Mannheim. 892 Spiele bestritt Jochen Hecht in der NHL, mit den Adlern feierte er drei Deutsche Meisterschaften in der DEL - kein Wunder, dass sein Trikot mit der Nummer 55 in Mannheim nicht mehr vergeben wird und unter dem Dach der SAP Arena hängt. Im Interview äußert sich der 43-Jährige über das deutsche Eishockey in der Corona-Krise und die Probleme der NHL vor dem Re-Start. Hecht, der in der vergangenen Saison interessante Spieler für die Adler beobachtet hat und diesen Job weiter ausführen will, adelt zudem NHL-Topscorer Leon Draisaitl und Riesentalent Tim Stützle.
Herr Hecht, die Corona-Krise hat das deutsche Eishockey im Würgegriff, haben Sie Angst um Ihren Sport?
Jochen Hecht: Angst vielleicht nicht, aber ich mache mir schon Sorgen. Vor allem die kleinen Vereine stehen vor großen Problemen, für manche steht die Zukunft auf dem Spiel. Da die Ungewissheit groß ist, haben die Clubs mit den Corona-Klauseln reagiert.
Wie könnte in der DEL die nächste Saison aussehen?
Hecht: Darüber kann ich mir keine Aussage erlauben. Da es für die Clubs ein Drauflegegeschäft ist, wenn sie ohne Zuschauer spielen müssen, kann ich mir nicht vorstellen, dass es in der DEL schon im September losgeht. Ich denke, Oktober oder November ist realistischer, aber das ist nur mein Bauchgefühl.
Sie haben die Corona-Klauseln angesprochen, wie stehen ihnen die Spieler gegenüber?
Hecht: Das ist für die Jungs schon sehr hart. Manche haben jahrelang auf einen großen Vertrag hingearbeitet, sind gerade im besten Eishockey-Alter - und verdienen jetzt 25 Prozent weniger. Darüber freut sich niemand, obwohl unterm Strich das Verständnis groß ist. Die Jungs in Mannheim wissen natürlich zum Beispiel genau, dass es nicht nur um die Adler geht, sondern um die ganze Liga und das gesamte deutsche Eishockey. Die Spieler sprechen nicht nur viel mit ihren Spielerberatern, sondern auch noch mehr untereinander.
Ist vor diesem Hintergrund eine Spielergewerkschaft überfällig?
Hecht: Definitiv. Die Spieler müssen sich auf ihren Job konzentrieren, erfahrene Leute müssen sich um das Drumherum kümmern. Im Eishockey-Sport wird viel Geld verdient, aber keiner kümmert sich ausreichend um die Interessen der Spieler. Manche sollen beispielsweise den ganzen Sommer über in der Stadt bleiben, das ist in der NHL dank der NHLPA ganz anders geregelt: Da heißt es nur, dass du zum Trainingslager zurückkommen sollst - und das in einem fitten Zustand. In der NHL ist alles gleichgeschaltet, alle Mannschaften haben die gleichen Voraussetzungen. Wenn es zum Beispiel heißt, dass am 17. September die Camps beginnen, gilt das für alle Clubs.
Wie sehen Sie die Adler in der Krise aufgestellt?
Hecht: Sehr gut. Die Sponsoren bleiben bei der Stange, die ganze Stadt ist eishockeyverrückt und wird die Adler unterstützen. Zudem darf der Club mit Daniel Hopp auf einen Gesellschafter bauen, der Eishockey lebt.
In der NHL sind einige Spieler positiv auf Corona getestet worden, wie realistisch ist die Fortsetzung der unterbrochenen Saison?
Hecht: Das ist eine schwere Frage! Der Zeitpunkt, als unterbrochen wurde, ist jetzt schon ziemlich lange her. Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, auf Biegen und Brechen einen Stanley-Cup-Sieger ausspielen zu müssen. Die positiven Corona-Fälle, die publik wurden, sind jedenfalls ein herber Rückschlag auf dem Weg zurück.
Wie beurteilen Sie die Leistung von Leon Draisaitl in der NHL-Hauptrunde und die Chancen seiner Edmonton Oilers, sollten die Play-offs tatsächlich stattfinden?
Hecht: Obwohl mit Leon und Connor McDavid zwei der besten Spieler bei den Oilers auftrumpfen, hatte ich sie vor der Corona-Zwangspause nicht groß auf der Rechnung. Die Oilers sind zu sehr von den beiden abhängig. Wären sie weiter bei dem Mammutprogramm gut 25 Minuten pro Spiel auf dem Eis gestanden, hätten sie das immense Play-off-Tempo nicht lange mitgehen können. Jetzt sind sie aber ausgeruht und können vielleicht sogar 30 Minuten spielen! Dass Leon eine so überragende Entwicklung hingelegt hat, freut mich natürlich. Er ist ein Topspieler der Liga und vertritt das deutsche Eishockey mehr als würdig.
Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf den Draft, wann immer dieser auch stattfinden mag?
Hecht: Ich bin mir sicher, dass Tim Stützle ganz früh gezogen wird. Er hat bei den Adlern ein unglaubliches erstes Profijahr absolviert! Er war in Mannheim trotz seiner jungen Jahre ein echter Leistungsträger, stocktechnisch und läuferisch ist er eine Augenweide. Es ist beeindruckend, welche Ruhe er trotz seiner erst 18 Jahre an der Scheibe hat. Aber auch John-Jason Peterka hat in München eine tragende Rolle gespielt, davon durfte ich mich bei meinen Spielbeobachtungen in der vergangenen Saison überzeugen. Wenn Lukas Reichel von den Eisbären Berlin ebenfalls in der ersten Runde gezogen wird, wäre das ein historischer Erfolg für das deutsche Eishockey!
Wie sah Ihr Job für die Adler genau aus, werden Sie diesen weitermachen?
Hecht: Ich habe mir in der DEL Spieler genauer angeschaut, die Kandidaten für Mannheim sind. Einige Male war ich auch in der Schweiz. Das Scouting hat mir Spaß bereitet und ich denke, das werde ich weiter für die Adler machen. Ich habe im vergangenen Jahr aber auch meine Freizeit sehr genossen.
Was sind Ihre mittelfristigen Ziele? Als Magenta-Experte hat man Sie nicht mehr gesehen.
Hecht: Der TV-Job war für mich auch eine gute Erfahrung und hat großen Spaß gemacht, Magenta hat bei seiner Neuausrichtung aber auf andere Leute gesetzt. Mit meiner Scouting-Tätigkeit will ich jetzt erst einmal meinen Beitrag dazu leisten, dass die Adler bald ihre nächste Meisterschaft feiern können. Aber klar: Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann wieder hinter der Bande zu stehen - vielleicht nicht gerade als Headcoach, auf jeden Fall aber als Co-Trainer.
Wie verfolgen Sie die Karriere Ihres Sohns Philip?
Hecht: Er rückt in der kommenden Saison in die U 20 der Jungadler auf und hat auch schon Luft in der Nationalmannschaft geschnuppert. Seine Entwicklung macht mich schon stolz. Philip ist ein ganz anderer Spielertyp als ich. Während ich eher über die Technik kam, ist er mit seinen fast zwei Metern Körpergröße ein Brecher. Wenn er vor dem Kasten an die Scheibe kommt, haut er sie rein!
Und wie oft stehen Sie noch auf Schlittschuhen?
Hecht: Jeden Mittwoch mit Freunden. Wir spielen ganz entspannt, sitzen nach dem Training noch zusammen bei einem Bier und lassen uns einen Burger schmecken.
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