Fußball

Entertainer mit Tiefgang: So war der Abend mit Marcel Reif

Kommentatoren-Legende zeigt sich beim Sponsorentreffen der MTG Mannheim redselig und unterhaltsam wie immer, trifft die ernsten Töne aber fast noch besser.

Von 
Rüdiger Ofenloch
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Marcel Reif beim Sponsorentreffen der MTG Mannheim. © PIX-Sportfotos

Mannheim. „Heute Morgen in Berlin, jetzt in Mannheim – mehr geht nicht“, sagt Rüdiger Harksen bei der Begrüßung. Der Weitgereiste lächelt und nimmt einen Schluck aus dem Wasserglas. Marcel Reif, Ehrengast beim dritten Sponsorentreffen der MTG Mannheim, immerhin stattliche 75 Jahre alt, sieht man weder die Reise, noch die fortgeschrittene Uhrzeit an. So quirlig und glockenklar sein Geist, so adrett sitzen Hemd, Sakko, Frisur und, wie es sich für eine Kommentatoren-Legende gehört, die Sätze und Pointen.

Es ist kurz nach sieben Uhr abends im Hilton Garden Inn am Mannheimer Hauptbahnhof. Beste Zeit zum Netzwerken. Die Promi-Quote freut Organisator Harksen. Mannheims Sportbürgermeister Ralf Eisenhauer ist gekommen und sitzt nicht weit von Sebastian Bayer, Deutschlands bestem Weitspringer und nun, in „Sportlerrente“, Trainer-Nachfolger Harksens beim Deutschen-Leichtathletik-Verband wie bei der MTG. Bundestrainer und Adler-Mannheim-Ikone Harold Kreis gibt sich ebenso die Ehre wie VfR-Mannheim-Geschäftsführer Stephan Pfitzenmaier.

Sie alle haben großen Spaß an diesem Abend. Man spürt sofort: Das ist kein Pflichttermin. Was übrigens auch für den Stargast gilt. Während Harksen nach seinen einleitenden Worten etwas umständlich auf dem Tablet die dort notierten Fragen sortiert, ergreift Reif das Wort. „Solange du da rumklickst, fange ich mal an. Ich bin immer gerne in Mannheim“, sagt er und erklärt warum. Abitur in Heidelberg, Eishockey-Leidenschaft in Mannheim, dazu Fußball mit den Kumpels beim ASV Feudenheim: „Das alles hat mich damals sehr geprägt.“

Reif schaut im Friedsrichspark „Harry und den Jungs“ zu

Freitags ging es traditionell in den Friedrichspark, „Harry und den Jungs zugucken“, wie Reif Richtung Kreis bemerkt und dem alten Eishockey-Haudegen damit ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Da ist er, ganz plötzlich und ohne dass man es bewusst registriert: der Kommentator. Und nicht irgendeiner. „Mein ganzes berufliches Leben zielte auf Effekthascherei“, sagt Reif im Laufe des Abends. In Sachen Wortgewalt und Unterhaltungswert macht ihm bis heute niemand etwas vor. Beispiele gefällig?

Eine Mischung aus Staunen und Gänsehaut erzeugt Reif, als er von seinem ersten großen Moment als Sportjournalist erzählt. 1969 vermischen sich bei der Eishockey-WM in Stockholm Sport und Politik, sorgt der sensationelle Erfolg der damaligen Tschechoslowakei über die schier unbesiegbare Sowjetunion für einen historischen Moment: „12.000 Leute sangen nach dem Sieg heulend die Hymne, das war der helle Wahnsinn.“ Die Sowjetunion ist wenige Monate zuvor in das Land einmarschiert, um dem „Prager Frühling“ das Wasser abzugraben.

Sport hat eine gesellschaftliche Funktion, und zwar eine sehr wichtige.
Marcel Reif

All die damit verbundenen Emotionen entladen sich in diesem Augenblick auf und neben dem Eis, brennen sich tief ein ins Gedächtnis des damals 19-Jährigen. Er spürt die große Kraft des Sports. Da ist so viel mehr als Zweikämpfe, Tore, Ergebnisse. „Sport hat eine gesellschaftliche Funktion, und zwar eine sehr wichtige“, betont Reif. Von Integration werde viel gesprochen auf prominenten Bühnen. Umgesetzt werde sie dann aber in den kleinen Vereinen am Stadtrand, wo Menschen ihr Herzblut in die so gerne beschworene Arbeit an der Basis stecken.

Reif: Sport braucht mehr von der Politik als schöne Bilder

„Das hält uns zusammen, und da braucht es von der Politik mehr als ein paar schöne Bilder aus der Nationalmannschaftskabine“, spielt Reif auf die Jubelszenen bei der Fußball-WM 2014 an, als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als Kabinengast mit einem mehr als halbnackten Mesut Özil medienwirksam ablichten ließ. In Norwegen sei Sport Teil des täglichen Lebens und trage entscheidend dazu bei, Gesundheit zu fördern und Krankenkassen zu entlasten. Eigentlich, so Reif, könne man es sich als Land nicht leisten, das nicht zu machen. Bringe man Kindern nicht mehr bei, wie man sportlich und gesund lebt, komme das die Gesellschaft später teuer zu stehen.

Dass Reif schon immer weit über das rein sportliche Geschehen hinausblickt, liegt in ihm selbst begründet. Sein Vater überlebte den Holocaust, ging mit der Familie aus Polen über Tel Aviv nach Deutschland. Für den kleinen Marcel bedeutete diese Odyssee, dass er überall als Außenseiter ankam. Das Schlimmste: die Sprachbarriere. „Von meiner Mutter hatte ich das Polnische, von meinem Vater das Jiddisch, von meiner Großmutter ein bisschen Deutsch.“ Als ihn seine Mutter in der neuen Heimat Kaiserslautern beim Fußball anmeldete, fand der achtjährige Marcel Anschluss: „Da konnte ich dann mit den Füßen sprechen.“

Fußball ist Reif bis heute Heimat geblieben. Zweimal die Woche nimmt er den Podcast „Reif ist live“ auf. Ansonsten macht er nur noch, worauf er Lust hat. Er schwärmt von den Treffen mit seinem Entdecker, Mentor und Freund Dieter Kürten, der trotz seiner 90 Jahre noch genauso redselig wie trinkfest sei. „Beim letzten Mal habe ich noch Günther Jauch dazu eingeladen, die beiden hatten sich ganz schön viel zu erzählen“, schmunzelt Reif beim Gedanken daran und wird nach 90 Minuten, die Länge eines Fußballspiels, mit langem, warmem Applaus verabschiedet.

Marcel Reif

Geboren wurde er als Marc Nathan Reif am 27. November 1949 im polnischen Walbrzych als Sohn einer deutschstämmigen Katholikin und einem polnischen Juden.

Sein Vater überlebte den Holocaust , hielt die erlebten Gräuel vor seinen Kindern geheim, um ihnen ein „normales Verhältnis“ zur deutschen Heimat zu ermöglichen.

Reif fand über den Fußball Zugang zur erst sehr fremden deutschen Gesellschaft.

Für seine einmalige Art des Kommentierens wurde er mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Grimme-Preis und dem Preis des Deutschen Fernsehens.

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