Mannheim. Wofür sein Herz schlägt, ist offensichtlich. Als Wilfried Boos seine Wohnungstür in Altrip öffnet, trägt er ein T-Shirt seines Lieblingsclubs. Der 66-Jährige ist Adler-Fan durch und durch, hat mit den Mannheimern Triumphe genossen und Tränen vergossen. Seit der Saison 1973/74 zieht es Boos zum Eishockey. Im Friedrichspark hat er Siege gefeiert und Niederlagen verdaut. Er war einer der Treuen, als es gegen Pfronten mal nur 300 Zuschauer in die Kultstätte verschlug.
Boos weiß noch genau, wann und wie etwas passiert ist. Denn er hat alles rund um das Mannheimer Eishockey fein säuberlich dokumentiert. Seit dem 4.Oktober 1975 hat er alle Berichte, die im „Mannheimer Morgen“ über den traditionsreichen Club erschienen sind, ausgeschnitten und in Ordnern abgeheftet. Wie viele es genau geworden sind, weiß er nicht genau. Auf jeden Fall aber bislang mehr als 10.000 Seiten.
Adler-Fan Wilfried Boos: Leidenschaft fürs Sammeln liegt in der Familie
„Die Leidenschaft für dieses Hobby habe ich wahrscheinlich von meinem Vater Richard geerbt“, erzählt Boos. „Er sammelte Zeitungsberichte aus Politik und Sport und legte Ordner an. Dadurch kamen auch fünf Bücher über die Binnenschifffahrt zustande.“
Wilfried Boos konzentrierte sich bei seiner Leidenschaft aufs Eishockey. Dass dies einmal sein Leben prägen würde, war Anfang der 1970er Jahre noch nicht abzusehen. Der damals 14-Jährige spielte Fußball, ehe ihn sein Cousin Claus Bohnert davon überzeugte, sich mal ein Spiel des Mannheimer ERC anzuschauen. Das war 1973 und seitdem lässt der rasante Sport Boos nicht mehr los. „Ich blieb beim Eishockey, weil es schneller und dynamischer ist. Außerdem ist die Stimmung besser als im Fußball“, schildert er seine Beweggründe.
In all den Jahren sammelte Boos unzählige Erfahrungen, erlebte zahlreiche emotionale Geschichten. Schon zu Zweitliga-Zeiten führte ihn sein Weg regelmäßig in den Friedrichspark. Dieser Ort der Begegnung von Gleichgesinnten zog ihn in seinen Bann. In der Vorbereitung auf die Saison 1975/76 duellierten sich die Blau-Weiß-Roten mit dem ECBad Nauheim. „Obwohl ich Fieber hatte, wollte ich den Erstligisten unbedingt sehen. Für den Eintritt legte ich ermäßigte 4,50 D-Mark hin. Danach ging es mir noch schlechter als zuvor“, erinnert sich Boos an die 2:18-Packung.
In eben jener Spielzeit begann er mit dem Sammeln der Spielberichte. Bedächtig, fast ehrfürchtig öffnet Boos den Ordner mit dem ersten ausgeschnittenen und fein säuberlich eingeklebten Artikel. Datum: 4.Oktober 1975. Gegner: die SGNürnberg. Endstand: 9:6 für Mannheim. Besonderes Vorkommnis vor 3.000Zuschauern: James Münch erzielte fünf Tore.
Adler-Spiel 1975 ist Startschuss der Sammel-Leidenschaft
Diese Partie war der Startschuss für eine bis heute ungebrochene Sammel-Leidenschaft. Wer sich in die Ordner vertieft – zu jedem der vergangenen 50 Jahre findet sich einer im Schrank –, taucht in die traditionsreiche Geschichte des Mannheimer Eishockeys ein. Storys über die erste Meisterschaft 1980 finden sich hier ebenso wie historische Siege oder markante Wendepunkte: ein 21:0 gegen den EHC Essen-West in der Saison 1984/85, das erste Spiel von Philippe Bozon im blau-weiß-roten Trikot in der Saison 1996/97, der Einstieg der Familie Hopp, die die Adler Ende der 1990er Jahre vor dem Konkurs rettete. Am liebsten las Boos die Berichte des langjährigen „MM“-Sportredakteurs Jörg Schäufele, der mit Kurt Schaller auch das monumentale Werk „50 Jahre MERC: Eishockey in Mannheim 1938-1988“ veröffentlichte.
Immer wieder traten auch Kuriositäten auf, die in der Vor-Internet-Ära außer Boos nicht vielen auffielen. So wie in der Spielzeit 1981/82. Im heimischen Friedrichspark feierte der MERC damals einen 12:1-Kantersieg gegen den EHC Freiburg. Daran gab es keinen Zweifel. Die Frage blieb aber: Wie viele Tore steuerte Peter Obresa zum Erfolg bei? Der „MM“ berichtete von sechs Treffern, der „Sportkurier“, den Boos lange Zeit ebenfalls bezog, zählte gar sieben Tore.
Für das Mitglied des Fanclubs „Adler Familie Altrip“ ist Eishockey mehr als das Zählen von Siegen und Niederlagen. Der Sport prägt sein Leben. Im Oktober 1982 lernte er beim 1:1 gegen den Kölner EC – ja, damals gab es noch Unentschieden – den Haie-Fan Uwe Murrins kennen, mit dem er auch heute, mehr als 40 Jahre später, noch regelmäßig in Kontakt steht. Ein Höhepunkt war für Boos auch das erste gemeinsame Eishockey-Liveerlebnis mit seinen Söhnen Elias und Manuel: „Wir haben einen Rucksack mit Trinken und einem Kartenspiel gepackt. Einen Styroporwürfel haben wir auch mitgenommen, auf den sich die Jungs stellen konnten, um besser sehen zu können“, erzählt Boos.
Für den Verein und den Sport, den ich liebe, habe ich das gern gemacht.
Von seiner akribischen Arbeit profitierten auch die Adler. Als der damalige Pressesprecher Matthias Fries in der Saison 2013/14 unter den Fans den Aufruf startete, Berichte aus den Zweitliga-Zeiten zur Verfügung zu stellen, ließ sich Boos nicht zweimal bitten. Er schnappte sich seine Ordner, machte sich auf den Weg in die SAP Arena, wo die Berichte kopiert wurden, um das Archiv der Adler zu ergänzen.
Boos‘ Sammel-Leidenschaft beschränkt sich nicht auf die Zeitungsberichte. Ein Küchenschrank ist mit 38 Adler-Tassen gefüllt, auch alle seine Dauerkarten – seit der Saison 1999/2000 bezieht er ein Saisonticket – sind nur einen Handgriff entfernt.
Boos blickt auf 50 Jahre Eishockey zurück, die positiven und negativen Erlebnisse, die Nerven, die ihn „sein“ Club gekostet hat, den finanziellen und zeitlichen Aufwand, den er betrieben hat. „Für den Verein und den Sport, den ich liebe, habe ich das gern gemacht“, betont Boos.
Er stellt sich der nicht gerade kleinen Herausforderung, dass die Berichte der späten Spiele im E-Paper zu finden sind. Den Ablauf seiner Arbeit hat das nur marginal verändert: Er liest die Berichte, druckt sie aus oder reißt sie aus der Zeitung heraus und legt sie erstmal zur Seite. Dann, wenn einiges zusammengekommen ist und er Lust hat, schneidet er sie zurecht und klebt sie akkurat ein.
Seine Sammel-Leidenschaft will er so lange ausüben, wie er zum Eishockey geht. Genau, wie die Adler noch nicht ihren letzten Triumph gefeiert haben, so hat auch Wilfried Boos seinen letzten Ordner über die Geschichte des Mannheimer Eishockeys noch nicht angelegt.
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