Xabi Alonso kennt diese Spiele. Er hat sie selbst mehrfach bestritten. Als Profi für den FC Liverpool, für Real Madrid und Bayern München. Es sind Partien, in denen es um sehr viel, vielleicht sogar um alles geht. Und nun steht für ihn solch ein Duell als Trainer von Bayer Leverkusen an: Mit der Werkself trifft der Spanier an diesem Samstag (18.30 Uhr) im Spitzenspiel der Bundesliga auf den FC Bayern.
Durch den dramatischen 3:2-Erfolg im DFB-Pokal über den VfB Stuttgart erhielt die Euphorie unter dem Bayer-Kreuz den nächsten Schub. Zumal ganz offensichtlich die Bayern-DNA von der Isar an den Rhein gewechselt ist. Schon zum dritten Mal in diesem Kalenderjahr traf Leverkusen ganz spät zum Sieg. In Augsburg. In Leipzig. Gegen Stuttgart. „Wir glauben einfach immer an uns“, sagt Innenverteidiger Jonathan Tah.
Doch warum ist dem so? Warum ist Bayer Leverkusen nach 30 Pflichtspielen mit 26 Siegen und vier Unentschieden noch immer ungeschlagen? Warum rüttelt ein Verein, der im Herbst 2022 noch auf dem vorletzten Platz in Abstiegsgefahr schwebte, plötzlich am Bayern-Thron? Natürlich wurde der Kader durch Sportdirektor Simon Rolfes im Sommer mit den cleveren Transfers von Granit Xhaka, Jonas Hofmann, Victor Boniface und Alejandro Grimaldo massiv wie sinnvoll verstärkt. Auch die besten Symphoniker aber müssen zu einem funktionierenden Orchester abgestimmt werden. Dazu braucht es einen begnadeten Dirigenten und damit sind wir bei Xabi Alonso. „Er ist jemand, der brutal begeistert. Er ist ein sehr ehrgeiziger Typ und so extrem hungrig auf Erfolg“, sagt Xhaka.
Liebe zum Detail
Alonso fordert seine Spieler und fördert sie damit. Ging es zu Beginn seiner am 5. Oktober 2022 begonnenen Amtszeit zunächst lediglich darum, aus einem zutiefst verunsicherten und fragilen Gebilde ein defensiv kompakt organisiertes Konstrukt zu machen, so begann er bereits in der Rückrunde mit der Entwicklung des spielerischen Fortschritts.
Im Sommer dann zündete Alonso die nächste Stufe. Im Trainingslager in Saalfelden feilte der Baske an Spielideen, Taktiken sowie den dafür nötigen mannschaftlichen Strukturen. Dafür hatten die Spieler bestimmte Übungen immer und immer wieder zu wiederholen. So wie ein Pianist trotz seines Talents tagtäglich seine Kompositionen auf dem Klavier probt.
Für Außenstehende wirkt Alonsos Hang zur Perfektion wie ein besessener Drill, die Spieler jedoch folgen dem 42-Jährigen wie einem Fußballflüsterer. „Er macht uns das Leben wirklich schwer, weil sein Engagement einfach unglaublich ist. Aber er weiß ganz genau, wie er mit uns umgeht, wann er kritisieren und wann er loben muss“, sagte Xhaka gegenüber dem „Kicker“.
Zudem sehen die Spieler durch die Erfolge, dass sich ihr Aufwand lohnt. Profis wie Tah, der ivorische Verteidiger Odilon Kossounou oder der argentinische Weltmeister Exequiel Palacios haben sich zudem gegenüber der vergangenen Saison auch persönlich auf eine höhere Stufe ihrer Entwicklung bringen können. Alle drei hegten im Sommer Abwanderungsgedanken, inzwischen haben sie ihre Verträge teils langfristig verlängert.
Alonso hat ein Ensemble kreiert, welches mehr liefert als die Summe seiner Einzelspieler offeriert und Leverkusen damit auf ein völlig neues Niveau gehoben. Ob dies tatsächlich reicht, um den individuell eigentlich besser besetzten und – wenn es drauf ankommt – zudem erfahreneren Münchnern die Meisterschale erstmals seit 2012 wirklich zu entreißen, muss sich natürlich dennoch erst noch zeigen.
Doch die Werkself hat durch Alonso Pläne an die Hand bekommen. Detailversessen wie der Meisterspieler des FC Liverpool, von Real Madrid und auch des FC Bayern ist, darf schließlich nichts dem Zufall überlassen werden. Für jede Taktik des Gegners gibt es eine Gegentaktik. Wird ein Passweg verbaut, so müssen sich eben zwei andere öffnen. Wissen und Vertrauen in Optionen lassen die Spieler nun auch geduldig auf ihre Chance warten.
Korrekturen mit Wirkung
So wie gegen Stuttgart, als die Rheinländer zur Pause ungewohnt in Rückstand lagen. „Der Trainer hat einfach gesagt, wir sollen uns nicht verrückt machen. Nicht auf Teufel komm raus alles über den Haufen werfen. Nicht versuchen, in fünf Minuten die Welt zu erobern. Wir hatten 45 Minuten Zeit, um einen Treffer zu erzielen, und so sind wir dann wieder rausgegangen“, sagt Mittelfeldspieler Robert Andrich.
Der VfB hatte das Alonso-Team vor der Pause vor einige Aufgaben gestellt, doch die Leverkusener reagierten darauf. „Wenn wir früh attackiert werden, dann müssen halt weniger Pässe vor der gegnerischen Kette, sondern stattdessen mehr direkt hinter sie gespielt werden. Damit haben wir den Stuttgartern Probleme bereitet. Das war definitiv eine Anpassung an dieses Spiel“, sagt Andrich.
Alonso hat es bisher geschafft, seine Akteure auf fast alle Eventualitäten vorzubereiten. Im Wissen um die Abstellungsprobleme für den Afrika-Cup zum Beispiel ließ er in der Europa League und bis zum Viertelfinale auch im DFB-Pokal stets groß rotieren, sodass nahezu alle im Kader viel Spielpraxis erlangen konnten. Zudem begegnete er dem abzusehenden Engpass in der Dreier-Abwehr, indem er bereits im Herbst angefangen hatte, Andrich zum zentralen Verteidiger „umzuschulen“.
Am Samstag nun sollen diese Akribie sowie das täglich sowohl körperlich als auch geistig harte Training der Spieler die Bayern stürzen. „Wenn man sieht, wie wir jeden Tag arbeiten, dann wäre das für mich keine so große Überraschung mehr“, meint Xhaka.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/sport_artikel,-sport-das-geheimnis-des-leverkusener-erfolgs-_arid,2174421.html