Stutensee. Das Leben von Fabienne Königstein ist derzeit eng mit dem Wort Glück verknüpft. Das größte Glück der 29-jährigen Langstreckenspezialistin von der MTG Mannheim und ihres 37-jährigen Ehemanns Karsten ist die im Juli 2022 geborene Tochter Skadi. Als Glücksfall bezeichnet sie zudem, „dass Karsten nicht nur mein Mann, sondern auch mein Trainer und mein Arzt ist.“ Bei dem Kinderarzt mit sportmedizinischer Zusatzausbildung fühlt sie sich bestens aufgehoben. „Er kennt mich ganz genau, sieht immer, wie es mir geht und hat natürlich als mein Coach auch eine hohe Akzeptanz für mein Familienleben, das ja unseres ist“, sagt Königstein und lacht. „Er kann das Training so planen, dass es familiär passt.“ Und glücklich ist sie, weil sie Ende April in Hamburg ihre noch von 2018 stammende Marathon-Bestzeit von 2:32,34 Stunden um fast sieben Minuten auf 2:25,48 steigerte.
Im Nachhinein hält sie es auch keineswegs mehr für Pech, dass sie sich 2021 wegen eines Sehnenabrisses im Oberschenkel operieren lassen und eine lange Trainingspause einlegen musste. „Das hängt alles irgendwie zusammen. Nachdem ich wusste, dass meine Reha sechs bis acht Monate dauern würde, haben wir uns entschlossen, ein Kind zu bekommen.“ Die Schwangerschaft habe ihr bei der Ausheilung der Verletzung die nötige Zeit gegeben. „Mein Bein war geschient, ich musste es über Wochen gestreckt lassen, konnte gar nichts machen“, erläutert Königstein: „Nach vier Monaten habe ich ganz langsam angefangen, das Laufen praktisch wieder von null auf erlernt und meine Technik ökonomischer gemacht.“
Fit wie seit Jahren nicht
Nun fühlt sich Königstein so fit wie schon seit Jahren nicht mehr. „Bereits 2019 hatte sich mein Laufstil negativ verändert, auch athletisch war ich nicht mehr so gut“, hatte sie sich nach diversen Verletzungen selten die notwendige Ruhe gegönnt. Sogar nach der Sehnenverletzung im Herbst 2020 trainierte sie noch, auch wenn Wettkämpfe nicht mehr möglich waren.
Die Rückkehr in den Sport Ende 2022 erfüllte sie dann immer wieder mit Glücksgefühlen: Beim ersten Zehn-Kilometer-Start im November auf dem Hockenheimring, beim Gewinn von Einzelbronze und Team-Silber mit der MTG bei den deutschen Halbmarathonmeisterschaften im März, wenig später bei ihrem Zehn-Kilometer-Rekord im Rahmen des Paderborner Osterlaufs (32:36) und letztlich beim Hamburg-Marathon. Ihre Zeit, die Platz sechs auf der ewigen deutschen Bestenliste bedeutet, ist auch schon als Olympia-Norm gültig. „Man kann ja nicht so viele Marathons laufen“, verkraftet ihr Körper drei pro Jahr. „Ich habe die Norm, aber ich bin noch nicht sicher in Paris. Die Konkurrenz ist groß“, will sie im Herbst noch einmal angreifen. „Aber ich habe enorm vorgelegt.“
Fabienne Königsteins persönliche Situation bietet die Voraussetzungen, dass sich ihr Olympia-Traum erfüllt. Eine Tagesmutter, Ehemann Karsten oder Skadis Großeltern betreuen die „absolut pflegeleichte“ Tochter, wenn sie zu Hause in Stutensee, auf der Fahrradrolle, im Fitness-Studio oder in der hügeligen Umgebung von Wiesloch („da komme ich her, da wohnen meine Eltern“) trainiert. „Das passt alles, auch das ist ein Glücksfall“, weiß sie, dass es Mütter im Profisport deutlich schwerer haben als Väter.
Deswegen setzt sie sich als Athletensprecherin des DOSB auch vehement dafür ein, die Vereinbarkeit von Familie und Sport zu thematisieren und steht mit den Gleichstellungsbeauftragten in enger Verbindung. Dabei geht es nicht nur um medizinische Hilfe während und nach der Schwangerschaft, sondern auch um die finanzielle Lage der betroffenen Frauen.
Klare Ziele bis 2028
Königstein selbst war wegen ihrer Verletzung aus dem Bundeskader gefallen, erst seit Hamburg ist sie wieder im Anti-Doping-System und es läuft eine Anfrage, sie wieder aufzunehmen. Bis dahin lebt sie weiter hauptsächlich vom Einkommen ihres Mannes. Andernfalls hätte sie schon längst mit dem Profisport aufgehört. „Dass es da Defizite gibt, ist beim DOSB und anderen Verbänden bekannt und registriert. Aber ändern wird sich so schnell nichts“, musste sie akzeptieren, dass 2023 alle Kräfte im Spitzensportreferendum gebündelt sind. Da sei noch kein Platz für ihre Herzensangelegenheit. „Wir müssen erst Geld einfordern, vielleicht wird ja ab 2024 unser Anliegen berücksichtigt“, hofft sie. „Wenn man selbst mit am Tisch sitzt, dann merkt man die Komplexität und Langsamkeit, bis eine Reaktion vom Bundesinnenministerium kommt. Es wäre gut, wenn der Sport ein eigenständiges Ministerium hätte.“
Ihre Zukunft auf den Laufstrecken hat sie bis 2028 abgesteckt. „Dann höre ich definitiv auf, auch wenn mein Mann es noch nicht glaubt. Aber wir planen ja noch ein zweites Kind.“ Doch bis dahin will sie sich außer den Olympischen Spielen in Paris noch ein paar andere Wünsche erfüllen. Der („nicht sehr schnelle“) New-York-Marathon steht genauso auf der Liste, wie der von Tokio oder Osaka. „Japan ist ja eine Läufernation“.
Die berufliche Zukunft der Molekular-Biologin, die ihren Bachelor mit der Note 1,1 ablegte, den Master mit 1,2, bleibt jedoch der Sport. „Auch wenn mein naturwissenschaftliches Studium mich als Mensch geprägt hat, sehe ich mich nicht im Labor. Ich bin nicht ganz uneigennützig schon jetzt im Funktionärsbereich tätig. Das könnte meine Welt sein.“
Grandioses Comeback
Fabienne Königstein wurde am 25. November 1992 in Heidelberg geboren und wuchs in Wiesloch auf.
Mit 13 Jahren wechselte sie von der SG Nußloch zur MTG Mannheim und entwickelte sich unter ihrem langjährigen Coach Christian Stang zur Langstreckenspezialistin.
Sie feierte unter ihrem Mädchennamen Amrhein viele Erfolge. Seit 2010 gewann sie 19 Medaillen – darunter siebenmal Gold – bei „Deutschen“ und deutschen Hochschulmeisterschaften. Mit dem DM-Titel im Marathon 2018 qualifizierte sie sich für die EM in Berlin, wo sie beste Deutsche wurde (11.).
Im Crosslauf nahm sie an sechs Europameisterschaften teil. Beste Platzierung mit dem Team war Platz drei (2018).
Nach langer Verletzungspause seit Ende 2020 feierte sie beim Hamburg-Marathon im April ein grandioses Comeback mit neuer Bestzeit und Olympia-Norm für Paris. sd
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