Handball - Der Birkenauer Jannik Kohlbacher hat seinem Großvater viel zu verdanken - und einen schweren Unfall mit ihm überlebt

Opas ganzer Stolz

Von 
Marc Stevermüer
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Belebendes Element am Kreis: Jannik Kohlbacher.

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Breslau. Es hätte nicht viel gefehlt - und Jannik Kohlbacher wäre bei der EM gar nicht dabei. Vielleicht würde er gar kein Handball mehr spielen können, wenn der Kreisläufer nicht so viel Glück im Unglück gehabt hätte. Der in Birkenau-Reisen aufgewachsene und in Bensheim geborene Modellathlet war gerade 15 Jahre alt, als ein schlimmer Unfall fast all seine Träume von einer Handball-Karriere zerstört hätte. Sein Opa Wilfried fuhr ihn vom Elternhaus zum Training beim TV Großwallstadt. So wie er es immer machte. "Drei Mal die Woche, zwei Jahre lang. Hinfahrt 63 Kilometer, Rückfahrt 63 Kilometer", erinnert sich der Mann aus dem Odenwald.

Doch dann gab es einen Tag, der alles veränderte. Ein entgegenkommendes Fahrzeug schnitt eine langgezogene Rechtskurve, es kam zum Unfall - mit gravierenden Folgen, vor allem für seinen geliebten Großvater, der ein Bein verlor. "Er lag monatelang im Koma", berichtet Kohlbacher, der sich selbst ein Schädel-Hirn-Trauma zuzog, das Krankenhaus aber nach einer Woche verlassen konnte und jetzt mit der deutschen Nationalmannschaft bei der EM nach dem 30:29-Sieg über Russland um den Halbfinaleinzug kämpft - was auch den Opa stolz macht.

"Ihm geht es ganz gut. Er freut sich immer für mich", sagt der Senkrechtstarter im Mannschaftshotel in Breslau und redet über die Vergangenheit, die Zukunft, seinen Bundesliga-Klub HSG Wetzlar und die Nationalmannschaft. Er sitzt lässig in einem Sessel, die Haare perfekt gestylt. Doch wenn er über seinen Opa spricht, verändert sich etwas. Dann schwingen Respekt und Dankbarkeit in seiner Stimme mit.

Keine Frage: Kohlbacher, der das Handball-ABC in Südhessen beim TV Reisen und der HSG Nieder-Liebersbach/Reisen erlernte, hat in seiner jungen Karriere schon viel erlebt. Er ist gerade 19 Jahre alt, als sein Arbeitgeber nicht mehr zahlen kann. Der einst stolze TV Großwallstadt geht in die Insolvenz, der Verein bekommt keine Zweitliga-Lizenz für die Saison 2015/16. "Ich habe ab Februar kein Geld mehr bekommen und musste schauen, wie ich über die Runden komme. Das ist schwierig. Da haben meine Eltern geholfen, auch mein Vermieter war kulant. In meinem Alter hat man noch nicht so viel auf die Seite gelegt", erzählt er herzerfrischend offen und ehrlich.

Doch anders als der TVG verschwindet der Kreisläufer nicht in der drittklassigen Bedeutungslosigkeit, sondern klettert in die Bundesliga. Die HSG Wetzlar war längst auf die starken Leistungen des Kraftpakets aufmerksam geworden und holte ihn nach Mittelhessen. Ein Glücksfall für den Spieler und den Klub, dessen Trainer Kai Wandschneider einmal mehr sein Händchen für den Umgang und die Förderung von Talenten bewies.

Binnen eines halben Jahres wurde aus dem Zweitliga- ein Nationalspieler, eine sensationelle Entwicklung. "Das ging alles ganz schön schnell", gibt Kohlbacher zu. Doch verdient hatte er sich seine EM-Nominierung nach den hervorragenden Auftritten beim Supercup allemal. Im November überzeugte er bei seinen ersten drei Länderspieleinsätzen, bei der EM schleppte er sich vorgestern gegen Russland grippekrank durch die Begegnung und erzielte mitten in der deutschen Schwächephase den wichtigen 27:26-Führungstreffer (53.).

Fest steht: Der Wetzlarer ist mittlerweile eine wertvolle Alternative zu den Hünen Erik Schmidt und Hendrik Pekeler geworden. Er gibt dem Kreisspiel eine andere Note, dabei war gar nicht klar, dass Kohlbacher auf dieser Position der Durchbruch gelingt.

Umschulung bei der SGL

Rückblick: In der Jugend spielt der Rechtshänder viel im Rückraum, in den Nachwuchs-Mannschaften des DHB aber auch am Kreis. Erst beim damaligen Zweitligisten SG Leutershausen folgt in der Saison 2012/2013 unter Trainer Holger Löhr die endgültige Umschulung. "Ich habe sehr viel von ihm gelernt, mich im individuellen Bereich stark entwickelt", erinnert sich Kohlbacher, für den die Zeit an der Bergstraße aber gerade am Ende nicht unbedingt einfach war: "Wir hatten viele Verletzte, es ging um den Klassenerhalt - aber ich durfte trotzdem nicht spielen."

Die Verantwortlichen der SGL hatten ihm übel genommen, dass er den Verein nach einer Saison wieder Richtung Großwallstadt verlässt. Angeblich gab es von ihm eine Zusage für ein weiteres Jahr. Kohlbacher verneint das und sagt, das sei "eine andere Geschichte" gewesen, will das Thema aber nicht mehr weiter vertiefen. Er schaut lieber in die Zukunft - und die sieht wahrlich rosig aus.

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