Dortmund. Beim ersten Spiel der neuen Bundesligasaison ging in der zweiten Halbzeit ein hörbares Raunen durch das mit mehr als 80 000 Zuschauern gefüllte Dortmunder Stadion, das wenig später von frenetischem Jubel abgelöst wurde. Paco Alcácer verfolgte seinen Augsburger Kontrahenten weit in die eigene Hälfte, um ihn in der Nähe der Eckfahne abzulaufen und den Ball zu erobern. Solche Szenen ist man vom spanischen Goalgetter nicht gewohnt, der es im Revier bislang vorgezogen hat, sich vornehmlich im gegnerischen Strafraum aufzuhalten, um dort seiner Bestimmung nachzukommen: Tore zu erzielen.
Und zwar als Teilzeitkraft, doch dieser Status ist überholt, seit sich Alcácer in einen bemerkenswerten körperlichen Zustand gearbeitet hat, der es ihm ermöglicht, über 90 Minuten Vollgas zu geben. In Dortmund setzt das alle in Verzückung, doch Mario Götze dürfte sich Gedanken machen. Während der Weltmeister von 2014 in der vergangenen Spielzeit noch regelmäßig in vorderster Front wirbeln durfte, sitzt er nun auf der Bank.
Wie schwierig es für Götze in absehbarer Zeit werden dürfte, beim BVB wieder auf regelmäßige Spielanteile zu kommen, zeigten die ersten Wochen dieser Saison. Dass der Schütze des Siegtores bei der WM 2014 noch nicht einmal in der zweiten Halbzeit bei Union Berlin eingewechselt wurde, obwohl der BVB beim Aufsteiger einen katastrophalen Eindruck hinterließ, spricht Bände über den Stellenwert, den Götze derzeit in Dortmund genießt.
Probleme mit dem Tempo
Denn schon zuvor beim schwer erarbeiteten Auswärtssieg in Köln waren es die eingewechselten Julian Brandt und Achraf Hakimi, die in der Schlussphase das Tempo brachten, das die Borussia benötigte, um das Spiel zu drehen. Ein Tempo, über das Götze nicht verfügt. Hernach lobte Trainer Lucien Favre die beiden eingewechselten Spieler ausdrücklich, „mit ihnen waren wir viel gefährlicher“.
Alcácer, Marco Reus, Jadon Sancho, Thorgan Hazard, Julian Brandt, Jacob Bruun Larsen – die Konkurrenz in der Offensive des BVB ist groß wie nie. Für Götze bleibt da derzeit nicht mehr als eine Nebenrolle. Wenn überhaupt.
Auch außerhalb des Rasens laufen die Dinge nicht so geschmeidig, wie sich das einstige Wunderkind des deutschen Fußballs das erhofft. Götzes Vertrag läuft im Sommer des kommenden Jahres aus, die Gespräche, das Arbeitspapier zu verlängern, sind ins Stocken geraten. Dabei waren sie beim börsenorientierten Club besten Willens, den 27-Jährigen zu halten.
„Mario ist ein Dortmunder Junge, den haben wir nicht bei uns, um mit ihm Geld zu verdienen“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Dezember 2018 beim Bezahlsender „Sky“. Mittlerweile hört sich das anders an. Zuletzt betonte Watzke, eine Weiterbeschäftigung hänge „auch davon ab, wie viel Spielanteile er bekommt und wie sein sportlicher Stellenwert ist“.
Knackpunkt ist vor allem Götzes Verdienst von kolportierten zehn Millionen Euro pro Jahr. Ein mehr als üppiges Salär für einen Bankdrücker, wie sie beim BVB meinen, weshalb sie ihm einen Kontrakt mit reduzierten Bezügen anbieten, was dieser ablehnt. Die Borussia befindet sich in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite will sie keinen überbezahlten Ergänzungsspieler, auf der anderen Seite soll tunlichst verhindert werden, einen Profi ablösefrei abzugeben, für den man im Sommer 2016 noch 25 Millionen Euro ausgegeben hat.
Geschäftliche Beziehung
Götze und der BVB – was einst als innige Liebesgeschichte begann, hat sich längst zu einer rein geschäftlichen Beziehung abgekühlt. Dabei gibt es doch so viel, was den Spieler und den Verein, für den er im Alter von neun Jahren das erste Mal gegen den Ball trat, verbindet: Der rasante Aufstieg zum gehypten Teeniestar, der Wechsel zu den Bayern, seit dem ihm bei den Fans das Stigma eines Verräters anhaftete, die reuige Rückkehr, die ebenso langwierige wie rätselhafte Stoffwechsel-Krankheit und die Rückkehr ins Licht. All das scheint keine Rolle mehr zu spielen, jetzt, wo der Poker um den nächsten Vertrag im vollen Gange ist.
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