Rezension - „Ein Leben für den Fußball“ – die beeindruckende Lebensgeschichte des Mannheimers Oskar „Ossi“ Rohr als tolle Graphic Novel

Daheim fast vergessen – in Frankreich eine Legende

Von 
Lothar Zuther
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Ein neues Buch illustriert das Leben von Oskar Rohr. © Carlsen Verlag

München/Mannheim. „Überwältigend.“ Das ist der spontane Gedanke, wenn man zum ersten Mal in dem Buch „Ein Leben für den Fußball“ blättert. In dieser Graphic Novel – quasi einem Comic – die bei Carlsen erschienen ist, schildern Julian Voloj (Text) und Marcin Podolec mit mehreren hundert Zeichnungen die bewegende Geschichte von Oskar „Ossi“ Rohr (1912 bis 1988).

In seinem Nachwort schreibt Voloj: „Dieses Buch ist eine Hommage an Oskar Rohr, den Gerd Müller oder Robert Lewandowski seiner Fußballergeneration.“ Obwohl der talentierte Torjäger, den alle liebevoll „Ossi“ nannten, maßgeblich am ersten Titel der Bayern beteiligt war, sei er hierzulande nahezu vergessen. Ganz anders in Frankreich, wo er in den 1930er Jahren als Torschützenkönig bei Racing Straßburg zur Fußballlegende wurde. In dem Nachbarland ist das Buch bereits vor einem Jahr in französischer Sprache erschienen.

Der in Mannheim geborene Mittelstürmer mit dem gewaltigen Schussvermögen war 1932 mit einem verwandelten Strafstoß zum 1:0 maßgeblich an der ersten deutschen Meisterschaft des FC Bayern München beteiligt. Das Buchcover zeigt die berühmte Szene, als vom Elfmeterpunkt eine Staubwolke aufstieg. Im Nürnberger Finale besiegten die Münchener Eintracht Frankfurt mit 2:0. Dort beginnt die spannende Erzählung in Bildern und schildert den triumphalen Erfolg der Elf aus der bayerischen Landeshauptstadt. In Sprechblasen wird das Geschehen kommentiert und zieht den Leser in seinen Bann.

Kult-Status bei Racing

Dann gibt es einen Zeitsprung etwa zehn Jahre zurück nach Mannheim, denn schon als Kind war Oskar ganz verrückt nach Fußball und kickte mit einem Ballersatz aus Stofflappen. Bei seinen Kumpels war er der kleinste und musste daher ins Tor. Doch er fühlte sich als Stürmer und erzielte im ersten Training bei Phoenix Mannheim einen Treffer nach dem anderen.

Mit 16 Jahren wechselte Oskar zum VfR Mannheim, wo er auf Trainer Richard Kohn traf, der später den Namen Dombi annahm. Obwohl Rohrs Eltern lieber gehabt hätten, dass er eine Berufsausbildung macht, stimmten sie zu, dass Dombi ihren Sohn bei seinem Wechsel mit nach München nimmt. Der Titel dort hätte das perfekte Happy End sein können, doch mit der Machtergreifung der Nazis kam es leider anders. Dem Terrorregime war der „Judenclub“ FC Bayern ein Dorn im Auge.

Für Hitler und seine Gefolgsleute war Fußball keine Profession, um damit Geld zu verdienen, vielmehr sollte er in ihrem Sinne als Körperertüchtigung Werbung für ihre grausame Politik machen. Oskar Rohr war ein unpolitischer Mensch, der nur Fußball im Sinn hatte, und deshalb wechselte er nach einem Jahr in der Schweiz bei Grashoppers Zürich 1934 zu Racing Strasbourg, wo er zum großen Star avancierte. Mit 117 Toren in fünf Jahren war Rohr der erfolgreichste Stürmer in der Vereinsgeschichte. Zuvor hatte er für Deutschland vier Länderspiele bestritten und dabei fünf Treffer erzielt.

Einige Monate nach Kriegsbeginn besetzten deutsche Truppen das Elsass. Alles, was Oskar wollte, war Fußball zu spielen, aber nun musste er fliehen – sein Weg führte ihn nach Sète in Südfrankreich. Die Dramatik der folgenden Jahre kommt in der Graphic Novel ganz besonders zum Ausdruck. Im Jahr 1942, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich wurde Rohr von der französischen Polizei verhaftet – angeblich wegen Verbreitung kommunistischer Propaganda.

Verurteilt zu drei Monaten Haft landete er schließlich im Konzentrationslager Kislau bei Karlsruhe. Von dort kehrte er nach seiner Entlassung zu den Eltern nach Mannheim zurück. Doch das Schlimmste sollte noch kommen, nach nur drei Tagen Freiheit wurde er zum Militärdienst an die Ostfront einberufen. Ironie des Schicksals: Oskar Rohr trug nun die Uniform der Armee, vor der er geflohen war. Obwohl er verletzt wurde, hatte er Glück, ein deutscher Pilot erkannte ihn als ehemaligen Bayern-Stürmer und brachte ihn zurück in die Heimat.

Nach dem Krieg überlegte Oskar, nach Frankreich zurückzukehren. Aber dann beschloss er, in Deutschland zu bleiben. Er lebte in Mannheim, wo er 1988 starb. Zur Trauerfeier schickte der FC Bayern eine große Delegation in die Quadratestadt.

Ossis Großneffe Gernot Rohr und sein Bruder Rüdiger stellten schon vor Jahren dem Museum des FC Bayern in der Allianz-Arena ein Ölgemälde mit der bekannten Elfmeterszene aus dem 1932er Finale und ein paar Fußballschuhe aus Oskar Rohrs aktiven Zeit zur Verfügung. In seinem Vorwort der französischen Ausgabe schreibt Gernot, dass Oskar Rohr ein wahrhaftes Phänomen war, ein eingeschworener Pazifist, der nur Fußball spielen wollte: „Sein Leben ist eines Romanes würdig.“

Seine Familie ist sehr stolz auf ihn.

Redaktion

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