowie dem sehr starken Max Lang (183 Punkte) am Start, hat mit 907 Relativpunkten das bislang höchste Ergebnis unter allen Bundesliga-Teams in der Saison 2019/20 erzielt.
Spitzenreiter bleibt der deutsche Meister SSV Samswegen (18:3 Punkte), der beim KSV Durlach mit 2:1 gewann. Speyer und Mutterstadt sind in ihren verbleibenden Wettkämpfen klare Favoriten. Sie müssten mindestens zwei von sechs zu vergebenden Punkten verlieren, damit Obrigheim – das dann aber selbst zwei 3:0-Siege braucht – noch vorbeiziehen kann. Nach Lage der Dinge sind die Chancen auf Platz drei und damit die Qualifikation für den DM-Endkampf am 25. April nur noch theoretischer Natur.
Für den SV Obrigheim stehen noch zwei Auswärtswettkämpfe in dieser Saison an. Am 29. Februar geht es zum Tabellenletzten AC Weinheim. Die Bundesliga-Runde endet dann am 14. März mit dem Gastspiel beim Chemnitzer AC.
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