Kolumne

Ein etwas anderer VAR

Die Fußballwelt in Hessen: Von VAR bis Transferwahnsinn – wie weit sind Amateure und Profis wirklich voneinander entfernt?

Von 
Claudio Palmieri
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Die Amateurvereine kommen noch ohne den Videobeweis aus. © David Inderlied/dpa

Ried. Die Sommertransferphase im deutschen Fußball ist vorbei – und nicht nur in Anbetracht der Mondsummen, die zwischen Bundesliga, Premier League und Saudi Pro League in Transfers flossen, fragen sich viele Fans an der Basis: Betreiben wir noch denselben Sport? Je schärfer man über diese Frage nachdenkt, desto schwieriger ist sie tatsächlich zu beantworten.

In Hessen wurde die Zahl der Wechsel pro Spiel auf Kreisebene erst zur laufenden Saison von drei auf fünf hochgeschraubt, wobei Wiedereinwechslungen erlaubt sind. Spätestens bei den technischen Hilfsmitteln trennt sich jedoch die Profi-Spreu vom Amateur-Weizen. Hier kommen drei Dinge, die oben grundlegend anders laufen – und unten (zum Glück?) wohl keine Chance haben, sich zu etablieren.

VAR und Torlinientechnik: Irgendwann im Lauf seiner Zeit als Cheftrainer der SG Hüttenfeld (2016 bis 2018) hatte Marco Falkenstein die Schnauze voll. Zu viele Fehlentscheidungen hatte er über sich und sein Team ergehen lassen müssen. Also brachte die SGH eine Videokamera auf ihrem Sportgelände an, die der Beweisaufnahme dienen sollte.

Nachhaltig bewährte sich die Idee nicht, doch die SGH traf den Zahn der Zeit. 2015 hatte die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Torlinientechnik eingeführt. 2017 folgte der Video Assistant Referee (VAR) in der ersten Bundesliga.

Bei den Amateuren gilt nach wie vor die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters. Ganz ohne Videobeweis geht es aber auch hier nicht mehr. Viele Zuschauer halten Szenen mit ihren Smartphone-Kameras fest – und liefern im Zweifelsfall Beweismaterial für Sportgerichte, wenn die Lage mal eskaliert.

Deadline Day: Auch an der Basis ist das Zeitalter der bedingungslosen Vereinstreue vorbei. Spätestens in der Winterpause kündigen die hiesigen Sportchefs an, dass nun die „Gespräche für die neue Runde“ anstehen. Für nicht wenige Kicker gehört es dazu, sich die Zukunft lange offen zu halten – oder sich direkt bei anderen Clubs ins Gespräch zu bringen.

Und oben? Kein Tag vergeht, ohne dass TV-Teams oder Transferexperten in den sozialen Netzwerken Wechsel- oder Vertragsverlängerungs-Updates direkt von der Säbener Straße verkünden. Zwischen Lampertheim und Groß-Rohrheim würde so viel Aufruhr eher das Ordnungsamt auf den Plan rufen, aber: Wer hätte nicht gerne Push-Benachrichtigungen dazu, wie viel Geld der VfR Bürstadt in seinen Neustart in der B-Liga investiert hat? Oder einen Deadline Day, an dem Kreisfußballwart Martin Wecht eine Wechselliste veröffentlicht und der Reporter Ihres Vertrauens einen Liveticker im Minutentakt bespielt? Wir sind uns da gerade auch nicht sicher.

Spiel-MVP: Wenn Torwart Alexander Nübel trotz eines Patzers und insgesamt dreier Tore seines Kameraden Ermedin Demirovic zum „wertvollsten Spieler“ (MVP) des DFB-Pokalspiels zwischen dem VfB Stuttgart und Eintracht Braunschweig (8:7 nach Elfmeterschießen) gewählt wird, darf der Sinn dieses Preises gerne infrage gestellt werden. An der Basis gibt es nur Meisterschalen von der Tanke und improvisierte Torjägerkanonen. Nennenswerte individuelle Auszeichnungen finden sich in der Lokalzeitung – der „Spieler der Woche“ lässt grüßen.

Freier Autor Geboren in Viernheim, aufgewachsen in Bürstadt. Freier Mitarbeiter seit 2009

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