Interview

Thomas Hitzlsperger über die WM in Katar: „Da sind Verbrecher dabei gewesen“

Ex-Profi Thomas Hitzlsperger beschäftigt sich viel mit der WM. Warum er nicht nach Katar fliegt und warum er Verständnis für wirtschaftliche Beziehungen mit dem Emirat aber nicht für die WM-Vergabe hat

Von 
Frank Hellmann
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Thomas Hitzlsperger in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena. © Tom Weller

Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzelsperger ist ein großer Kritiker der am Samstag beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Warum erklärt er im Interview.

Herr Hitzlsperger, sind Sie als DFB-Botschafter für Vielfalt und als ARD-Experte in Katar vor Ort?

Thomas Hitzlsperger: Ich werde während der WM nicht dort sein, war aber die erste Oktoberwoche zum ersten Mal für fünf Tage in dem Land, als ich für die ARD-Dokumentation „Katar – warum nur?“ gearbeitet habe. Dass ich beim Turnier nicht in Doha bin, hat sendetechnische Gründe, weil ich im Studio sein werde, während Bastian Schweinsteiger vor Ort aus Katar berichtet.

Gerade Homosexuelle haben große Bedenken, diese WM zu besuchen. Die Debatten reißen nicht ab, weil Homosexualität laut Gesetz verboten ist und mit Gefängnis bestraft werden kann. Dazu hat der WM-Botschafter Khalid Salman Schwulsein als „damage in the mind“, also als einen geistigen Schaden bezeichnet. Teilen Sie die Bedenken der queeren Community, diese WM zu besuchen?

Hitzlsperger: Die teile ich, obwohl es zwischenzeitlich mal eine Sicherheitsgarantie des Innenministers gab. Mir war deshalb wichtig, dorthin zu fahren. Denn auch wenn man nur fünf Tage zu Besuch ist, kann man einen guten Eindruck bekommen, wie die Menschen dort ticken. Ich hatte persönlich zu keiner Zeit Angst, dass mir etwas passieren könnte. Aber ich mache mir auch nichts vor: Mir ist bewusst, dass die Menschenrechtslage nicht dieselbe ist wie bei uns – und dass Homosexuelle dort große Schwierigkeiten haben. Die Situation ist nicht gut, um es vorsichtig zu formulieren. Aber ich habe auch Stimmen gehört, die gesagt haben: Wenn hier zwei Männer Händchen halten, werden sie daran erinnert, dass dies in der Kultur nicht erwünscht ist, sie werden aber nicht sofort eingesperrt.

Kann die WM wirklich eine positive Entwicklung auf diesem Gebiet vorantreiben?

Hitzlsperger: Wir müssen uns zuerst fragen, warum wir über die Menschenrechtslage in Katar so intensiv diskutieren, obwohl es doch viele Nationen gibt, in denen diese nicht eingehalten werden? Na ja, weil sich dieses Land dazu entschlossen hat, eine WM auszurichten. Aber als sie 2010 den Zuschlag bekommen haben, waren sie darauf gar nicht vorbereitet. Sie mussten binnen zwölf Jahren eine Stadt groß aufziehen und eine Menge Stadien bauen, um der Welt zu zeigen, dass sie es auch können. Damit haben sie sich zwangsläufig unter Druck gesetzt, den sie an die Arbeitsmigranten weitergegeben haben. So ist es zu vielen Menschenrechtsverletzungen und Todesopfern gekommen.

Thomas Hitzelsperger

  • Thomas Hitzlsperger wurde 1982 in München geboren.
  • In der Jugend spielte er bei Bayern München, ehe er mit 18 Jahren nach England zu Aston Villa ging.
  • In der Premier League machte er sich durch seinen strammen Schuss einen Namen – Spitzname: „The Hammer“.
  • Von 2005 bis 2010 spielte Hitzlsperger für den VfB Stuttgart, mit dem er 2007 Deutscher Meister wurde.
  • Für Deutschland absolvierte er von 2004 bis 2010 insgesamt 52 Länderspiele.
  • Anfang 2014 outete sich Hitzlsperger als homosexuell.

Wie viel Fußballfest wird Katar denn zulassen?

Hitzlsperger: Sie werden sicher alles versuchen, tolle Bilder zu produzieren. Es wird alles auf Hochglanz poliert sein, weil sie dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung haben. Katar hat sich für rund 200 Milliarden Euro das Recht gekauft, Bilder zu produzieren, die nicht die Lebenswirklichkeit spiegeln. Natürlich werden sie stolz sein, wenn sie das größte Sportereignis der Welt reibungslos ausrichten – da bin ich sehr gespannt, ob es ihnen gelingt.

Wie wichtig ist Protest auf dieser Bühne, den beispielsweise die Dänen mit ihrem schwarzen Trikot vortragen?

Hitzlsperger: Für die Verantwortlichen in Katar ist es extrem unangenehm, dass gerade aus Europa so viel Kritik kommt. Ich hoffe nur, dass die unterdrückten und diskriminierten Menschen auch nach der WM noch Aufmerksamkeit erhalten werden. Nur zeigt die Vergangenheit im Fußball, dass das eigentlich nie passiert ist. Wir erleben im Vorfeld viele negativen Diskussionen, wo doch eine WM positive Emotionen erzeugen sollte. Das ist für alle eine Belastung und frustriert viele. Spaß macht das nicht.

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Die Kritik zielt sogar auf eine eigentlich gut gemeinte Aktion wie die „One-Love“-Binde von Nationalmannschaftskapitän Manuel Neuer ab, die vielen nicht weit genug geht. Ihnen auch nicht?

Hitzlsperger: Ich verstehe den Gedanken: Man wollte sich unter den beteiligten Nationen auf eine gemeinsame Botschaft verständigen und nicht in einen Wettstreit treten, wer die am meisten aufsehenerregende Aktion für den Protest vorbringt. Dann wurde von den Niederländern diese Binde übernommen. Es handelt sich zwar um ein Statement, aber es ist keine Provokation wie eine Regenbogenbinde. Wir merken daran, wie politisch alles ist – und wie sehr das auch die Verbände nervt, die eigentlich was Gutes machen wollen. Das beschreibt die Schwierigkeit im Umgang mit dieser WM.

Das Spannungsfeld ist wirklich komplex. Einerseits wird Katar scharf wegen des Umgangs mit Homosexuellen kritisiert, andererseits hat sich in Deutschland nach Ihnen kein prominenter Fußballer zu seiner Homosexualität bekannt. Müssen wir also nicht die moralische Messlatte niedriger legen?

Hitzlsperger: Wir können nicht DFL und DFB kritisieren, dass sich keiner outet. In beiden Institutionen wird viel unternommen, um die Kultur zu verändern. Es wird sich für Vielfalt und gegen Diskriminierung in einer Ausprägung eingesetzt, die ich vor Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Aber die Entscheidung treffen die einzelnen Menschen selbst. Das ist persönlich ein sehr großer Schritt, zu dem sich in Europas Topligen keiner durchringen konnte. Ich sage auch immer: Es ist für die Menschen nach wie vor auch abseits des Fußballs eine Schwierigkeit, weil man in anderen gesellschaftlichen Bereichen dafür kritisiert und diskriminiert wird.

Aber warum sind die Frauen im Fußball da so viel weiter als die Männer?

Hitzlsperger: Das kann ich nicht so gut erklären. Es ist aber sehr erfreulich, dass der Frauenfußball in diesem Bereich scheinbar keine Probleme hat. Dafür kämpft er mit ganz anderen Themen.

Schon bei der WM 2018 in Russland haben viele mit gemischten Gefühlen hingeschaut. Nun fällt die positive Sichtweise noch schwerer. Wie kann verhindert werden, dass sich der Fußball nicht an den Meistbietenden verkauft?

Hitzlsperger: Das hat er bereits. Damals war das FIFA-Exekutivkomitee mit einem sehr kleinen Kreis zuständig. Das System war so aufgebaut, dass man die betreffenden Herren mit ganz einfachen Mitteln überzeugen konnte, die Stimme einem Land zu geben, wo eine WM aus Sicht der Fußballfans nicht hingehört. Weil es für die FIFA-Exekutivmitglieder reizvoll war, durch finanzielle Zuwendungen ihre Lebenssituation zu verbessern. Das ist einfach so. Wenn wir auf das Foto mit den an der Abstimmung beteiligten Leuten schauen, dann müssen wir sagen: Da sind Verbrecher dabei gewesen.

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Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien pumpen enormen Summe in den europäischen Clubfußball. Qatar Airways ist auch Sponsor des FC Bayern. Wie ist das zu bewerten?

Hitzlsperger: Ich würde Katar beispielsweise gar nicht vorwerfen, dass sie Geld in den Fußball investieren, sondern es gibt immer eine andere Partei, die das Geld in Empfang nimmt. Bayern München hat bei der letzten Mitgliederversammlung die Erfahrung gemacht, dass die moralischen Ansprüche zu einem Rechtfertigungsdruck führen. Dann ist es natürlich für einen Club anstrengend, zu erklären, dass er von der katarischen Fluggesellschaft etwa 20 Millionen Euro bekommt. Wir sollten nur beachten, dass Investitionen aus Katar alle einen geopolitischen Hintergrund besitzen. Es ist Sportswashing.

Und in der Energiekrise steht auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck aus Deutschland beim Emir von Katar auf der Matte, weil er dessen Flüssiggas braucht. Den kompletten Bruch mit dem Land will auch niemand.

Hitzlsperger: Genau. Zudem betreiben viele deutsche Konzerne Geschäfte mit Katar. Dass auch der deutsche Wirtschaftsminister dorthin reist, verkompliziert die Diskussion über die Investitionen im Sport noch mehr. Aber deutsche Unternehmen müssen leider mit Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien Wirtschaftsbeziehungen pflegen, denn sonst hat es negative Auswirkungen auf uns alle hierzulande. Eine Fußball-WM muss dagegen nicht in Katar ausgetragen werden. Davon hängt unser Wohl nicht ab. Letztlich ist es äußerst schwierig, den Gesamtzusammenhang so zu erfassen, dass man ohne Bedenken Entscheidungen treffen kann. Daher gibt es keine einfache Lösung. Es wird ständige Diskussionen brauchen.

Wie kann man bei diesen Debatten überhaupt die WM genießen?

Hitzlsperger: Aktuell fällt das nicht leicht. Aber ich freue mich auf den Wettbewerb, auf den Ländervergleich, auf den Turniermodus. Ich finde das viel spannender als den Vereinsfußball. Was macht Deutschland? Wie spielt Frankreich? Wie stark sind die Südamerikaner? Ich sehe keinen klaren Topfavoriten. Man kann sich immer noch keine Nationalmannschaft zusammenkaufen. Zumindest nicht im Fußball, im Handball hat das Katar ja schon gemacht (lacht).

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